Das literarische Quadrat

Sie haben abgestimmt: Wir lesen gemeinsam "Identitti" von Mithu Sanyal

Stand

Aufregend und ganz anders, oder abgehoben und unlesbar? SWR1 Hörer:innen und das literarisches Quadrat diskutieren leidenschaftlich über den Roman "Identitti" von Mithu Sanyal.

"SWR1 - ein Sender, ein Buch"

Wie wäre es, wenn in SWR1 alle ein Buch gemeinsam lesen? Gerade jetzt im Frühjahr gibt es viele Neuerscheinungen. Drei Literaturliebhaber aus unserer Redaktion haben je ein Buch vorgestellt, das sie für lesenswert halten.

Buchcover "Identitti" von Mithu Sanyal, erschienen im Hanser Verlag, "Das Glück meiner Mutter" von Thommie Bayer, erschienen im Piper Verlag, und "Die Kinder hören Pink Floyd" von Alexander Gorkow, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. (Foto: Hanser Verlag/Piper Verlag/Kiepenheuer & Witsch)
Buchcover "Identitti" von Mithu Sanyal, erschienen im Hanser Verlag, "Das Glück meiner Mutter" von Thommie Bayer, erschienen im Piper Verlag, und "Die Kinder hören Pink Floyd" von Alexander Gorkow, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

Diese Bücher standen zur Wahl:

Die SWR1 Hörer:innen haben abgestimmt und entschieden: Das Siegerbuch heißt "Identitti" von Mithu Sanyal.

Darum geht es in "Identitti" von Mithu Sanyal

Es ist ein Skandal: Die beliebte Professorin für Postcolonial Studies in Düsseldorf, Prof. Dr. Saraswati ist weiß! Dabei hatte sie sich als "Person of Colour" beschrieben. "Identitti" von Mithu Sanyal begibt sich auf die Jagd nach "echter" Zugehörigkeit: Während die Menschen im Internet Professorin Saraswati hetzen und ihre Entlassung fordern, stellt ihre Studentin Nivedita ihr intimste Fragen.

SWR1 Redakteurin Silke Arning und Ihre Buchkritik:

Aufregend und ganz anders, oder abgehoben und unlesbar?

Unser literarisches Quadrat mit Silke Arning, Katharina Fuß, Rainer Hartmann und Ingo Lege haben leidenschaftlich über den Roman "Identitti" diskutiert, der mit 45 Prozent der Stimmen zum kollektiven Lesen ausgewählt wurde. Hier können Sie die ganze Kritik-Runde hören:

SWR1 Hörer:innen diskutieren mit

Bereits zum Start unserer Aktion stieß "Identitti" auf großes Interesse. Viele Hörer:innen haben uns geschrieben, ihre Beobachtungen und Gedanken zum Thema und auch ihre persönlichen Geschichten mitgeteilt. Einige hatten schon Leseerfahrung mit dem Buch gemacht, andere noch nicht.

»Ich kenne das Buch noch nicht und würde mir gerne die Zeit nehmen, es zu lesen. Auch Deutsche in Deutschland kennen dieses Leid. Ich habe selbst lange u.a. in GB und Frankreich gelebt und wurde nicht als Individuum, sondern stets an meiner deutschen Vergangenheit gemessen. Als ich vor vielen Jahren in den Nordschwarzwald zog, hätte ich nie gedacht, von Menschen in Deutschland als "Reingeschmeckte" ausgegrenzt zu werden. Nur weil ich hochdeutsch spreche und die Einheimischen an Minderwertigkeitskomplexen leiden. Diskriminierung gibt es überall: unter Nachbarn, im Lehrerzimmer und selbst in der Mutter-Kind-Gruppe gibt es Arroganz und Überheblichkeit. Auch ohne eine andere Hautfarbe. Das ist die dunkle Seite des Menschseins.«

»Warum darf man denn andere nicht fragen, woher sie kommen? Ich bin immer mega interessiert an anderen Ländern und Kulturen und freue mich immer jemanden zu treffen, der nicht in Deutschland geboren wurde und dem ich ein Loch in den Bauch fragen kann über sein Heimatland, das Essen, das Land, die Menschen etc. Aber um das zu erfahren, MUSS ich doch fragen (dürfen): 'woher kommst du?'. Wenn derjenige dann ausweichen will, sagt er einfach: 'Ha, von Daheim'.

»Ein anderes Wort für 'Person of Color'?  Leute, ganz einfach: MENSCH!«

»Super! Spritzig, witzig und sehr klug. Eine Bereicherung für alle, die sich mit Fragen der Identitätsfindung beschäftigen.«

»Auf Seite 40 aufgehört zu lesen. Mit jeder Seite wurde die Frage immer größer: Was will das Buch mir sagen?«

»Meine Tochter ist selbst auch bunt. Sie ist deutsch, sie hat sich viele Male in der Schule, im Studium und am Ausbildungsplatz viele unnötige Kommentare und Klischees anhören müssen. Manche amüsant, manche sehr hetzerisch und abwertend. Ich würde dieses Buch meiner Tochter geben.«

»Ich kenne das Buch noch nicht, finde aber die Thematik sehr interessant. Als 'zugeloffene' Nordfriesin, treffe ich in unserem Alemannisch dominierten Ort leicht auf Misstrauen. Nur weil ich Hochdeutsch spreche. Wie schlimm muss es sein, wenn meine Hautfarbe auch 'Nordfriesisch' wäre…«

»Es wundert mich nicht, dass die Wahl auf 'Identitti' gefallen ist! Die Idee mit der falschen Identität ist zu genial! Inzwischen bin ich regelrecht angefixt und möchte das Buch unbedingt lesen, bevor die Diskussion darüber beginnt.«

Mithu Sanyal: Warum nervt die Frage nach der Herkunft?

Viele stellen Mithu Sanyal die Frage: "Wo kommen Sie her?" Warum nervt diese Frage?

»Es ist total nett gemeint, aber der Subtext davon ist ja: 'Du kannst nicht von hier kommen.' Wir haben in Deutschland einfach kein Verständnis davon, dass Deutsch-sein nicht nur Weiß-sein bedeutet. Die Frage würde ja keinen Sinn machen, wenn ich darauf antworten könnte: 'Ich komme aus Düsseldorf oder aus Oberbilk oder Stadtmitte'. Das ist meistens nicht das, was gehört werden will, sondern dann wird solange weiter gefragt, bis ich die richtige Antwort gebe. Die eigentliche Frage ist ja: 'Warum bis Du braun?' Und oft genug stellen mir die Leute diese Frage, bevor sie wissen, wie ich heiße. Umgekehrt: Wenn wir niemals drüber reden und so tun, als gäbe es nicht auch noch eine weitere Geschichte, wäre das auch komisch. Also, ich finde die Frage durchaus berechtigt, aber wenn, dann lieber erst, wenn man sich gut kennt.«

Haben Sie das Buch ebenfalls gelesen? Dann schreiben Sie uns und verraten Sie uns doch, wie es Ihnen gefallen hat.

Diese Bücher standen außerdem noch zur Wahl:

"Das Glück meiner Mutter" von Thommie Bayer

Das Buch erzählt die Geschichte von Schriftsteller Phillip Dorn. Er nimmt sich eine Auszeit und fährt mit seinem Mini über die Alpen nach Italien, in die Toskana. Dort lässt er es sich in einem gemieteten Ferienhaus gut gehen und denkt viel über seine verstorbene Mutter nach, die wegen ihm ihre Liebe aufgeben musste. Eines Nachts schwimmt eine schöne dunkelhaarige Frau in seinem Pool. Die beiden kommen sich näher. Doch plötzlich passiert etwas Unvorhergesehenes! Was hat diese Frau mit dem Glück seiner Mutter zu tun?

SWR1 Moderator Rainer Hartmann stellt Ihnen den Roman im Detail vor:

Buchtipp: "Das Glück meiner Mutter" von Thommie Bayer Eine Auszeit in Italien am Meer und in Florenz

Eine Geschichte ohne Hinterhältigkeiten mit einem sympathischen und entspannten Ich-Erzähler, mit dem man sich gerne hinsetzen und plaudern und ein Glas Rotwein trinken würde.

"Die Kinder hören Pink Floyd" von Alexander Gorkow

Die Geschichte spielt in einer Vorstadt im Westdeutschland der 70er-Jahre. Die Kriegsgräuel der Nazis sind verdrängt; die Menschen gehen zum Essen in den Balkan Grill und richten es sich so gut es geht zuhause gemütlich ein. Aber für einen 10-jährigen Jungen bedeutet die Realität einen Kampf zwischen Gut und Böse. Seine große Schwester ist herzkrank und sehr lebenshungrig. Sie stemmt sich mit ihrem trockenen Humor gegen alle Bedrohungen, nicht zuletzt mithilfe der vergötterten Band Pink Floyd aus dem fernen London.

Wie SWR1 Redakteurin Katharina Fuß das Buch beurteilt, lesen Sie hier:

Diese Bücher standen zur Wahl:

Buchtipp: "Das Glück meiner Mutter" von Thommie Bayer Eine Auszeit in Italien am Meer und in Florenz

Eine Geschichte ohne Hinterhältigkeiten mit einem sympathischen und entspannten Ich-Erzähler, mit dem man sich gerne hinsetzen und plaudern und ein Glas Rotwein trinken würde.

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SWR