In Rheinland-Pfalz werden immer mehr Pflegefamilien gesucht (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Peter Kneffel)

Pflegefamilien in RLP gesucht

Was es bedeutet, eine Pflegefamilie zu sein

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Rafaela Rübsamen
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Die Zahl der Pflegekinder in Rheinland-Pfalz steigt stetig, die Jugendämter suchen immer nach neuen Familien. Doch was bedeutet es, ein Pflegekind zu haben? Eine Familie berichtet.

Wenn Rainer Wenzels Sohn Johann zum Arzt muss, dann kann es sein, dass sein Vater erst das Jugendamt fragen muss. Denn Johann ist Rainer Wenzels Pflegesohn. Die Wenzels dürfen zwar die Dinge des täglichen Lebens entscheiden, aber nichts darüber hinaus, denn sie haben nicht das Sorgerecht für ihn. "Wenn er hinfällt und sich einen Zahn ausschlägt, dürfen wir beim Arzt Entscheidungen treffen, wenn Johann aber eine Zahnspange braucht, dann muss die Mutter beziehungsweise das Jugendamt entscheiden", erklärt Wenzel die Situation.

Dabei wird klar, dass man sich als Pflegeeltern nicht das Kind aussucht, sondern die passenden Eltern für das Kind ausgesucht werden.

Dabei ist Johann der Sohn der Wenzels, seit er dreieinhalb Jahre alt ist. Damals entschied das Jugendamt, dass Johann nicht weiter bei seiner leiblichen Mutter wohnen könne und gab ihn in Pflege zu den Wenzels. Diese hatten zuvor schon viele Monate der Bewerbung und Vorbereitung hinter sich, um sich als Pflegefamilie zu qualifizieren. "Dabei wird klar, dass man sich als Pflegeeltern nicht das Kind aussucht, sondern die passenden Eltern für das Kind ausgesucht werden", so Wenzel rückblickend.

Auch mehr als zehn Jahre später noch Probleme

Dann ging aber alles ganz schnell. "Dienstags kam der Anruf, Mittwoch haben wir Johann kennengelernt und Freitag stand er auf der Matte", so Wenzel. Seine Frau habe sich erst einmal drei Monate freigenommen, weil Johann große Angst hatte, allein gelassen zu werden. Diese frühe Erfahrung wirke bis heute nach. "Bis heute braucht er diese Verlässlichkeit, dass jemand da ist."

Natürlich sei er gerade total das "Pubertier", beschreibt ihn sein Vater liebevoll. Er sei aber ein sehr "empathischer Junge, mit einem unheimlichen Einfühlungsvermögen, der immer weiß, wie es einem geht". Fast jeden Abend ist er beim Sport, ob Klettern, Tennis oder Schwimmen, hat einen großen Freundeskreis. Aber er denke auch viel über seine Situation nach, dass es ja auch noch vier Halbgeschwister gibt.

Das Ehepaar Wenzel (Foto: Rainer Wenzel)
Das Ehepaar Wenzel hat vor mehr als zehn Jahren ihren Pflegesohn Johann aufgenommen.

Abgesehen von diesen Ängsten habe Johann aber wenig Ballast aus seiner frühen Kindheit mitgebracht. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit setzt er voraus. Da kenne man ganz andere Geschichten von anderen Pflegefamilien. Darum hatte sich die Familie auch dagegen entschieden, weitere Pflegekinder aufzunehmen. "Wir wollten unser Glück nicht überstrapazieren", sagt der 54-Jährige.

Familienministerium weiß um besondere Herausforderungen

Das weiß auch das Familienministerium. Auf Anfrage des SWR sagt es: Kindern und Jugendlichen ein neues Zuhause zu geben, sei keine leichte Aufgabe. Sie verlange viel Mut und Hingabe, "denn viele Pflegekinder sind durch schmerzhafte Erfahrungen, Ängste und Traumata belastet". Vor diesem Hintergrund stelle es eine große Aufgabe dar, diese häufig jüngeren Kinder zwischen null und sechs Jahren, die besondere Bedürfnisse hätten, in die eigene Familienkonstellation und -dynamik zu integrieren.

Viele Pflegekinder sind durch schmerzhafte Erfahrungen, Ängste und Traumata belastet.

Dabei sei das Jugendamt in Alzey immer wieder auf sie zugekommen, weil mit Johann alles so gut geklappt hätte. Denn in ganz Rheinland-Pfalz werden händeringend Pflegeeltern gesucht. Eine Jugendamtsmitarbeiterin aus Mainz-Bingen berichtet, dass sie mittlerweile in ganz Deutschland nach Familien suchen.

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Finanzielle Belastung rückt in den Fokus

Für das Familienministerium ist die finanzielle Belastung auch eine entscheidende Frage. Zur Eingewöhnung müssten oft Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren, dabei kämen trotz finanzieller Beiträge vonseiten des Staats Kosten auf die Familien zu. Ob in Form von einer größeren Wohnung oder anderen Anschaffungen. Diese Tendenz werde in Zeiten von zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit weiter verstärkt, so das Familienministerium. "Somit erhalten auch aufgrund ökonomischer Zwänge weniger Kinder die Chance, in einem familiären Rahmen aufzuwachsen."

Kontakt zur leiblichen Mutter schwierig

Eigentlich sollen Pflegekinder in der Nähe ihrer leiblichen Eltern untergebracht werden, damit der Kontakt aufrecht gehalten werden kann. Zunächst habe es aber auch noch regelmäßigen Kontakt mit Johanns Mutter gegeben. Für das Kind sei das nicht einfach gewesen. Er habe das Spannungsverhältnis beider Eltern gespürt und versucht, beiden Seiten zu gefallen, erinnert sich sein Vater.

Auch für die Wenzels war es nicht einfach. Vor allem seine Frau habe daran zu knabbern gehabt. Sie hätten die Besuche dann an einen neutralen Ort statt des Jugendamtes verlegt und er hätte die Termine wahrgenommen, so Wenzel rückblickend.

Viel Glück mit der Betreuung vonseiten des Jugendamtes

In dieser Situation, aber auch anderen habe die Familie gemerkt, wie viel Glück sie mit der Betreuung vonseiten des Jugendamtes hatten. In den mehr als elf Jahren, in denen Johann zwei Familien hat, habe es nur einen Betreuerwechsel gegeben und alle Belange seien ohne größeren Aufwand gelöst worden.

"Natürlich haben die Mitarbeiter ein Wahnsinnspensum, weil sie nicht nur einen, sondern x Fälle betreuen." Das sei nicht immer einfach für die Familien. In der Supervisionsgruppe, die alle zwei Monate zusammenkommt und in der über Probleme gesprochen wird, da habe seine Frau aber schnell gemerkt: "Bei uns ist in dem Hinblick alles easy", berichtet Rainer Wenzel.

Mutter hat weiter Einfluss auf das Leben von Johann

Doch alles geht nicht reibungslos: Vor fünf Jahren sei der Kontakt zur Mutter komplett zum Erliegen gekommen. Doch bis heute versuchen die Eltern die Mutter gedanklich miteinzubeziehen. Meist reagiere Johann aber mit Desinteresse. Er sage dann: "Das interessiert mich nicht, sie hat sich fünf Jahre nicht gekümmert."

Und obwohl die Mutter nicht mehr am Leben von Johann teilnimmt, hat sie noch das Sorgerecht. Die Wenzels hatten schon häufiger versucht, es zu bekommen, aber ohne Erfolg. Und so spielt die Mutter dann doch noch eine Rolle, ob Johann will oder nicht.

Er könne kein Bankkonto eröffnen, weil er als Minderjähriger die Unterschrift der Sorgeberechtigten brauche, dann hätte die Mutter aber auch Zugriff, erklärt Rainer Wenzel eine von mehreren Alltagssituationen, in denen ihnen ihre besondere Familienkonstellation bewusst wird. Und auch die Wenzels könnten ihm kein Konto auf ihren Namen einrichten, weil er einen anderen Nachnamen trägt als sie.

So bleibt Johann nichts anderes übrig, als einen Teil seines Geldes seinen Eltern anzuvertrauen und zu warten bis er volljährig ist. Dann will er gleich die Adoption voranbringen, um dann auch namentlich ein Wenzel zu sein.

Anmerkung der Redaktion: Der Name des Kindes wurde zu seinem Schutz geändert.

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