Epstein-Barr-Virus Illustration (Foto: IMAGO, /Science Photo Library)

Autoimmunerkrankungen

Neue Hinweise zum Auslöser von Multipler Sklerose

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David Beck
Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Impuls. (Foto: SWR, Ilyas Buss)
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Antonia Weise

Schon länger steht das Epstein-Barr-Virus im Verdacht, Ursache der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose zu sein. Nach einer neuen Studie verdichtet sich diese Vermutung.

Multiple Sklerose (auch MS) ist eine Autoimmunkrankheit, die Betroffene im schlimmsten Fall mit der Zeit körperlich und geistig immer weiter beeinträchtigt. Mittlerweile gibt es zwar Therapien, die je nach Krankheitsstadium sowie Krankheitsverlauf des Patienten angepasst werden – doch heilbar ist Multiple Sklerose nicht. Denn unter anderem ist die Ursache der Krankheit nicht vollständig geklärt. Jetzt sind Forscher*innen dem Rätsel ein Stück näher gekommen.

Epstein-Barr-Virus möglicherweise der Auslöser

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) gehört zur Familie der Herpesviren und steht im Verdacht an der Entstehung verschiedener Autoimmun-Erkrankungen beteiligt zu sein. Zum Beispiel könnten sowohl das Chronic Fatigue Syndrome als auch Long Covid Autoimmunkrankheiten sein, deren Entstehung durch eine EBV-Infektion begünstigt sein könnte.

In einer neue Studie der Harvard Universität verhärtet sich nun der langjährige Verdacht: Eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, welches auch Auslöser des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers ist, steht im Zusammenhang mit Multiple Sklerose. Denn circa 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung tragen das Epstein-Barr-Virus in sich und infizieren sich im Laufe ihres Lebens. Ob man am Pfeiffer'schen Drüsenfieber erkrankt oder nicht, eine EBV-Infektion bleibt ein Leben lang. Bei MS-Patienten liegt die EBV-Infektionsrate deutlich über der der Allgemeinbevölkerung. Da liegt sie bei 99 Prozent.

Illustration der Interaktion zwischen Viren und der DNA  (Foto: IMAGO, /Science Photo Library)
Bei den meisten Menschen bleibt die Infektion ohne Folgen. Bei einigen kann sie Pfeiffersches Drüsenfieber oder verschiedene Krebsarten auslösen.

Um einen Zusammenhang zu beweisen, müssten MS-Patienten vor Ausbruch der Erkrankung untersucht werden. Das heißt: Sind sie mit Epstein-Barr-Virus infiziert? Zeigen sie andere Anzeichen einer drohenden MS-Erkrankung?

Analyse an über zehn Millionen US-Soldaten

Das Team der Harvard University hat sich für die Analyse an das US-Militär gewandt. Regelmäßig wird Soldat*innen Blut abgenommen, untersucht und aufbewahrt. So hatten die Forschenden Zugriff auf eine Bio-Datenbank mit Blutproben von mehr als 10 Millionen Menschen, gesammelt über einen Zeitraum von 20 Jahren.

Jens Kuhle ist Leiter des MS-Zentrums an der Uniklinik Basel und einer der Autoren der Studie: “Es sind über 62 Millionen Serumproben in dieser Biobank.”

Epstein-Barr-Virus (Foto: IMAGO, imago stock&people)
Das Epstein-Barr-Virus gehört zur Familie der Herpesviren.

Fast alle MS-Patienten mit EBV-Virus infiziert

801 der Soldatinnen und Soldaten entwickelten im Untersuchungszeitraum eine MS. Bei den meisten von ihnen konnte bereits in der ersten verfügbaren Blutprobe eine Epstein-Barr-Virus-Infektion nachgewiesen werden. Lediglich bei 35 Personen kam es bis zu diesem Zeitpunkt noch zu keiner Infektion.

“Ein Finding der Studie ist, dass letztlich 34 von 35 EBV-positiv wurden, also fast alle”, so Jens Kuhle, Mitautor der Studie.

Am Ende waren 800 der 801 Untersuchten vor Ausbruch der Multiple Sklerose mit EBV infiziert. Das entspricht fast 99,9 Prozent. Im Gegensatz zu den weniger als 60 Prozent in der Kontrollgruppe. Eine EBV-Infektion steigerte das Risiko der Probanden eine MS zu entwickeln etwa um das 32-fache.

Multiple Sklerose Diagnose im Frühstadium belegt

In den Probanden, die später eine MS entwickelten, konnte außerdem schon Jahre vorher frühe Anzeichen der Erkrankung nachgewiesen werden – allerdings erst ab dem Zeitpunkt der EBV-Infektion. So konnten die Forschenden ausschließen, dass die Situation umgekehrt ist und eine Multiple-Sklerose im Frühstadium das Risiko steigert sich mit dem Virus zu infizieren.

Eine Person mit MS sitzt im Rollstuhl. Ein Assitenzhund hilft ihr im Alltag (Foto: IMAGO, imago images/Design Pics)
Bei einem schweren Verlauf der MS kann die Gefähigkeit beeinträchtigt sein. Oft sind es jedoch Erschöpfung und kognitive Probleme.

Sollte EBV wirklich Hauptauslöser der Multiplen Sklerose sein, dann könnte das einen großen Durchbruch auf dem Gebiet darstellen, glaubt Jens Kuhle.

Experten zweifeln an Ausrottung der MS

Ein EBV-Impfstoff könnte, sagt Kuhle, auch das Ende von MS bedeuten. Allerdings müsste dazu der Impfstoff jede EBV-Infektion verhindern. Viele Experten, auch Kuhle selbst, bezweifeln jedoch, dass das gelingen kann. Nur wenige Impfstoffe erreichen so eine sogenannte neutralisierende Immunität.

Epstein-Barr-Virus (Foto: IMAGO, imago)
Das Pfeiffersche Drüsenfieber wird durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) hervorgerufen. Es können Symptome wie Fieber, Lymphknotenschwellung und Entzündungen im Rachenbereich entstehen.

Könnte ein Impfstoff jedoch zumindest den Ausbruch des Pfeiffer’schen Drüsenfiebers verhindern, würde es wahrscheinlich zu weniger MS-Fällen kommen. Denn bei Menschen, die die Krankheit entwickeln, ist das MS-Risiko nochmal etwa doppelt so hoch, als bei symptomlos Infizierten.

Jens Kuhle ist es wichtig, dass diese Ergebnisse keine Panik auslösen. Die allermeisten Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit dem EBV, allerdings entwickeln nur sehr wenige eine MS – selbst von denjenigen, die am Pfeiffer'schen Drüsenfieber erkranken. Außerdem sei MS heutzutage eine sehr gut behandelbare Krankheit und die allermeisten Patienten würden eine normale Familien- und Karriereplanung betreiben können.

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Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Impuls. (Foto: SWR, Ilyas Buss)
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