Medizin

Wie die Corona-Pandemie die Psychotherapie verändert hat

Stand
INTERVIEW
Prof. Rainer Holm-Hadulla
ONLINEFASSUNG
Christian Burg

Die Corona-Pandemie hat auch die Behandlung von Patient*innen mit psychischen Krankheiten verändert. Zum Beispiel könnten Psychotherapeut*innen die Schwere einer Depression schlecht am Telefon erfassen. Hier spiele die Körpersprache der Patient*innen eine wichtige Rolle. Psychotherapeut Prof. Rainer Holm-Hadulla von der Universität Heidelberg im Gespräch.

Aufgrund der Corona-Krise haben sich bei fast der Hälfte der Patientinnen oder Patienten Depressionen verschlechtert, bis hin zu Suizidversuchen. Mehr als jeder fünfte Patient bekommt aber keinen Behandlungstermin. Das zeigt eine Umfrage, die im Auftrag der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gemacht wurde. Was machen Menschen mit psychischen Störungen jetzt in der Corona-Zeit, wenn sie zum Beispiel ihre*n Therapeut*in nicht aufsuchen dürfen oder erst gar keinen Termin bekommen?

Ist die Lage wirklich so dramatisch?

Auf alle Fälle. Ich glaube, im individuellen Gespräch hört man noch stärkeres und noch dramatischeres, als sich in den Zahlen abspiegelt. Wir wissen, dass die üblichen Gesundheitsstrategien, die auch bei Depressionen wirksam sind, verloren gehen: viel Bewegung, gute Kontakte. Es gibt eine große Studie der WHO, die zeigt, dass Kontaktmangel ein großes Gesundheitsrisiko darstellt und das durch alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten.

Es gibt aber auch Pandemie-bedingt, beziehungsweise durch die Vorsichtsmaßnahmen bedingt, noch sehr viele andere Risikofaktoren, wie Bewegungsmangel und natürlich auch häusliche Gewalt. Auch das wird sich in den Zahlen erst in ein paar Jahren zeigen. Es dauert lange, bis Traumatisierung, sexuelle Traumatisierung und Ähnliches, überhaupt berichtet werden. Diese Notsituation sehen Psychotherapeuten im persönlichen Gespräch. Deswegen ist es so wichtig, dass sich Psychotherapeuten flexibel einstellen. Und alle Kollegen, die ich kenne, stellen sich flexibel ein. Sie reagieren zum Beispiel auch telefonisch auf Notrufe.

Joggen am Rheinufer (Foto: IMAGO, IMAGO / U. J. Alexander)
Viel Bewegung und gute Kontakte sind üblichen Gesundheitsstrategien, die auch bei Depressionen wirksam sind. In der Corona-Krise bekommen wir aber meist nicht genug davon.

Wie sieht eine Psychotherapie jetzt in Corona-Zeiten aus? Dürfen die Patienten sie noch persönlich besuchen, zu einer therapeutischen Sitzung, oder machen Sie das mit digitalen Werkzeugen?

Also bei mir geht es in Präsenz – schon in aktuellen Krisen und mit Abstand und mit Maske. Ich kann bei mir auch immer gut durchlüften, auch mit einem speziellen Gerät. Das geht schon. Allerdings mit den entsprechenden Einschränkungen.

Das Problem ist, je akuter eine Erkrankung ist, desto wichtiger ist der persönliche Kontakt. Schon auf der diagnostischen Ebene. Die Schwere einer Depression können sie am Telefon oder gar mit einem Fragebogen schlecht erfassen. Da spielt so viel körpersprachlicher Ausdruck mit rein. Jemand sitzt mit hängenden Lidern, mit herab gezogenen Mundwinkeln und so weiter vor ihnen und bewegt sich nicht. Das ist ganz anders, als wenn jemand eine Krise hat, aber sich bewegt und sich eine Lösung überlegt. Das vermittelt oft die Körpersprache.

Aber auch die Grundlagen der Psychotherapie. Zum Beispiel, das gesehen und beantwortet werden. Das ist ja ein Schulen-übergreifendes Prinzip. Ich hab ein Buch darüber geschrieben, wie wichtig, Resonanz und Anerkennung sind, dass sowohl Verhaltenstherapeuten als Psychoanalytiker dieses Prinzip berücksichtigen. Das ist die Basis. Sie müssen einen Resonanzraum aufbauen. Sie müssen dem Patienten Wertschätzung entgegenbringen, damit er ihnen auch vertraut.

Psychotherapie per Videochat (Foto: IMAGO, IMAGO / MiS)
Psychotherapeuten müssen flexibel einstellen. Zum Beispiel auch telefonisch auf Notrufe antworten. Das Problem ist, dass persönlicher Kontakt wichtig ist auf diagnostischer Ebene. Patienten, die zum ersten Mal zu einer Sitzung kommen, kann man kaum über Telefon oder Facetime diagnostizieren.

Bei Patienten, die man noch nicht kennt, ist es, glaube ich, kaum möglich, über Telefon oder über Facetime das so gut machen zu können. Zumindest sehr viel schwerer. Und gerade beim Vertrauen. Patienten merken, ob sie konzentriert und wohlwollend sind und letztendlich auch kompetent zuhören oder ob sie desinteressiert innere Kategorien abklappern.

Jeder fünfte Patient bekommt keinen Behandlungstermin, sagt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Ist das der Corona-Krise geschuldet oder war das schon vor der Krise so?

Es liegt schon auch an der Krise. Wenn da Patienten mit sehr ernsthaften Störungen sind, haben Psychiater häufig ein ganz kleines Zeitfenster, um ihre Patienten wirklich anzuhören. Das liegt auch an der Vergütung. Sie können dann ein Medikament aufschreiben, aber die medikamentöse Behandlung geduldig und häufiger in kürzeren Abständen zu begleiten, den Patienten nicht alle drei Monate kommen zu lassen, sondern vielleicht auch mal einmal in der Woche, da ist zu wenig Spielraum.

Wird diese Krise auch ihren Beruf verändern?

Wir werden hoffentlich einiges lernen. Es gibt ja auch viele, die in dieser Krise bewusster mit sich und anderen umgehen. Menschen, die bewusster noch mal die Bedeutung von Bewegung, von Kontakten spüren und entdeckten, wie wichtig ein Spaziergang im Wald ist. Durch die Pandemie wird sicher auch ein Stück Nachdenken erzeugt werden, was im Leben wirklich wichtig ist und auf der Welt.

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