Einfluss von Viren auf das Gehirn (Foto: IMAGO, IMAGO / Alexander Limbach)

Medizin

So hängen Virusinfektionen mit Erkrankungen wie Alzheimer und Multiple Sklerose zusammen

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Pascal Kiss
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Leila Boucheligua

Auch lange nachdem eine Virusinfektion überstanden ist, kann sie den Körper noch belasten, etwa als chronisches Erschöpfungssyndrom. Können nach Virusinfektionen auch Krankheiten wie Alzheimer und Multiple Sklerose begünstigt werden? Das legt eine neue Studie nahe, doch entscheidende Fragen kann sie nicht beantworten.

In seltenen Fällen kann eine überstandene Virusinfektion ein chronisches Erschöpfungssyndrom nach sich ziehen. Im Falle des Coronavirus wird bei langfristigen Nachwirkungen einer Covid-19-Erkrankung von Long Covid und Post Covid gesprochen.

Wie eine neue Studie im Fachjournal Neuron zeigt, könnte auch ein Zusammenhang von Virusinfektionen mit neurodegenerativen Krankheiten wie wie Demenz, Parkinson, Alzheimer oder Multipler Sklerose bestehen.

Für ihre Analyse haben die Forschenden insgesamt 800.000 Patientendaten aus Finnland und Großbritannien ausgewertet. Die Daten zeigen einen klaren Zusammenhang: Hatten Personen eine Lungenentzündung, starke Grippe oder Gehirnentzündung war das Risiko für Demenz-Erkrankungen erhöht. Noch bis zu 15 Jahre nach einer überstandenen Virusinfektion bestand den Daten zufolge ein höheres Risiko, an neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz, Parkinson, Alzheimer oder Multipler Sklerose zu leiden.

Sind Virusinfektionen wirklich die Ursache?

Ob frühere Virusinfektionen tatsächlich eine Demenz auslösen können oder Menschen mit beeinträchtigten Hirnfunktionen womöglich einfach anfälliger für Virusinfektionen sind, kann die Studie nicht sagen. Die Patientdaten zeigen zunächst nur, dass Menschen mit überstandenen Infektionen häufiger an Demenz oder Alzheimer erkranken. Aussagen über die jeweiligen Ursachen können die Auswertungen nicht treffen.

Es kann also auch sein, dass an Demenz Erkrankte in ihrem Leben insgesamt häufiger an Virusinfektionen erkranken – auch so könnte der beobachtete Zusammenhang in der Studie entstehen. Im Hinblick auf Alzheimer gibt es bereits Hinweise, dass die Krankheit schon 20 Jahre vor den ersten Symptomen im Körper ausbricht.

Das Gehirn als Puzzle als Symbol für Erkrankungen wie Alzheimer (Foto: IMAGO, IMAGO / YAY Images)
Alzheimer und Demenz sind unheilbare Erkrankungen des Gehirns. Bei Erkrankten sterben zunehmend Nervenzellen im Gehirn ab, was zur Folge hat, dass geistige Fähigkeiten wie das Erinnerungsvermögen oder die Sprachfähigkeit beeinträchtigt werden.

Die Studie umfasst die letzten 15 Jahre, sodass es sein kann, dass einige Patienten bereits zum Zeitpunkt der Virusinfektion unbemerkt an Demenz oder Alzheimer erkrankt waren. Das könnte zumindest bei einem Teil der Menschen so sein, sagt der Neurobiologe Martin Korte von der TU Braunschweig.

Ähnlich ist eine Beobachtung während der Corona-Pandemie. So erklärt Martin Korte, dass Menschen, die schon vor einer Corona-Infektion an Alzheimer erkrankt waren, ein höheres Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben. So kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass Alzheimer-Patientinnen und -Patienten ein schwächeres Immunsystem haben und deswegen häufiger mit Infektionen zu kämpfen haben.

Unterschiede zwischen Finnland und Großbritannien

Zudem zeigte ein Vergleich der Patientendaten aus Finnland und Großbritannien, dass von 45 möglichen Zusammenhängen zwischen einzelnen Viruserkrankungen und verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer in den finnischen Daten nur 22 auch in den Daten aus Großbritannien bestätigt werden können, sagt Neurologe Klemens Ruprecht von der Charité in Berlin:

Das spricht dafür, dass es sich bei manchen der beschriebenen Assoziationen um falsch-positive Assoziationen handeln könnte.

So könnten Viren tatsächlich Demenz auslösen

Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Virusinfektionen das Gehirn langfristig schwächen können und so neudegenerative Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer begünstigen können. Wie Neurobiologe Martin Korte erklärt, zeigen das mehrere Studien mit Mäusen. Demnach wird vermutet, dass Mikrogliazellen, also die Immunzellen im Gehirn, das Nervensystem über Monate hinweg schädigen könnten.

Wir konnten bereits 2018 aufzeigen, dass insbesondere eine Grippeinfektion auch das Immunsystem im Gehirn aktiviert.

Zudem ist laut einer im Fachjournal Science veröffentlichten Studie nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus das Risiko, an der neurologischen Krankheit Multiple Sklerose (MS) zu erkranken, um ein Vielfaches erhöht. Da kein anderer bekannter Risikofaktor für MS die Ergebnisse erklären kann, gehen die Studienautoren davon aus, dass das Epstein-Barr-Virus eine Hauptursache für Multiple Sklerose sein könnte. So bekräftigt diese Studie, dass Virusinfektionen tatsächlich neurodegenerative Erkrankungen begünstigten könnten.

Multiple Sklerose (Foto: IMAGO, IMAGO / Panthermedia)
Multiple Sklerose (MS) ist eine eine entzündliche Erkrankung, die das Gehirn und das Rückemarkt betrifft. Bei Erkrankten richtet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper und schädigt Nervenzellen.

Impfempfehlungen erst nach weiteren Untersuchungen

Sollte sich bestätigen, dass frühere Virusinfektionen das Risiko von neurologischen Krankheiten wie Demenz und Alzheimer erhöhen, dann könnten Impfungen, etwa gegen Influenza oder Gürtelrose, noch wichtiger werden, schreibt das Forschungsteam in der Studie. Doch vor neuen Impfempfehlungen müssen die gefundenen Zusammenhänge in weiteren Studien bestätigt werden. Es muss also klar gezeigt werden, ob und wie Virusinfektionen Demenz oder Alzheimer auslösen können.

Die Studie ist ein wichtiger Anstoß, weiter in diese Richtung zu forschen, sagt Virologe Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen. Zudem sei es wichtig zu zeigen, dass Impfungen in der Tat die Häufigkeit neurodegenerativer Erkrankungen reduzieren können.

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