Sexismus im Sport  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / Eventpress Hoensch)

Exklusive SWR-Umfrage

Sexismus im weiblichen Spitzensport: Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung

Stand
AUTOR/IN
Judith Brosel
Julia Metzner
Moderatorin Julia Metzner (Foto: SWR)
Laura Schmitt

Auf der einen Seite sind es Sprüche. Mal lustig, mal vollkommen daneben. Auf der anderen Seite ist es immer wieder auch eine grundsätzliche Herabwürdigung ihrer Leistung, die bis hin zu gravierenden Nachteilen für Frauen im Spitzensport führen kann. Bei einer SWR-Umfrage unter Spitzensportlerinnen in Deutschland gab jede dritte Sportlerin an, sie erlebe in ihrem Sport Sexismus.

Nadine Apetz ist die erste deutsche Boxerin, die je eine WM-Medaille gewann. 2016 gewann sie Bronze bei der WM in Astana, 2018 holte sie eine weitere Medaille für Deutschland in Neu-Delhi. Es seien vereinzelte schwarze Schafe, doch immer wieder höre sie von Sports-Kollegen, dass es für sie als Frau viel einfacher sei, an Medaillen zu kommen. Weil es im Boxsport ja nicht viele Frauen gebe.

Sprüche, die sie dagegen regelmäßig höre: "Wie du boxt? Hast du nicht Angst um deine Nase? Oder um dein hübsches Gesicht?", erzählt sie. Ihr sei bewusst, dass solche Aussagen nicht aggressiv sexistisch gemeint seien. "Wenn man das aber zum fünfhundertsten Mal hört, nervt es halt schon. Das gilt doch für Männer genauso. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die auch danach gefragt werden, ob sie um ihre Gesichter Angst hätten." Durch die Blume werde ihr dadurch immer wieder gesagt, Boxen sei eigentlich nichts für Frauen. Dass Boxerinnen noch nicht mehr gesehen würden, liege Apetz zufolge einmal an der Randsportart an sich, dann aber auch daran, dass Frauenboxen erst seit 2012 olympisch sei.

Deutschland

Exklusive Umfrage des SWR Spitzensportlerinnen im Schatten der Männer

Eine exklusive Umfrage des SWR mit 719 Sportlerinnen zeigt, von Gleichberechtigung ist der Spitzensport noch weit entfernt. Frauen sind noch immer benachteiligt. Es ist die erste Umfrage in Deutschland, die Sportlerinnen zu Themen wie Familienplanung, Periode, Training, Sexismus befragt hat.

Deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen auch im Frauenfußball

Als Sportart deutlich bekannter: Frauenfußball. Doch auch hier werde zwischen Männern und Frauen ein deutlicher Unterschied gemacht, sagt Lara Dickenmann, die seit 2015 für den VfL Wolfsburg spielt, im Interview mit dem SWR. Natürlich spielten Männer, die auf höchstem Niveau unterwegs seien, guten Fußball. Die Frauen aber auch. Doch Männer würden "glorifiziert, das sind die absoluten Helden" findet die 35-Jährige nun gegen Ende ihrer Karriere. "Wann wird eine Frau so dargestellt? Ich wüsste jetzt nicht von vielen deutschen Nationalspielerinnen, die wirklich konstant als Heldinnen dargestellt und gefeiert werden in den Medien."

Hierzu fällt Nadine Apetz ein weiteres Erlebnis ein: Sie erzählt von einer großen Box-Veranstaltung mit internationalen Gästen in Schwerin. Für die Männer fanden die Vergleichswettkämpfe abends im Rahmen einer großen Veranstaltung statt, „in einer tollen Halle, mit Einlaufmusik und Nebel, Lichtern und Zuschauern.“ Die Frauen hätten ihre Kämpfe vormittags in einer kleinen Sporthalle nebenan ohne Zuschauer durchgeführt. "Da haben wir uns schon gedacht: Danke für die Anerkennung. Natürlich hätten wir auch gerne schönes Happening daraus gemacht und ein Erlebnis mit Zuschauern und der ganzen Show drumherum."

Dass Nadine Apetz und Lara Dickenmann mit ihrer Wahrnehmung alles andere als allein sind, zeigen Zahlen einer aktuellen SWR-Umfrage unter mehr als 700 Spitzensportlerinnen in Deutschland. 60% der Frauen gaben hier an, dass sie ihrem Gefühl nach mehr leisten müssten, um die gleiche gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten wie Sportler. Jede dritte Teilnehmerin (36%) sagte zudem, sie erlebe in ihrem Sport Sexismus. Die Frage, ob sie diese Erfahrung an Trainer, Verein, Verband oder andere Vertrauenspersonen gemeldet hätten, verneinte die Hälfte der Betroffenen (51%). Als Begründung schrieben in der anonymen Umfrage einige Sportlerinnen Antworten wie: "Würde nichts verändern." (Eissport), "Man denkt es ist nicht soo wichtig bzw. ich will mich nicht aufspielen." (Schwimmsport), "Wird nicht ernst genommen, 'unbequeme' Sportlerinnen werden früher bei Selektion aussortiert." (Wassersport).

Die Liste der Beispiele lässt sich nach weiteren Gesprächen mit Umfrage-Teilnehmerinnen fortsetzen. So sagt Weltcup-Snowboarderin Cheyenne Loch, die vergangenes Wochenende ihre Karriere verletzungsbedingt beendete, in ihrer Sportart seien die Frauen im direkten Vergleich den Männern immer unterlegen. Einmal in den Zeiten der Abfahrt, es sehe aber auch anders aus. Sie habe das Gefühl, dass sie als Frauen für ihre Leistung immer irgendwie belächelt würden. So höre sie zum Beispiel immer wieder von Wintersport-Fans, sie sähen sich im Fernsehen nur die Abfahrten der Männer an. Frauen, das könne man sich ja nicht ansehen. "Das ist auf jeden Fall mies. Weil die gleiche Arbeit dahintersteckt und es ja irgendwo auch logisch ist, dass wir nicht an das rankommen, was die Männer machen. Körperlich gesehen."

Sonja Zimmermann, die seit 2019 in der Hockey-Nationalmannschaft der Frauen spielt, fehlt im direkten Vergleich mit den Männern nicht nur der Respekt, sondern ein wenig auch die gleiche Bezahlung. Denn obwohl die Frauen ihrer Aussage zufolge in ihrem Verein in der Summe sogar mehr trainierten, würden die Sportler etwas besser bezahlt. Zu Beginn ihrer Karriere habe sich die 21-jährige Studentin darüber noch keine Gedanken gemacht, sich eher darüber gefreut, mit ihrem Hobby Geld zu verdienen. Sie wolle nicht undankbar wirken, doch je mehr sie investiere, desto mehr realisiere sie auch ein Unrechtsempfinden. "Das ist einfach ein bisschen unfair", sagt sie.

Beim Thema Sponsoren werde die Ungleichbehandlung noch deutlicher. "Dann sagt man, Herren-Hockey sei attraktiver. Und dann kriegt der eine einen Mercedes geschenkt, dann der nächste. Da denkt man sich oft: Ich mache genau das Gleiche hier. Ich hätte auch gerne einen Mercedes."

Frauen im Vergleich zu den Männern nicht ausreichend bezahlt

Den Ergebnissen der SWR-Umfrage zufolge teilen viele Spitzensportlerinnen dieses Gefühl. So gaben 77% der Teilnehmerinnen an, im Vergleich zu den Männern in ihrem Sport nicht ausreichend bezahlt zu werden. Dass für die meisten von ihnen durch den Sport ohnehin nicht viel Geld zu holen ist, zeigen die Angaben der Sportlerinnen zu ihren jährlichen Einnahmen. Demnach verdienten 41% der mehr als 700 Umfrage-Teilnehmerinnen im Jahr inkl. Stipendien, Preisgelder oder Sponsorenverträgen weniger als 10.000 Euro. 22% gaben an, im Jahr zwischen 10 und 30.000 Euro zu verdienen, knapp 30% ließen die Frage unbeantwortet.

Schlechtere und mangelnde Sponsorenverträge sind auch eine Folge der fehlenden Medienpräsenz. So gaben 62% der Sportlerinnen in der Umfrage an, im Vergleich zu den Männern zu wenig mediale Präsenz zu erhalten. 39% der Teilnehmerinnen stört bei der Berichterstattung die im Vergleich geringere Sendezeit, etwa jede Vierte (26%) nimmt in der Berichterstattung über ihre Sportart weniger Ernsthaftigkeit wahr.

Jährliches Einkommen der befragten Spitzensportlerinnen. (Foto: SWR)
Jährliches Einkommen der befragten Spitzensportlerinnen (n=719).

Prof. Ilse Hartmann-Tews forscht seit Jahren an der Deutschen Sporthochschule Köln zur Situation von Frauen im Spitzensport. Verschiedene Studien aus den beiden vergangenen Jahrzehnten zeigten, dass sich in der Presse nur zehn Prozent der tagesaktuellen Sportberichterstattung mit Sportlerinnen beschäftigten. In den Berichten würden die Sportlerinnen zudem "weitaus weniger in sportspezifischen Situationen gezeigt." Die Ergebnisse zeigten Hartmann-Tews zufolge, dass der Sport in den Medien "als klassische Männerdomäne dargestellt" werde.

Klassische Männerdomäne auch im Gewichtheben

Mit der "klassischen Männerdomäne" sieht sich auch Gewichtheberin Sabine Kusterer regelmäßig konfrontiert. Auf der einen Seite sei ihr Sport ihrer Aussage zufolge schon sehr weit, weil er zum Beispiel in der Bundesliga eine Vergleichbarkeit zwischen Frauen und Männern herstelle - und sich das auch auf die jeweiligen Preisgelder auswirke. Auch über ihre Anstellung bei der Bundeswehr, in die sie nach Abschluss ihrer Schule 2011 eintrat, erhalte sie die gleiche finanzielle Unterstützung wie die Männer.

Doch weil Gewichtheben für Frauen erst seit 2000 olympisch sei, hätten die Frauen weniger Medaillen und Erfolge vorzuweisen. Das führe zu weniger Fördergeldern durch das Bundesinnenministerium - und das wiederum zu teils gravierender Ungleichbehandlung der Gewichtheberinnen, sagt Kusterer.

Bemerkbar mache sich das mal in kleinen Dingen, wie mehr Einkleidung für die Männer oder dem Männermodell einer Winterjacke für die Frauen, gehe über immer wieder fehlende Gelder für die Stelle eines eigenen Bundestrainers und könne bis hin zur Infragestellung der Olympiateilnahme einer bei der WM erfolgreichen Sportlerin führen.

Die 30-Jährige erzählt im Interview mit dem SWR auch von einem Trainingslager in Japan, das im Rahmen einer Kooperation mit dem japanischen Gewichtheber-Verband nach ihrer Teilnahme bei den vergangenen olympischen Spielen stattfand - mit Blick auf die Vorbereitung der nächsten. "Da durften eben nur die Männer mitreisen, weil es eben auch ein teures Auslandstrainingslager war." Als vorletztes Jahr dann wieder ein Trainingslager stattfand, erzählt Kusterer, habe sie aus Protest freiwillig verzichtet. "So habe ich versucht, ein Zeichen zu setzen. Ich weiß aber nicht, ob es unbedingt so ankam. Es war glaube ich eher: 'Okay, jetzt dreht sie ganz durch.'"

In der SWR-Umfrage gab jede dritte Sportlerin an, von ihrem Verband nicht genauso unterstützt zu werden wie die männlichen Kollegen. Sportsoziologin Hartmann-Tews sagt im Interview mit dem SWR, dass Frauen im Sport noch lange nicht so akzeptiert würden wie die Männer, sei unter anderem mit der Geschichte des Sports zu erklären. So seien Frauen im 19. Jahrhundert überhaupt nicht zum Sport zugelassen worden. Sie müssten sich bis heute ihren Platz immer weiter erobern - es sei ein Kampf der Anerkennung, den Sportlerinnen nach wie vor führten. Zwar habe der Sport, als traditionelle Männerdomäne schon viele Unterstützungsstrukturen für Frauen entwickelt. Doch um dem gerecht zu werden, was die Gesellschaft sich wünsche, nämlich Gleichstellung, Gleichbehandlung und gleiche Chancen, bedürfe es noch einiger Anstrengung. "In der Hinsicht kann man nicht sagen, dass Sport wirklich fair ist."

Hockey-Spielerin Sonja Zimmermann würde gerne an der Situation etwas ändern – auch an der fehlenden Medienpräsenz. "Wenn ich aber als kleine Spielerin sage, übrigens: 'Ich würde auch gerne im Ersten laufen', dann lachen die laut und das war es." Die Frauen müssten sich zusammenschließen. Und hoffen, dass auch Dinge wie der Weltfrauentag oder feministische Bewegungen etwas voranbringen könnten. "Dass es vielleicht in ein paar Jahren, je schneller desto besser, eben so ist, dass Herren und Frauen gleichberechtigt im Ersten oder bei Sport 1 laufen."

Auch Fußballspielerin Lara Dickenmann sagt: "Ich habe früher immer gedacht, wenn man was gewinnt, dann kriegt man schon was man will. Aber das funktioniert so meistens nicht. Wir müssen das selbst machen!" Doch Lara Dickenmann findet auch: "Ich glaube, das wird von Generation zu Generation weitergegeben und auch so gelebt. Und irgendwie ist das ja auch was Schönes."

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