Es begann mit einer Hauptuntersuchung bei der Prüfgesellschaft Dekra in Mutterstadt. Vor rund einem Jahr gab Klaus Parujek sein Auto dort zur Inspektion ab. Nach der Untersuchung kam es allerdings zu einem Unfall: Der zuständige Prüfer fuhr mit Pajureks Auto vom Prüfstand rückwärts auf ein anderes, in der Werkstatt parkendes Fahrzeug. "Das kann jedem Mal passieren", dachte Klaus Pajurek sich damals. Denn natürlich ist die Dekra für solche Fälle versichert.
Monate später allerdings wurde Pajurek trotzdem zur Kasse gebeten: Von seinem eigenen Haftpflichtversicherer, der HUK24. Laut einem Schreiben sollte er um 14 Schadensklassen zurückgestuft werden, sein Versicherungsbeitrag um zehn Prozent steigen. Es sei denn, Klaus Pajurek erstatte der HUK24 rund 720 Euro.
Muss der Kfz-Versicherte für einen unverschuldeten Schaden zahlen?
Mehrfach habe er mit der Haftpflichtversicherung telefoniert, sich auch schriftlich beschwert. Allerdings sei er jedes Mal zurückgewiesen worden, so erzählt es Klaus Pajurek.
Der HUK-Konzern erklärte die Schadensforderung indes mit gesetzlichen Regelungen. Den Schaden, der an dem parkenden Auto verursacht wurde, habe der Versicherer zur Hälfte tragen müssen, heißt es in dem Schreiben an Klaus Pajurek.
[Die HUK hat] aufgrund der gesetzlichen Regelung gemäß §78 Versicherungsvertragsgesetz den Schaden zur Hälfte tragen müssen. Mit der Zahlung wurde Ihr Vertrag belastet.
Schaden bei Hauptuntersuchung wird von zwei Versicherungen abgedeckt
Zahlen für einen Unfall, den jemand von der Prüfgesellschaft Dekra verursacht hat? Im Gesetzestext ist von einer so genannten Mehrfachversicherung die Rede. Das bezieht sich auf den Schaden an jenem parkenden Auto, auf das der Dekra-Prüfer mit dem Auto von Klaus Pajurek draufgefahren war.
Tatsächlich ist gesetzlich geregelt, dass solch ein Schaden von zwei Versicherungen abgedeckt wird - in diesem Fall nämlich von der Haftpflichtversicherung der Dekra und der Kfz-Haftpflichtversicherung des "verursachenden" PKWs. Laut Gesetz müssen sich die beiden Versicherer folglich die Kosten des Schadens an dem parkenden Auto teilen. So kommt es zur Forderung von 720 Euro. Doch ist das fair – oder üblich?
Größte Kfz-Versicherungen im Vergleich
Auf Nachfrage erklärt der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft in Berlin schriftlich, dass es für die Branche Muster-Bedingungen gebe. Diese Vorlage sähe vor, dass der Vertrag des Kunden bei Vorliegen einer Mehrfachversicherung als schadensfrei zu behandeln ist.
Das heißt: der Gesamtverband rät den Versicherungen, sich den Schaden zwar untereinander zu teilen, den Kunden aber nicht dafür zahlen zu lassen. Die Muster-Bedingungen sind allerdings nicht verbindlich – die einzelnen Versicherungen können von der Empfehlung abweichen.
Tatsächlich kommt dies aber kaum vor. Das ergibt eine Marktcheck-Recherche der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) der 15 größten Auto-Versicherer – neben der HUK. Kein einziger dieser anderen Versicherer weicht von den Musterbedingungen des Gesamtverbandes ab. Bei einem Unfall wie im Fallbeispiel gelten die Verträge der Kunden grundsätzlich als schadenfrei, die Kunden werden also nicht zurückgestuft und haben auch keine Kosten.
Rabatte für Autoversicherung Telematik-Tarife: Geld sparen bei der Kfz-Versicherung?
Hunderte Euro sparen bei der Autoversicherung mit den so genannten Telematik-Tarifen: Wie das geht, für wen das Sinn macht, welche Vor- und Nachteile es für Autofahrer gibt.
HUK24 – Kunden zahlen bei Unfällen mit Mehrfachversicherung mit
Anders ist dies bei der HUK-Coburg. Laut den Bedingungen der HUK-Coburg Versicherungsgruppe werden Kunden in solchen Fällen zur Kasse gebeten. Und das, obwohl das Unternehmen mit rund 14 Millionen Kunden Deutschlands größter Kfz-Versicherer ist.
Die Marktcheck-Recherche ergibt zudem, dass das nicht immer so war: Die Bedingungen haben sich diesbezüglich für Kunden sogar verschlechtert. Laut den AKBs von HUK24 aus dem Jahr 2020 hätten die Versicherten bei einer Ausgleichspflicht infolge einer Mehrfachversicherung ebenfalls nichts zahlen müssen. Laut den AKBs von 2022 gilt dies inzwischen allerdings nicht mehr. Bei Unfällen mit Mehrfachversicherung müssen die Versicherten den Schaden mitzahlen.
Wer in den vergangenen Jahren seinen HUK-Vertrag gewechselt hat – zum Beispiel von einem älteren HUK-Coburg-Vertrag zu einem neueren Vertrag beim Direktversicherer HUK24 - hat sich die neuen Bedingungen eingehandelt, womöglich sogar ohne es zu bemerken. So war dies wohl auch bei Klaus Pajurek.
Kunden sollen Kosten für Schaden selbst eintreiben
Auf die Frage, warum die HUK-Coburg-Versicherungsgruppe die AKBs seiner Autoversicherungen geändert hat, reagiert das Unternehmen ausweichend. Anstatt die Kosten zu übernehmen, rät man den Kunden, sich die entstehenden Kosten beim Verursacher oder dessen Versicherung zurückzuholen.
Diesen Rückstufungsschaden kann der Fahrzeughalter jedoch bei der Werkstatt und ggf. bei der Handel-/Handwerkversicherung geltend machen.
Entwarnung für Kunden mit Altverträgen
Klaus Pajurek soll also von sich aus das Geld bei der Dekra oder deren Versicherung einfordern. Er hält das für „ein Unding“, wie er sagt.
Der Versicherungsrechtler Prof. Hans-Peter Schwintowski gibt für diesen Fall allerdings Entwarnung. Kunden, die zum Beispiel vor einigen Jahren bei der HUK einen Vertrag zu den alten, besseren Konditionen abgeschlossen hatten, dürften nicht ohne weiteres schlechter gestellt werden. Ein Versicherer müsse den Kunden fragen, ob er mit einer Änderung der Bedingungen einverstanden sei. Geschehe dies nicht, sei die Änderung unzulässig und die neuen Bedingungen dürften so nicht angewandt werden.
HUK befreit Kunden vom Schadensfall – aus Kulanz
Das gilt also wohl auch im Fall von Klaus Pajurek. Er habe nichts von den geänderten Vertragsbedingungen geahnt, sagt er.
Sein Fall nahm dann auch ohne Rechtsstreit noch eine gute Wendung: Nach den Rückfragen zeigte sich die HUK-Versicherung bereit, den Kunden vom Schadensfall zu befreien und ihn doch nicht schlechter zu stellen – aus Kulanz. Im Wiederholungsfall allerdings könne mit einer derartigen Regelung nicht mehr gerechnet werden.
Für Neukunden der HUK-Versicherungen bedeutet das: Jede Hauptuntersuchung, jeder Werkstattbesuch kann theoretisch zum Risiko werden.