Große Hungersnot durch stalinistische Politik – rund 4 Millionen Opfer
Bei Kiew, auf den Höhenzügen über dem Fluss Dnjepr, befindet sich einer der zentralen Erinnerungsorte der heutigen Ukraine – die Holodomor-Gedenkstätte. Sie erinnert an die verheerende, von der stalinistischen Politik herbeigeführte Hungersnot in der Sowjetukraine. Das ukrainische Wort Holodomor bedeutet: „Mord durch Hunger“. Zwischen 1931 und 1933 verhungerten rund 4 Millionen Ukrainer. Die Bronzestatue eines abgezehrten Kindes und ein hoher Turm in Form einer Kerze erinnern an das Massensterben. Der Holodomor betraf die ganze Sowjetukraine in den Grenzen vor dem Zweiten Weltkrieg.
„Diese Katastrophe, die hereinbrach vor allem 1932 bis Sommer Herbst 1933, deren Ursache liegt darin, dass Stalin nach 1929 entschied: „Wir haben zwar jetzt eine Sowjetunion, aber sozial-ökonomisch ist noch vieles beim Alten. Wir müssen die Gesellschaft, die Ökonomie transformieren.“ – Und dazu gehörte die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Und gerade die Ukraine, die ein unabhängiges Bauerntum hatten, traf das doppelt. Zum einen: Die Zwangskollektivierung nach 1929 bedeutete, dass viele, auch die wohlhabenderen Bauern, die Kulaken, Leidtragende waren. Aber dass eben gleichzeitig auch das Rückgrat der ukrainischen Nation gebrochen wurde.“
Bauern wurden damals mit Waffengewalt von ihren Feldern vertrieben, sowjetische Politkommissare beschlagnahmten die Lebensmittel. Die Menschen verhungerten auf den Straßen, Bahndämme waren mit Leichen übersät.
Holodomor: in der Sowjetunion ein Tabu
Bis zur Spätzeit der Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre durfte an den Holodomor in der Ukraine nicht erinnert werden, öffentliche Äußerungen darüber waren verboten. Erst seit Anfang der 1990er-Jahre wissenschaftliche Archive geöffnet wurden, ist historische Forschung zum Holodomor möglich. Heute setzt sich die ukrainische Regierung dafür ein, dass der Holodomor als Genozid anerkannt wird.
„Er ist sicher aus ukrainischer Sicht das zentrale Verbrechen der Sowjetherrschaft an den Ukrainern und soll als solches gesehen und gewürdigt werden. Schließlich ist es auch die Erinnerung daran, dass dieses Verbrechen nur möglich war in einem sehr repressiven Regime. Insofern ist das Gedenken daran eben auch ein politisches Gedenken daran, was repressive politische Ordnung bedeutet und sich gegen die sowjetische Vergangenheit abzugrenzen.“
Tausende Intellektuelle in den 1930ern verhaftet und ermordet
Etwa zeitgleich mit dem Holodomor wurden in den 1930er-Jahren ukrainische Intellektuelle, Menschen aus Kunst und Politik zu Tausenden verhaftet und meist nach kurzem Prozess erschossen.
SWR 2021
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