Junge schläft auf seinen Büchern. (Foto: IMAGO, IMAGO / Panthermedia)

Kommentar zur IGLU-Studie in Schulen

Immer weniger Viertklässler können lesen

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
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Elisabeth Theodoropoulos

Das deutsche Bildungssystem steckt in der Krise: Nun zeigt die IGLU-Studie das dritte Mal in Folge, dass eine steigende Zahl von Kindern am Ende der Grundschule nicht richtig lesen kann.

Lehrkräftemangel, Schulabbrecher, Leistungsverschlechterungen bei den Jüngsten. Das deutsche Bildungssystem braucht dringend eine Modernisierung. Darauf weisen auch die jüngsten IGLU-Ergebnisse hin.

In der international durchgeführten Lesefähigkeitsstudie konnten sich Länder wie Russland oder Slowenien in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich verbessern. «In Deutschland, den Niederlanden und Schweden zeigt sich hingegen eine problematische Entwicklung», heißt es in dem Bericht.

Ein Kommentar von Anja Braun aus der SWR Wissenschaftsredaktion:

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Jedes vierte Kind in Deutschland kann nach der Grundschule nicht richtig lesen

Es drängt sich der Eindruck auf, als habe die Politik mittlerweile eingepreist, dass jedes vierte Kind schon nach den Grundschuljahren vom Bildungssystem quasi aussortiert wird. Denn das ist es – ein Aussortieren, denn wer nicht lesen kann, wird es in der weiterführenden Schule sehr schwer haben – ein Mißerfolg ist da so gut wie vorprogrammiert.

Ja, jetzt wird kurz laut getrommelt und die bereits beschlossenen Auffangprogramme werden nochmal in die Kamera gehalten. Aber etwas wirklich Bahnbrechendes ist nicht in Sicht. Können wir uns das wirklich leisten, ein Viertel unserer Kinder durch den Rost fallen zu lassen? Immer noch ist es so, dass die Herkunft – also die Mittel, die die Eltern einsetzen können, um ihrem Kind zu helfen, den Weg durch die Bildungslandschaft bahnt.

Um mal Klartext zu reden: Elternunabhängig geht an deutschen Grundschulen eigentlich nichts:

Ich erinnere an eine Kollegin, die in der Zeit der Schulschließungen vor der Aufgabe stand, dem Kind selbst das ABC beizubringen. Heute ist der Buchstabe U dran – schrieb ihr die Lehrerin per Email. Versuchen Sie mit dem Kind das U zu malen, zu singen, zu kneten und Wörter mit U zu besprechen. Prima, sagte die Kollegin, bloß wann soll ich das machen? Aber ich kann eine Nachhilfeschülerin finden und bezahlen, die das am Nachmittag mit meinem Kind durchgeht. Wohl dem, der die Mittel hat.

Erstklässler lernt schreiben. (Foto: IMAGO, IMAGO / U. J. Alexander)
Während der Pandemie mussten viele Eltern neben ihrem Job ihren Kindern noch das ABC beibringen. Wenn sie keine Zeit dafür hatten, aber gut verdienen, konnten sie Nachhilfeschüler*innen dafür anstellen .

Grundschullehrer*innen müssen viele Rollen parallel erfüllen

Und das soll jetzt dezidiert keine Lehrkraft-Schelte sein – denn gerade die Lehrerinnen und Lehrer an der Grundschule sind wirklich extrem stark gefordert. Die Grundschule ist der melting pot unserer Gesellschaft – und die Aufgaben, die die Lehrkräfte zu bewältigen haben, sind meines Erachtens eigentlich gar nicht mehr erfolgreich leistbar.

Schülerin schreibt das ABC an die Tafel. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / dpa | Daniel Reinhardt)
Das Erlernen der Lesekompetenz in der Grundschule ist die zentrale Grundlage für das gesamte weitere schulische sowie außerschulische Lernen.

Neben der Vermittlung der Lesefähigkeit, dem Rechnen, der Sachkunde und anderen Inhalten müssen sie integrieren, die deutsche Sprache beibringen, gesellschaftliche Werte vermitteln und die Kinder in vielen Facetten erziehen. Und weil die Grundschullehrkräfte mit all diesen Aufgaben gar nicht zu Rande kommen können, sind sie auf die Mitarbeit und Mithilfe der Eltern zuhause angewiesen. Das war schon immer so und hat sich bis heute kaum verändert. Das schreibt auch der IGLU-Bericht: Die sozialen Disparitäten in der Lesekompetenz sind seit 20 Jahren unverändert.

Was sind die Ideen von Bund und Ländern um diesem entgegenzuwirken?

Ja gut – und jetzt? Dass die Kultusminister die Zahl der tatsächlich benötigten Lehrerinnen und Lehrer verpeilt haben, haben sie ja bereits eingeräumt. Nun puzzelt jedes Bundesland wieder vor sich hin: Quer- und Seiteneinsteiger fürs Lehramt werden mal gerne, mal eher ungerne gesehen und um unterstützendes Personal wird nicht überall geworben. Hier sollten alle Länder deutlich offener sein und zusehen, wie sie rasch mehr tatkräftige Unterstützung der Lehrkräfte an die Grundschulen holen können.

Auch das Startchancenprogramm von Bund und Ländern – bisher mit einer Milliarde Euro des Bundes versehen – auf das die Länder nochmal eine Milliarde Euro drauflegen sollen – ist im Prinzip ein guter Ansatz. Schulen mit sozial benachteiligten Schülern sollen hiervon profitieren – 4.000 Stück bundesweit.

Schüler*innen der vierten Klasse lesen im Unterricht. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance/ ZB | Martin Schutt)
Die Lesekompetenz von Viertklässler*innen ist neben der Fähigkeit der Lehrenden auch abhängig von der Mithilfe der Eltern.

Aber die Länder wollen keine Verteilung der Finanzen nach Bedürftigkeit der Schulen, sondern erstmal nach Bundesländern. Nur ganze 5 Prozent der Summe sollen in einen Solidarfonds gehen, der dann Bundesland-unabhängig an bedürftige Schulen fließen darf. Ich finde: Bundesweite Solidarität mit Schülerinnen und Schülern unabhängig vom Wohnort wäre jetzt mal angesagt.

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Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
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