Digitalisierung: Kindern sollte in der Schule der richtige Umgang mit digitalen Medien vermittelt werden.  (Foto: IMAGO, IMAGO/Funke Foto Services)

"Die Kreidezeit ist vorbei"

Tablets aus dem Unterricht verbannen? Kommentar zur Digitalisierung an Schulen

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Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Werden Kinder durch die Nutzung von Tablets und Computern an Schulen immer dümmer? 40 Wissenschaftler sowie Kinder- und Jugendärzte fordern von den Kultusministern ein Moratorium der Digitalisierung an Schulen. Ralf Caspary aus der SWR Wissenschaftsredaktion gibt Entwarnung.

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Als Gründe für die Forderung werden von den Fachleuten die sinkende Lernleistung sowie negative gesundheitliche, psychische und soziale Nebenwirkungen genannt. Zu den Erstunterzeichnern der Erklärung gehören der Medienpädagoge Ralf Lankau und der Hirnforscher und Mediziner Manfred Spitzer. "Die wissenschaftliche Erkenntnis ist inzwischen, dass Unterricht mit Tablets und Laptops die Kinder bis zur 6. Klasse nicht schlauer, sondern dümmer macht", sagt Lankau. SWR Bildungsexperte Ralf Capary sieht das etwas differenzierter:

Ralf Caspary (Foto: SWR)

Diese dramatisch klingende Forderung nach einem Moratorium für die Grundschule hat für mich drei interessante Aspekte.

  • Erstens: Die Digitalisierung an deutschen Schulen, erst recht an den Grundschulen, ist ungefähr so weit vorangekommen wie eine Schnecke in 10 Minuten beim hundert Meter- Kriech-Wettbewerb. Was will man sich also aufregen, in den Schulen beherrschen doch noch immer Heft und Tafel den Unterricht. Es lebe die Kreidezeit!
  • Zweitens: Nun ja, einer der Erst-Unterzeichner ist der Hirnforscher Manfred Spitzer, von dem weiß ich, dass er in den letzten Jahren mit großer Geste und markigen Worten vehement auf die angeblichen großen Gefahren der digitalen Medien hinweist. Viele seiner Bücher erwecken den Eindruck, wir seien auf dem Weg in eine völlig debile autistische Gesellschaft wegen Smartphone und Co.
Der Ulmer Mediziner und Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer warnt schon seit Jahren vor den Gefahren digitaler Medien - insbesondere für Kinder. (Foto: IMAGO, imago images/Andreas Weihs)
Der Ulmer Mediziner und Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer warnt schon seit Jahren vor den Gefahren digitaler Medien - insbesondere für Kinder.
  • Drittens - und jetzt folgt eine Binsenweisheit: Die digitalen Medien sind so gut oder schlecht, wie die Pädagogen, die sie einsetzen. Wie oft muss man das wiederholen? Der gute Pädagoge wird seine Schüler und Schülerinnen bestimmt nicht in der ersten Klasse vier Stunden vor das Laptop setzen - das wäre in der Tat gesundheitsschädlich und Gift fürs Gehirn. Der gute Pädagoge wird auch kaum den Kindern sagen: Ihr braucht nicht mehr rechnen lernen, das macht der Computer für Euch. Der gute Pädagoge wird die digitalen Medien moderat und ergänzend einsetzen, und dann gibt es viele Vorteile, die durch Studien belegt sind.

Medienkompetenz sollte auch ein Teil schulischer Bildung sein

Zum Beispiel: Schüler-zentrierte Projekte und individualisierte Lernformate nehmen zu – und das sind ja Formate, die für modernes Lernen unverzichtbar sind. Schüler lernen auf spielerische Weise verschiedene Textformen kennen, wie schreibt man in Blogs, in Chats, was passiert, wenn ich ChatGPT sage, schreib mir mal ein Weihnachtsgedicht- das kann zudem richtig witzig sein.

Die Kinder lernen selbständig zu einem Thema zu recherchieren, sie lernen, was wichtig ist, was man weglässt, und sie erproben auf spielerische Weise: Wie drehe und schneide ich einen kleinen Film, wie komponiere ich ein Musikstück. Das alles bedeutet auch Gewinn an Medienkompetenz, sie ist heute unerlässlich in einer digitalen Welt.

Digitalisierung: Kindern sollte in der Schule der richtige Umgang mit digitalen Medien vermittelt werden.  (Foto: IMAGO, imago images/MiS)
Digitalisierung: Kindern sollte in der Schule der richtige Umgang mit digitalen Medien vermittelt werden.

Dämonisierung digitaler Medien - Wir leben nicht mehr in der Kreidezeit

Die Forderung der Wissenschaftler nach einem Moratorium holt wieder die alte Keule aus der Mottenkiste und dämonisiert die digitalen Medien. Die digitalen Medien würden krank und dumm machen - das steckt ja als Botschaft hinter der Forderung nach einem Moratorium. Ja, das ist sogar richtig, wenn man - wie erwähnt - Grundschul-Kinder stundenlang vor dem Laptop parkt, aber welcher Pädagoge macht das schon?

Frontalunterricht an der Tafel ist im wahrsten Sinne des Wortes "old school". Digitale Medien komplett aus der Schule zu verbannen, kann auch nicht die Lösung sein. (Foto: IMAGO, IMAGO/Funke Foto Services)
Frontalunterricht an der Tafel ist im wahrsten Sinne des Wortes "old school". Digitale Medien komplett aus der Schule zu verbannen, kann auch nicht die Lösung sein.

Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, Schüler erst mit zehn Jahren mit den digitalen Medien in Berührung zu bringen, weil die ja angeblich so gefährlich sind. Das ist Denken aus der Kreidezeit, und die ist vorbei!

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