Bei Vorsorgeuntersuchungen kommt es wieder auch zu falsch-positiven-Ergebnissen. (Foto: IMAGO, IMAGO/Panthermedia)

Präventivmedizin

Wie Gesundheitschecks helfen oder schaden

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Frank Wittig
Frank Wittig, Reporter für SWR Wissen aktuell (Foto: privat)
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Krebsscreenings werden in der Öffentlichkeit durchweg als positiv wahrgenommen. Dabei ist die Gefahr, durch Früherkennung ohne Not zum Krebspatient zu werden, erheblich.

Führen Früherkennungen zu Fehlbehandlungen?

Die Hightech-Medizin eröffnet heute einen Einblick in den menschlichen Körper, von dem frühere Generationen nur träumen konnten. Kernspin, Röntgen, Ultraschall, Zellanalyse und Blutproben verwandeln den Körper in ein offenes Buch. Krankheiten und deren Vorstufen werden sichtbar, bevor die Betroffenen etwas spüren. Geniale Voraussetzung für die Früherkennung.

Doch immer häufiger hört man Kritik: Die medizinische Detektivarbeit sei ein zweischneidiges Schwert. Abweichungen von der Norm würden sichtbar und behandelt, obwohl sie für die Betroffenen nie zu einem Problem geworden wären. Mediziner sprechen von Überdiagnosen.

Gefahr von Überdiagnosen

Dr. Klaus Koch vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erklärt den Begriff: Dieser Krebs, den man mit der Früherkennung finde, der aber sonst nie aufgefallen wäre, weil er keine Beschwerden gemacht hätte - "Das nennt man Überdiagnose".

Wir alle glauben, wenn Krebs gefunden wird, ist der automatisch gefährlich, lebensgefährlich. Und wenn man ihn nicht behandelt, tödlich. Aber so einfach ist es nicht.

So werden beispielsweise nach einer großen Zusammenfassung mehrerer Studien zum Brustkrebsscreening von tausend Frauen, die dieses Screening zehn Jahre lang praktizieren, fünf unnötig einer Krebsbehandlung unterzogen. Im Vergleich mit tausend Frauen, die kein Mammographie Screening vornehmen, wird aber nur eine mehr vor dem Brustkrebstod gerettet.

Ein Screening der Brust provoziert auch unnötige Behandlungen.  (Foto: IMAGO,  IMAGO/BSIP)
Ein Screening der Brust provoziert auch unnötige Behandlungen.

Gebärmutterhalskrebs-Screening: Sinnvolle Früherkennung

Aber es gibt auch Krebs-Screenings, die eine deutlich positive Bilanz aufweisen. Am klarsten ist das Bild bei der Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung. Die Einführung dieses Screenings hat viel gebracht: Heute sterben nur noch etwa halb so viele Frauen an Gebärmutterhalskrebs wie vor 30 Jahren.

Bereits in jungen Jahren können Frauen sich auf Gebärmutterhalskrebs testen lassen. Zwischen 20 und 34 Jahren wird Frauen dafür einmal im Jahr ein Abstrich angeboten, der Pap-Test. Dabei werden Schleimhautzellen entnommen und auf Auffälligkeiten überprüft - ein Hinweis auf mögliche Veränderungen im Gebärmutterhals, so genannte Dysplasien. Ausgelöst werden die meist durch beim Sex übertragene Humane Papillomaviren. Zeigen weitere Abklärungsuntersuchungen, dass es sich bei den Gewebeveränderungen um Krebs handelt, wird die befallene Zellschicht mit einem Skalpell oder einer Elektroschlinge abgetragen.

Kritiker bemängeln jedoch, dass diese Untersuchung in Deutschland zu häufig gemacht wird. In keinem anderen Land werden Frauen zu diesem Thema so engmaschig überwacht. Deshalb kommt es auch hier zu Überdiagnosen und zur Entfernung von zu viel Gewebe.

Für junge Männer: Hodenkrebs-Früherkennung durch Selbstabtastung. (Foto: IMAGO,  IMAGO/Panthermedia)
Bereits junge Frauen können sich auf Gebärmutterhalskrebs testen lassen.

Prof. Achim Schneider, der diese Eingriffe seit Jahrzehnten durchführt, weist auf das Risiko für Frühgeburten durch einen beschädigten Gebärmutterhals hin:

Den muss man sich vorstellen wie einen Zylinder. Und der darf nicht vorzeitig aufgehen. Sonst gibt’s eben eine Frühgeburt. Und das hängt auch vom Volumen des Gebärmutterhalses ab. Von der Festigkeit des Gewebes. Deswegen möglichst wenig entfernen, dass es da keine Probleme gibt.

Hodenkrebs-Früherkennung: Do it yourself

Wieder anders sieht es bei der Früherkennung von Hodenkrebs bei jungen Männern aus. Er ist sehr selten. Nur etwa einer von 10.000 Männern bekommt ihn. Deshalb gibt es auch kein von den Krankenkassen bezahltes Screening. Wenn man 10.000 Männer untersuchen muss, um einen Krebs zu finden, ist das Risiko, viele Überdiagnosen zu produzieren, einfach zu hoch.

Außerdem lässt sich Hodenkrebs relativ gut behandeln, so dass der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen stünde, erklärt der Marburger Urologe Prof. Johannes Huber. Stattdessen plädiert er dafür, dass junge Männer sich regelmäßig selbst abtasten, um mögliche Krebsvorgänge am Hoden zu entdecken.

Bei Vorsorgeuntersuchungen kommt es auch immer wieder zu falsch-positiven-Ergebnissen. (Foto: IMAGO, IMAGO/CHROMORANGE)
Für junge Männer: Hodenkrebs-Früherkennung durch Selbstabtastung.

Er bietet sogar Unterrichtseinheiten für Schüler der Oberstufe an, in denen die jungen Männer das Abtasten der Hoden an Gummimodellen üben können. Seine Take-Home-Massage am Ende des Unterrichts:

Wenn was Hartes am Hoden zu tasten ist, was vorher nicht da ist, was vor allem im Seitenvergleich anders ist als auf der anderen Seite, da ist wahrscheinlich was nicht ganz in Ordnung. Wenn’s gleich ist, wird’s von Natur aus so angelegt sein. Und das Zweite ist, wenn man plötzlich starke Schmerzen im Hodensack hat, sollte man schnell ins Krankenhaus.

Krebsfrüherkennung ist ein komplexes Thema. Das Nutzen-Schaden-Verhältnis fällt bei den verschiedenen Screenings sehr unterschiedlich aus. Deshalb sollte man sich im Vorfeld gut informieren.

Linktipp:

Hier werden die gängigen Screenings in Faktenboxen dargestellt. Nutzen und Risiken auf einen Blick. Auf der Basis hochwertiger aktueller Studien.

Buchtipp:

Unsinn Vorsogemedizin: Wem sie nützt, wann sie schadet

Prof. Ingrid Mühlhauser

Rowohlt Taschenbuch; 2. Edition (22. September 2017)

224 Seiten

9,99 €

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