Ein minimal-invasiv unter der Haut eingepflanzter Hirnschrittmacher könnte möglicherweise Epliepsie-Patient*innen helfen, bei denen Medikamente keine Hilfe brachten. (Foto: Pressestelle, Uniklinik Freiburg)

Medizintechnik

Hirnschrittmacher verspricht Hilfe bei Epilepsie

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INTERVIEW
Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums der Klinik für Neurochirurgie des Uniklinikums Freiburg
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Ralf Caspary
Ralf Caspary (Foto: SWR)
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Ralf Kölbel

Bei circa 200.000 Epilepsie-Patienten und Patientinnen in Deutschland helfen Medikamente nicht oder nicht ausreichend. Und genau bei dieser Personengruppe könnte ein minimalinvasiver Hirnschrittmacher die Lösung sein.

Ende September ist der weltweit erste minimalinvasive Hirnschrittmacher für Epilepsiepatienten zugelassen worden, der die Anfallshäufigkeit und auch die -stärke deutlich reduzieren kann. Die europäischen Zulassungsstudien wurden am Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums Freiburg geleitet. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums der Klinik für Neurochirurgie des Uniklinikums Freiburg, hat diese Zulassungsstudien geleitet.

Was wird bei solchen Zulassungsstudien genau geprüft?

Andreas Schulze-Bonhage: Wenn es sich um ganz neue medizinische Geräte handelt, wie im vorliegenden Fall, dann wird zunächst einmal geprüft, ob bei deren Anwendung eine ausreichende Sicherheit für die Patienten besteht. Das heißt, ein ganz wesentlicher Bestandteil ist zu prüfen, wie gut verträglich ist das? Gibt es irgendwelche Risiken, die Patienten eingehen, wenn sie sich so einer Behandlung unterziehen?

Aber natürlich ist genauso wichtig und für die entsprechende Anwendung dann auch zentral, wie wirksam eine solche Behandlung ist. Das heißt in diesen Studien wurde sehr genau erfasst, ob Patienten diese Behandlung gut vertragen, ob es irgendwelche Nebenwirkungen gibt, mit denen man vielleicht nicht gerechnet hätte. Und auf der anderen Seite wurde untersucht, wie sich die Behandlung auswirkt. Und das ist bei Epilepsiepatienten im Wesentlichen der Effekt auf die Häufigkeit und auch auf die Schwere der epileptischen Anfälle.

Ein unter der Kopfhaut platzierter Hirnschrittmacher könnte möglicherweise Epilepsie-patient*innen helfen, bei denen Medikamente keine Besserung brachten. (Foto: Pressestelle, Precisis GmbH)
Ein unter der Kopfhaut platzierter Hirnschrittmacher könnte möglicherweise Epilepsie-patient*innen helfen, bei denen Medikamente keine Besserung brachten.

Was leistet dieser minimalinvasive Hirnschrittmacher?

Andreas Schulze-Bonhage: Bei diesem Schrittmacher werden elektrische Reize durch den Schädel hindurch auf das Gehirn gegeben, und zwar in zwei verschiedenen Formen von solchen Reizungen kombiniert. Das erfolgt über einen bestimmten Zeitraum, etwa 25 Minuten am Tag, ohne dass der Patient das selbst bemerkt, weil die Intensität so gering ist, dass sie nicht gespürt werden kann.

Durch diese elektrischen Reize wird das Areal beeinflusst, von dem epileptische Anfälle ausgehen. Es ist also geeignet für Patienten, die eine sogenannte fokale Epilepsie haben, die in einem bestimmten Hirnareal ihren Ursprung nimmt. Wir haben in diesen Studien dann gesehen, dass bei einer solchen Reizung durch den Schädel hindurch die Anfallsfrequenz im Mittel, über alle Patienten gemittelt, um ungefähr die Hälfte abgenommen hat und dass auch ungefähr die Hälfte der Patienten eine so starke Abnahme hatte.

Einige Patienten hatten sogar eine stärkere Abnahme als 50 Prozent. Wenn man bedenkt, dass das Patienten sind, die besonders schwer behandelbar sind, die also schon viele andere Behandlungen, insbesondere viele medikamentöse Behandlungen, ohne Erfolg hinter sich haben, dann ist das ein sehr gutes Ergebnis.

Der Hirnschrittmacher soll dabei helfen, epileptischen Anfällen vorzubeugen. Durch Künstliche Intelligenz könnte diese Technik künftig noch weiter verbessert werden. (Foto: Pressestelle, Uniklinik Freiburg)
Der Hirnschrittmacher soll dabei helfen, epileptischen Anfällen vorzubeugen. Durch Künstliche Intelligenz könnte diese Technik künftig noch weiter verbessert werden.

Wo genau sitzt dieses Gerät?

Andreas Schulze-Bonhage: Ein solches Gerät besteht aus einer Elektrode, über die die elektrischen Reize abgegeben werden, und aus einem Generator, der sozusagen eine Batterie hat und diese Reizungen steuert. Dieser Generator wird wie ein Herzschrittmacher im Bereich des Rumpfes angesetzt. Und die Elektrode, das ist eine Besonderheit dieses Verfahrens, die ist über ein Kabel mit dem Generator verbunden, das unter der Haut liegt.

Diese Elektrode wird nicht im Gehirn selbst angesetzt, sondern sie wird auf dem Kopf unter die Kopfhaut gelegt und reizt von dort aus das Gehirn.

Es gibt schon zwei Verfahren der Stimulation, bei denen im Gehirn selbst stimuliert wird. Das hat aber zusätzliche Risiken. Natürlich, weil man eine Operation machen muss und man dabei eventuell ein Gefäß verletzen kann. Oder weil es auch zu einer Infektion kommen kann. Diese Risiken bestehen bei dieser neuen Behandlung nicht.

Der Hirnschrittmacher wird minimal-invasiv unter der Kopfhaut platziert.  (Foto: Pressestelle, Precisis GmbH)
Der Hirnschrittmacher wird minimal-invasiv unter der Kopfhaut platziert.

Ist dieses Gerät ein Meilenstein bei der Behandlung von diesen Patientinnen und Patienten?

Andreas Schulze-Bonhage: Wir hoffen das alle. Die ersten Ergebnisse jetzt an insgesamt 32 behandelten Patienten sind sehr vielversprechend. Aber natürlich brauchen wir noch weitere Daten und werden die auch erheben an einer großen Patientenzahl, die eben jetzt den Zugang zu dieser Behandlung haben. Und insbesondere werden wir natürlich auch den Langzeitverlauf erheben. Bei den meisten Stimulationsverfahren ist es so, dass über die Zeit die Wirksamkeit noch zunimmt, sodass es also sehr interessant sein wird, über die nächsten Jahre auch die Langzeitdaten dieser Patienten zu analysieren.

Die minimal-invasiven Hirnschrittmacher haben nach aktuellen Erkenntnissen kaum Nebenwirkungen und könnten wohl auch Patientinnen und Patienten helfen, bei denen Medikamente nicht erfolgreich waren. (Foto: IMAGO, imago/Science Photo Library)
Die minimal-invasiven Hirnschrittmacher haben nach aktuellen Erkenntnissen kaum Nebenwirkungen und könnten wohl auch Patientinnen und Patienten helfen, bei denen Medikamente nicht erfolgreich waren.

Gibt es Nebenwirkungen, die man berücksichtigen muss?

Andreas Schulze-Bonhage: Hier wird letztlich die Elektrode nur auf dem Schädel befestigt und unter die Haut gelegt. Es gibt deshalb so ein bisschen Brennen oder Parästhesien, sagen wir also Missempfindungen im Bereich der Haut, wo man diesen kleinen Schnitt gemacht hat. Das hört aber in der Regel nach zwei, drei Wochen auf und wir haben sonst eigentlich keine schwereren Nebenwirkungen weder von dem Anbringen des Stimulators noch unter der Stimulation selbst gesehen. Also bisher scheint es eine extrem gut verträgliche Behandlung zu sein.

Eine weitere Studie mit künstlicher Intelligenz ist geplant. Was machen Sie da genau? Was haben Sie vor?

Andreas Schulze-Bonhage: Bei dem jetzigen Verfahren ist es so, dass eine bestimmte Stimulation festgelegt wird und die dann über viele Monate und Jahre appliziert wird, also über dem Fokus-Areal eine Reizung in fester Form durchgeführt wird. Für die Zukunft ist geplant, dass man diese Elektrode auch benutzt, um das EEG, also die elektrischen Hirnströme des Patienten zu messen und dann zu überlegen: Kann man vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders wirksam stimulieren? Und auch: Welche Stimulationsform ist die Beste? Man kann also sozusagen ein Feedback bekommen.

Was wirkt eigentlich, wenn wir eine solche Stimulation durchführen? Wie ändert sich dadurch die Hirnaktivität? Und können wir bestimmte Zeitpunkte wählen? Das kann also bei einem Anfall sein. Es könnte aber auch sein in einer Phase vor einem Anfall, wenn man schon erkennen kann, dass das Risiko für einen Anfall besonders hoch ist.

Der am Körper-Rumpf implantierte Stromgenerator versorgt den Hirnschrittmacher mit dem nötigen Strom. (Foto: Pressestelle, Precisis GmbH)
Der am Körper-Rumpf implantierte Stromgenerator versorgt den Hirnschrittmacher mit dem nötigen Strom.

Könnte es auch sein, dass so ein Hirnschrittmacher für andere Krankheiten eingesetzt werden kann?

Andreas Schulze-Bonhage: Der aktuelle Schrittmacher ist natürlich jetzt für die Behandlung von Epilepsien optimiert. Grundsätzlich ist es aber so, dass es eine Reihe von Hirnerkrankungen gibt, übrigens auch von psychiatrischen Erkrankungen, wo man überlegen kann, ähnliche Stimulationen durchzuführen. Es gibt im Moment auch schon sogenannte transkranielle Stimulationsverfahren, die aber nicht als ein festes Gerät implantiert werden, sondern die zum Beispiel in einer Klinik angewandt werden zur Behandlung von Depressionen.

Und man könnte sich vorstellen, dass dieses Gerät als Plattform auch für andere Anwendungen geeignet ist. Man kann es sich auch zur Schmerzbehandlung zum Beispiel vorstellen. Also da gibt es schon eine Reihe von möglichen weiteren Anwendungen.

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