Frauen im Spitzensport werden noch immer benachteiligt - das hat eine exklusive Umfrage des Südwestrundfunks unter 719 Spitzensportlerinnen gezeigt. Spitzensportlerinnen werden meist von Männern trainiert, müssen dem Gefühl nach für gesellschaftliche Anerkennung mehr leisten und sehen sich beim Thema Familienplanung und Kinderwunsch oft nicht unterstützt. Sie haben ein geringes Einkommen und die Periode wird kaum im Trainingsplan berücksichtigt.
In einer anonymen online Befragung äußerten sich die Spitzensportlerinnen auch zu Themen wie Sexismus, Stalking im Netz, Social Media und Belästigung. Zum ersten Mal wurde eine solche Studie zu diesen Themen unter Spitzensportlerinnen in Deutschland durchgeführt. In die Auswertung der nicht repräsentativen Online-Umfrage wurden Sportlerinnen aufgenommen, die mindestens auf nationaler Ebene in einer olympischen Disziplin an Wettkämpfen teilnehmen - vier von fünf Teilnehmerinnen gaben an, auf internationaler Ebene bei Wettkämpfen anzutreten.
Sportart | Anzahl der Teilnehmerinnen | In Prozent |
---|---|---|
Badminton | 6 | 1% |
Basketball | 10 | 1% |
Eissport | 44 | 6% |
Extremsport | 3 | 0.4% |
Fußball | 40 | 6% |
Golf | 4 | 1% |
Handball | 39 | 5% |
Hockey | 43 | 6% |
Kampfsport | 77 | 11% |
Leichtathletik | 79 | 11% |
Mehrkampf | 11 | 2% |
Radsport | 45 | 6% |
Reitsport | 12 | 2% |
Rugby | 6 | 1% |
Schießsport | 27 | 4% |
Schwimmsport | 22 | 3% |
Ski Alpin/Nordisch | 39 | 5% |
Softball | 10 | 1% |
Tischtennis | 6 | 1% |
Turnen | 24 | 3% |
Volleyball | 29 | 4% |
Wassersport | 86 | 12% |
Jahres-Verdienst: Oft unter 10.000 Euro
Die meisten Teilnehmerinnen sind auf internationalem Niveau unterwegs - trotzdem haben nur 43% von ihnen den Sport als Haupteinnahmequelle angegeben. Insgesamt haben 41% der Teilnehmerinnen ein jährliches Bruttoeinkommen von weniger als 10.000 Euro. Lediglich 22% verdienen jährlich bis zu 30.000 Euro, 29% ließen die Frage unbeantwortet. Bei der Angabe des Einkommens, sollten Einnahmen aus Werbung, Sponsoring und Preisgeldern eingerechnet werden.
Prof. Ilse Hartmann-Tews forscht seit Jahren an der Deutschen Sporthochschule Köln zur Situation von Frauen im Spitzensport. Die Sportsoziologin sieht hier einen Gender-Pay-Gap - also ein geschlechtsspezifisches Gehaltsgefälle - und sagt, "dass Spitzensportlerinnen weniger Geld verdienen, ist im Prinzip ähnlich wie in der Gesellschaft, vielleicht aber noch krasser." Dass der Einsatz der Sportlerinnen oft nicht in vergleichbarem Maße entlohnt werde, liege ihrer Einschätzung nach daran, dass der Sport noch immer eine Männerdomäne sei. "Wir haben auch in den Funktionärspositionen überwiegend Männer. Und da wird der Sport der Männer deutlich höher wertgeschätzt als der der Spitzensportlerinnen."
Dr. Petra Tzschoppe, Vizepräsidentin und Beauftragte für Frauen und Gleichstellung beim DOSB, sieht hier auch die Medien in der Verantwortung. Sie spricht von einer "Gender-Show-Gap" und betont, dass Frauen vor allem deshalb weniger Gelder über Prämien oder Sponsorengelder erhielten, weil sie viel weniger sichtbar seien.
Trainer sind überwiegend männlich
Vier von fünf Frauen gaben an, im Vergleich zu Männern in ihrer Sportart nicht ausreichend bezahlt zu werden. Bei 60% der Befragten herrscht das Gefühl, mehr leisten zu müssen, um die gleiche gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten wie männliche Kollegen. Betrachtet man die beruflichen Chancen nach der aktiven Karriere, sehen diese mehr als die Hälfte aller Teilnehmerinnen als nicht gleich verteilt an.
Dazu passt, dass 77% aller Teilnehmerinnen den Angaben zufolge überwiegend von Männern trainiert werden, jede Vierte sogar ausschließlich von Männern. Jede vierte Spitzensportlerin gab an, sie würde sich eine andere Zusammensetzung des Trainerstabs wünschen.
"Der organisierte Sport sollte einsehen, dass es hier ein großes Ungleichgewicht gibt", sagt Hartmann-Tews zu den Ergebnissen. "Ich denke, dass Trainer einen guten Job machen. Aber allein schon das Bild, dass es überwiegend nur Männer als Trainer gibt, ist etwas, das den Nachwuchs auch vielleicht nicht animiert, diese Laufbahn zu gehen." Sie wisse von Seiten der Athletinnen, dass sie sowohl Trainer als auch Trainerinnen schätzten. "Diejenigen, die schon mal Erfahrungen mit Trainerinnen gemacht haben, was sehr selten vorkommt, sagen, eine Trainerin würde ich mir als nächstes wünschen."
Periode im Trainingsplan berücksichtigen
Ob es an der hohen Anzahl der männlichen Trainer liegt, lässt sich auf Basis der Umfrage-Ergebnisse nicht feststellen, doch mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen (55%) fühlt sich den Antworten zufolge unwohl dabei, mit ihren Trainern über die eigene Periode zu sprechen. Dabei ist dieses Thema für viele Sportlerinnen ein relevantes: So gab die Hälfte aller Spitzensportlerinnen an, die Periode beeinträchtige ihre Leistung. 40% aller Teilnehmerinnen waren der Meinung, der Zyklus solle stärker bei der Planung von Training und Wettkämpfen berücksichtigt werden.
Prof. Petra Platen, Sportmedizinerin an der Ruhr-Universität in Bochum, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema, gibt aber auch zu, dass in diesem Bereich großangelegte Untersuchungen fehlten. In der Forschung gebe es "viele Studien zum Thema Trainingsadaption, zum Thema Regeneration. Wo man noch so ein ein zwei Prozentchen rausschnipseln kann. Dieser Bereich aber wird völlig vernachlässigt. Das ist eigentlich ein Unding und da muss unbedingt mehr getan werden."
Sportlerinnen fordern in SWR-Umfrage: Periode im Trainingsplan berücksichtigen
Die Studienlage sei nicht eindeutig, doch erste Erkenntnisse deuteten Platen zufolge daraufhin, dass die Verletzungsanfälligkeit in der zweiten Zyklushälfte etwas höher sein könnte, gerade bei komplexen Bewegungsabläufen, die den Sportlerinnen viel Körperkoordination abverlangten. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass zum Beispiel gezieltes Krafttraining in der ersten Zyklushälfte etwas effektiver wirken könnte. Dass es bislang noch an umfangreichen Studien zum Thema fehle, liege ihrer Einschätzung zufolge auch daran, dass die Konzeption einer solchen Studie schwierig sei.
Kinderwunsch und Familienplanung: Es fehlt an Aufklärung bei den Verantwortlichen
Beim Thema Familienplanung gibt es der SWR-Studie zufolge noch Nachholbedarf. Lediglich jede zehnte Teilnehmerin fühlt sich von ihrem Verein oder Verband dabei unterstützt, ein Kind zu bekommen und weiter am sportlichen Wettbewerb teilzunehmen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen ließ diese Frage unbeantwortet, dies könnte am Alter einiger Sportlerinnen liegen. Denn jede fünfte Teilnehmerin war unter 18 Jahre alt und mehr als die Hälfte zwischen 18 und 25 Jahre alt.
Familienplanung bei Spitzensportlerinnen: Nur jede Zehnte fühlt sich unterstützt
Die Hälfte aller Spitzensportlerinnen gab an, die sportliche Karriere beeinflusse ihre Familienplanung. Zwölf Teilnehmerinnen und damit knapp zwei Prozent der 719 Spitzensportlerinnen haben sich der Umfrage zufolge schon einmal für eine Abtreibung entschieden, um die sportliche Karriere zu diesem Zeitpunkt nicht zu beeinträchtigen. 57 Teilnehmerinnen (8%) wählten bei dieser Frage die Option "keine Angabe".
Es fehlt an Aufklärung bei den verantwortlichen Personen
Marion Sulprizio leitet an der Deutschen Sporthochschule Köln den interdisziplinären Arbeitskreis "Sport und Schwangerschaft". Ihrer Einschätzung zufolge sei es aktuell meist so, dass der Moment, in dem eine Sportlerin die Familienplanung angehe, für sie den Ausstieg aus dem Leistungssport bedeute. "Das war in den vergangenen Jahren so und hat sich einfach so eingebürgert. Wenn ich Familie will, dann kann ich eben keine Leistungssportlerin sein."
Immer wieder schon hätten sich Frauen bei ihr gemeldet und gesagt, dass der Verband es nicht unterstütze, wenn sie länger als drei Monate aus dem Training aussteigen wollten. Hier fehle es nach Sulprizios Einschätzung an Aufklärung bei den verantwortlichen Personen. Allerdings verlaufe eine Schwangerschaft immer individuell, Komplikationen ließen sich nicht vorhersehen. "Eine Garantie können die Frauen dem Verband natürlich nicht geben. Und das ist es glaube ich, was es so schwierig macht in der Diskussion."
Sexismus, Belästigung und Missbrauch
Jede dritte Teilnehmerin (36%) gab in der SWR-Umfrage zudem an, sie erlebe in ihrem Sport Sexismus. Die Frage, ob sie diese Erfahrung an Trainer, Verein, Verband oder andere Vertrauenspersonen gemeldet hätten, verneinte die Hälfte der Betroffenen (51%). Als Begründung schrieben einige Sportlerinnen Antworten wie: "Würde nichts verändern." (Eissport), "Man denkt es ist nicht so wichtig bzw. ich will mich nicht aufspielen." (Schwimmsport), "Wird nicht ernst genommen, 'unbequeme' Sportlerinnen werden früher bei Selektion aussortiert." (Wassersport), "Ich war jünger und hatte das Gefühl, es würde meiner Karriere nicht gut tun." (Fußball), "Ist immer wieder so omnipräsent, dass man dagegen kaum ankommt. Und ich ignoriere es größtenteils einfach." (Kraftsport), "Das Trainerteam ist hauptsächlich männlich. Ich erwarte kein besonders großes Verständnis. […] Es kommt mir nicht entscheidend schlimmer vor, als in anderen Bereichen des alltäglichen Lebens." (Wassersport).
Sexismus im weiblichen Spitzensport: Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung
Social Media: "Je attraktiver, desto mehr Follower"
Insgesamt gaben 30 Prozent der Spitzensportlerinnen an, Fans erwarteten von ihnen ein anderes Verhalten als von männlichen Kollegen, ebenso viele Frauen gaben an, für ihren Erfolg spiele ihr Äußeres eine Rolle. In den auf diese Frage mehr als 140 mitgelieferten Textantworten wird deutlich, was sie damit meinen: Denn nur bei wenigen geht es um ästhetische Sportarten wie rhythmische Sportgymnastik oder für den Erfolg wichtige Muskeln. Bei den meisten geht es um Social Media, Sponsoren und Werbung - Einnahmen, die über die sportliche Existenz einer Spitzensportlerin entscheiden können.
"Ich bin jung, vermutlich Normschön und habe deshalb z. B. medial bereits mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere zu dem Zeitpunkt erfolgreichere Frauen aus meinem Team." (Badminton), "Mehr Aufmerksamkeit bedeutet mehr Sponsoren, bedeutet mehr Geld." (Beachvolleyball), "Eine große Rolle in Bezug auf Erfolg auf Social Media (welche eine Einnahmequelle sind, und damit zur Finanzierung beitragen) spielt das Aussehen. Je attraktiver, desto mehr Follower, desto besser die Chancen bei Sponsoren" (Triathlon).
Social Media: 37% erleben Sexismus, 19% berichten von Stalking
92% der Teilnehmerinnen sind eigenen Angaben zufolge auf Social Media aktiv, 37% von ihnen ausschließlich privat. 40% der auf Social Media Aktiven haben dort schon Sexismus erlebt, 19% berichten von Stalking, ebenfalls 19% von Anfeindungen oder Beschimpfungen.
Doch nicht nur die sozialen Medien, auch die klassischen Medien sind für Sportlerinnen ein wichtiges Mittel, um Bekanntheit zu erlangen. Hier gaben in der Umfrage 62% aller Teilnehmerinnen an, im Vergleich zu Männern erhielten Frauen in ihrer Sportart keine ausreichend mediale Präsenz. Bei der Berichterstattung über Frauensport allgemein stört 39% aller Teilnehmerinnen im Vergleich zum Männersport eine geringere Sendezeit, 26% nennen weniger Ernsthaftigkeit, 14% aller Teilnehmerinnen gaben an, sie störe sexistische Berichterstattung.