Analyse von mehr als 10.000 Meldungen zu #besserRadfahren

Radfahrer werden an den Rand gedrängt

Stand
AUTOR/IN
Thomas Reutter
ONLINEFASSUNG
Sandra Kaupmann

Was beim Radfahren mit Abstand am meisten stresst, sind Autos, die zu eng überholen. Das ist ein Ergebnis einer SWR-Erhebung zum Gefährdungsempfinden von Radfahrenden.

Der SWR hatte in seiner Mitmachaktion #besserRadfahren dazu aufgerufen, Probleme im Radverkehr zu melden. Über sieben Wochen konnten im Südwesten in 25 Kategorien Gefahrenstellen oder Behinderungen gemeldet und frei kommentiert werden. Herausgekommen ist eine Online-Landkarte, auf der die Problemzonen im Radverkehr exakt eingetragen sind. 10.756 Meldungen sind bei uns und unserem Aktionspartner Klima-Bündnis e.V. eingegangen. Verkehrsexperten der Hochschule Karlsruhe, die die Daten ausgewertet haben, halten die SWR-Aktion für eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Erhebung.

Mitmachaktion #besserRadfahren: Konstruktive Kritik

Der Verkehrsökologe Prof. Jochen Eckart von der Hochschule Karlsruhe, der mit seinem Team die Daten analysiert hat, ist überrascht über die hohe Qualität der Beiträge: „Sie zeugen von der Bereitschaft der Radfahrenden, konstruktiv an der Verbesserung der Verhältnisse für den Radverkehr mitzuwirken.“ So hatten viele in ihren Meldungen neben Kritik - und manchmal sogar Lob - auch gleich Lösungsvorschläge mit eingetragen, etwa: „hier fehlt ein Schild“ oder „dort sollte ein störender Pfosten vom Radweg entfernt werden“.

Wenn es um Konfliktsituationen geht, wurde besonders oft „zu enges Überholen“ durch Kfz erwähnt. Das ist interessant, weil der Gesetzgeber diese Gefährdung schon vor über einem Jahr abstellen wollte: Seit April 2020 sieht die Straßenverkehrsordnung vor, dass Autofahrer*innen einen Mindestabstand einhalten müssen, wenn sie Radfahrende überholen wollen und zwar innerorts 1,50 m und außerorts 2 m.

Sind die Radfahrer*innen nun also übertrieben ängstlich oder empfindlich, wenn sie von Autos überholt werden oder werden die vorgeschriebenen Mindestabstände einfach nicht eingehalten? Das wollte Prof. Eckart mit weiteren Studien herausfinden. Dazu setzte sein Team Testpersonen auf selbst entwickelte „Sensorbikes“ und schickte sie zu Alltagsfahrten auf dem Rad durch verschiedene Städte und Gemeinden. Dabei wurden die Konflikte mit anderen im Verkehr mit Kameras dokumentiert und ausgewertet und gleich auch noch gemessen, wie der Körper reagiert, wenn es auf dem Rad stressig wird.

Zusätzlich dokumentierten Radfahrer*innen ihre Konflikte mit Autos per Handy mit der kostenlosen App „Sicherheit im Radverkehr“ (SimRa). Beide Untersuchungen fanden im Rahmen der SWR Aktion #besserRadfahren statt. Dazu forschte Prof. Eckart weiter, ob sich die Autofahrer*innen beim Überholen an die Straßenverkehrsordnung hielten.

Das Ergebnis: „Bei mindestens einem von drei Überholvorgängen unterschritten die Autofahrer die Mindestabstände zu den Radfahrern,“ sagt der Verkehrsexperte. In einzelnen Orten wurde sogar bei jeder zweiten Überholung die vorgeschriebenen Abstände nicht eingehalten. „Manchmal war es wirklich sehr knapp“, so der Wissenschaftler. Und die Auswertung der Sensoren zeigte: Vor allem enges Überholen löste bei den Radelnden Stresssymptome wie zum Beispiel steigende Körpertemperatur aus.

Oft dürfte eigentlich gar nicht überholt werden

Warum aber halten sich die Autofahrerinnen und -fahrer nicht an die Vorschriften? Viele sitzen doch selbst – zumindest am Wochenende – auch auf dem Rad und kennen die umgekehrte Perspektive. Ein Hauptgrund: Viele Straßen sind zu eng, um ausreichend Abstand zu halten. Dann dürfte eigentlich gar nicht überholt werden. Aber weil viele Autofahrer*innen nicht hinter den Radler*innen auf der Bremse stehen wollen, überholen sie bei der erstbesten Gelegenheit eben doch und das kann dann gefährlich werden.

Allerdings, so Prof. Eckart, passieren die meisten Unfälle mit Radfahrenden nicht im sogenannten Längsverkehr beim Überholen, sondern im Querverkehr, also auf Kreuzungen oder in Einmündungen und unübersichtlichen Ausfahrten. Schon die amtliche Unfallstatistik zeigt: Wer die vielbeschworene „Vision Zero“ verfolgt, also das Ziel, keine tödlichen Unfälle mehr im Radverkehr zuzulassen, der muss die gefährlichen Kreuzungen entschärfen.

Wer möchte, dass mehr Menschen vom Auto aufs Rad umsteigen, muss das subjektive Sicherheitsgefühl beim Radfahren stärken. Die SWR Mitmachaktion hat sehr deutlich gezeigt, wodurch sich Radfahrerinnen und Radfahrer besonders gefährdet fühlen: wenn sie von Autos an den Fahrbahnrand gedrängt werden.

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Thomas Reutter
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Sandra Kaupmann