Meerassel im Wasser auf einem Blatt (Foto: IMAGO, IMAGO / blickwinkel)

Biodiversität

Die Biene des Meeres

Stand
AUTOR/IN
Leonie Kalscheuer

An Land sind Bienen und andere Insekten als Bestäuber von Pflanzen bekannt. Eine Studie zeigt nun, dass diese Art der Fortpflanzung auch im Meer vorkommt: Kleine Asseln bestäuben dort Rotalgen.

Baltische Meerassel überrascht die Wissenschaft

Hummeln, Bienen, Kolibris, Schmetterlinge und andere fleißige Bestäuber tragen zur Fortpflanzung der Samenpflanzen bei und nehmen dadurch eine wichtige Funktion in der Natur ein. Bis vor Kurzem galt das Tragen der Pollen von einer männlichen zu einer weiblichen Pflanze als allein den Tieren an Land vorbehalten.

Aber eine Studie zeigt jetzt, dass diese Art der Fortpflanzung auch im Ozean eine Rolle spielt. Ein internationales Forscherteam hat herausgefunden, dass die Baltische Meerassel „Idotea balthica“ den Weg der Bestäubung nutzt, um die Befruchtung von Rotalgen zu fördern. Dieses bis zu 3 cm große Meereskrustentier trägt das Sperma von den männlichen zu den weiblichen Organismen weiter, was die Fortpflanzung der Alge ermöglicht. Als "Bienen des Meeres" helfen die Asseln der Pflanze so bei der Bestäubung.

Lange Zeit ist man in der Biologie davon ausgegangen, dass Meeresalgen ohne Bestäuber auskommen. Das Forschungsteam um die Biologin Myriam Valero, die am Forschungslabor Station Biologique de Roscoff in Frankreich tätig ist, hat diese vorherrschende Annahme jetzt widerlegt.

Wie funktioniert Bestäubung unter Wasser?

Die Meerasseln nutzen die dicht verzweigten, buschigen Rotalgen als Unterschlupf und auf der Oberfläche der Algen wachsen Mikroalgen, welche ihnen als Nahrungsquelle dienen. Je nach Nahrung weisen die Tiere auch eine andere Färbung auf, von hellgrün bis dunkelbraun.

dunkle Meerassen  (Foto: IMAGO, IMAGO / blickwinkel)
Die Färbung der Asseln folgt der Nahrung und ist sehr variabel von hellgrün bis dunkelbraun und weist z. T. ein Muster auf.

Im Gegenzug dafür übernehmen die Tiere die Befruchtung der Pflanzen. Das Spermatia – die Spermienversion der Algen - wächst auf der Blattoberfläche. Wenn die Asseln eine männliche Alge abweiden, klebt es mittels einer Substanz an ihrem Rücken fest. Bei einem darauffolgenden Kontakt mit einer weiblichen Rotalge lösen sich die Spermien wieder ab und heften sich beim Vorbeistreifen an die weiblichen Fortpflanzungsorgane. So werden die Eier der Alge bestäubt.

Die Arbeit der Asseln spielt für die Rotalgen eine tragende Rolle. Denn den männlichen Geschlechtszellen fehlen Geiseln, sie sind daher nicht in der Lage, sich selbständig zu fortzubewegen. Die Befruchtungserfolge wären ohne die Meerasseln stark von der Wasserströmung und der örtlichen Nähe von männlichen zu weiblichen Algen abhängig.

Die Suche hat sich gelohnt

Rotalgen im Meer  (Foto: IMAGO, IMAGO / imagebroker)
Die Rotalgen, sind eine eine von Algenart, von denen viele durch die an der Photosynthese beteiligten Phycobiline rot gefärbt sind. Sie sind ein wichtiges, natürliches Calciumpräperat und enthalten viele Mineralstoffe.

Schon 2016 haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Karibik herausgefunden, dass Zooplankton Seegras bestäuben kann. Durch diese Entdeckung wurde die Biologin Valero neugierig, ob das gleiche Phänomen bei Rotalgen auftritt.

Um die Frage zu beantworten, pflanzten die Forschenden männliche und weibliche Rotalgenpflanze etwa 15 cm voneinander entfernt in zwei Aquarien. In eines der beiden Wasserbecken gab das Forschungsteam die Meerasseln hinzu. Das Ergebnis der Studie war deutlich: Das Becken mit den Krebstieren zeigte eine 20-fache Verbesserung der Befruchtungsquote. Unter dem Mikroskop war das Spermatia, welche an den Körpern der Idotea balthica hafteten, sichtbar.

Schwere Forschungsbedingungen

Doch die kleinen Tierchen machten es den Forschenden nicht leicht. Sébastien Colin, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen und Mitautor der Studie, erklärt: „Eine der Herausforderungen bestand vor allem darin, die vielen kleinen, nur wenige Mikrometer großen Geschlechtszellen auf der ebenso mikroskopisch kleinen, aber 1000-mal größeren Körperoberfläche der Baltischen Meerassel zu lokalisieren und zu dokumentieren“.

Wie essenziell diese Krustentiere tatsächlich für die Verbreitung der Algen sind, wurde in der Studie noch nicht vollständig nachgewiesen. Die Forschenden wollen nun herausfinden, ob auch andere Algenarten in vergleichbarer Form bestäubt werden.

Mikroskop mit Auge  (Foto: IMAGO, IMAGO / ITAR-TASS)
Mithilfe eines Experiments zeigte das Forschungsteam, wie effizient die kleinen Meerasseln die Befruchtung durchführen.

Spannende Entdeckung für die Wissenschaft

In der Algenforschung wurden durch die neuen Erkenntnisse allerdings bereits jetzt ein großer Schritt gemacht. Die Annahme, dass die Befruchtung mithilfe von Tieren bei Pflanzen erst an Land und vor etwa 140 Millionen Jahren ihren Ursprung hat, wurde so zweifelhaft. Denn Rotalgen kommen schon sechsmal so lang auf der Erde vor. Es könnte also sein, dass es diese Wechselwirkung zwischen Pflanzen und Tieren schon sehr lange gibt.

Rotalgen entstanden vor über 800 Millionen Jahren und ihre Befruchtung durch tierische Vermittler kann lange vor dem Ursprung der Bestäubung an Land liegen. Wir können jedoch nicht ausschließen, dass sich verschiedene tiervermittelte Befruchtungsmechanismen unabhängig voneinander und wiederholt in terrestrischen und marinen Umgebungen entwickelt haben

Auch laut dem Wissenschaftler und Mitautor Jeff Ollerton seien die Ergebnisse der Studie eine Erschütterung für das Verständnis, wie sich Algen vermehren. Er betont, dass die Verwendung eines Dritten für die Reproduktion viel tiefere Wurzeln haben könnte, als lange vermutet wurde. Diese Art der Interaktion könnte schon lange vor der Entwicklung von Pflanzen stattgefunden haben.

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Leonie Kalscheuer