Wer im Winter warme Füße haben will, hat die Auswahl zwischen verschiedensten Einlegesohlen. Im Internet werden unter anderem Heizsohlen mit Akku angeboten. Und derartige Akkus sind bei etlichen Verbrauchern explodiert, haben deren Schuh in Brand gesetzt und die Betroffenen zum Teil schwer verbrannt.
Eins hatten alle Sohlen gemeinsam: einen Lithium-Ionen Akku. Und: Alle wurden beim Amazon Marketplace bestellt und stammen aus China.
Wie kann es sein, dass die Sohlen zu derart schweren Verletzungen führen? Welche Rechte haben die Betroffenen, etwa auf Schadensersatz und Schmerzensgeld? Und was tut Amazon, um die Kunden zu schützen?
Sohlenbrand mit 800 Grad Hitze
Christine Schaffner hat diesen Alptraum erlebt. Die zweifache Mutter wird in einer Spezial-Reha für Brandverletzte behandelt. Die Haut an ihrem rechten Fuß ist großflächig verbrannt.
Schuld ist ein Lithium-Ionen-Akku, der in ihren Heizsohlen explodiert, als sie gerade auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs ist: „Plötzlich sah ich eine tiefschwarze Wolke. Das war nicht real. Bis ich dann realisiert hatte, dass das mein Fuß ist, der brennt.“
Weihnachtsmarktbesucher helfen der 55-jährigen aus dem Schuh und rufen den Krankenwagen. Christine Schaffners Fuß erleidet Verbrennungen dritten Grades. In einer Operation muss Ihr künstliche Haut transplantiert werden. Schaffner ist kein Einzelfall.
Für Dachdecker Andreas Kleinert steht dadurch auch noch die berufliche Existenz auf dem Spiel. Vergangenes Jahr ist er gerade auf dem Weg zur Arbeit, will ins Auto einsteigen, als seine Sohle anfängt zu brennen: „An dem Tag, als das passierte, waren die Sohlen eigentlich nur im Stand-by-Betrieb und noch nicht einmal angeschaltet“, erzählt Kleinert.
Nur mit Hilfe seines Nachbarn kommt er damals aus den Schuhen. Auch bei ihm sind die Folgen schwerste Verbrennungen. Es dauert Monate, bis seine Wunden heilen. Seit dem Unfall ist er arbeitsunfähig, kann nur noch schlecht laufen.
Lithium-Ionen-Akku in den Sohlen
In allen explodierten Heizsohlen steckte ein Lithium-Ionen Akku aus China.
Wie kann es sein, dass die Akkus in Brand geraten sind? Wir bestellen baugleiche Sohlen und fahren damit zum Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung nach Ulm.
Professor Markus Hölzle schaut sich mit Hilfe eines Computertomographen die Sohle genauer an. Und sieht einen Lithium-Ionen-Akku , wie er vermutlich auch in vielen Handys verbaut ist. An sich ein sicherer Akku.
Wie kann es zu solchen Bränden kommen?
Das Problem ist die Verwendung, meint Professor Dr. Markus Hölzle vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg in Ulm:
“Es ist kein Akku dafür gemacht, dass man auf ihm rumtrampelt und herumläuft. Alle, die mit Lithium-Ionen-Batterien arbeiten, wissen eben, dass gerade sogenannte mechanische Belastungen, also Druck oder Stress oder Verformungen, überhaupt nicht gut sind für Batterien und vermieden werden müssen“, so Hölzle.
Denn sonst kann es zu einem Kurzschluss kommen. Die Folge: Akkubrand. Wie gefährlich so ein Brand sein kann, demonstrieren die Forscher im sogenannten Testbunker: „Die Zelle ist geplatzt, an mehreren Stellen. Man sieht: das Gas raucht ab. Temperaturen haben wir im Moment: 320 Grad an der Spitze. Wir haben noch keine Flamme, bei dieser Zelle, was aber auch schon für eine große Verbrennung ausreicht,“ so Hölzle.
Erhitzt sich der Akku weiter, kann er sogar Feuer fangen. Dabei können Temperaturen zwischen 800 und 1000 Grad entstehen.
Batterien in elektrischen Geräten Wann ein Akku brennen oder explodieren kann
Was tun, damit Lithium-Ionen-Akkus nicht plötzlich brennen? Wie halten sie möglichst lange? Und was muss man zur Entsorgung beachten?
Wer kommt für den Schaden auf?
Andreas Kleinert bekommt bald kein Krankengeld mehr. Ob er je wieder in seinen geliebten Job als Dachdecker zurückkehren kann – unwahrscheinlich.
Er möchte Schadensersatz und Schmerzensgeld. Denn in solchen Fällen greift die Produkthaftung. Das bedeutet, der Hersteller der Sohlen muss für Schäden aufkommen. Doch wer der Hersteller ist – für ihn schwer herauszufinden. Das könnte ihm nur der chinesische Händler sagen, doch der ist selbst für Andreas Kleinerts Anwalt nicht zu erreichen.
Wir fragen verschiedene Händler der Sohlen – mit Sitz in China und Hongkong – an. Wollen wissen, wie sie die Sohlen auf ihre Sicherheit überprüft haben. Doch wir erhalten keine Antwort.
Karolina Wojtal vom europäischen Verbraucherzentrum weiß, dass es für die Verbraucher oft schwer ist, Ansprüche durchzusetzen, wenn der Verkäufer außerhalb der EU sitzt: „Viele achten auch nicht darauf, bei wem sie genau kaufen. Und erst, wenn ein solcher Fall auftritt, merke ich, dass es vielleicht sehr schwer sein wird, an diese Personen, an dieses Unternehmen, heranzukommen“, so Wojtal.
Die neue EU-Produktsicherheitsverordnung
Die EU hat das Problem erkannt und nachgebessert. Seit Mitte Dezember gibt es eine neue Produktsicherheitsverordnung – die Verbraucher besser schützen soll.
„Die neue Verordnung führt dazu, dass wenn es sich um einen Hersteller aus dem Nicht-EU-Ausland handelt, muss dieser Hersteller einen Bevollmächtigten, eine verantwortliche Person oder Unternehmen in der EU benennen, die dann die gesetzlichen Pflichten wahrnimmt. Also Sinn und Zweck ist, dass die Verbraucher jetzt auch einen Ansprechpartner in der EU haben müssen“, sagt Wojtal.
Für Betroffene wie Andreas Kleinert kommt die neue Verordnung zu spät. Er ist seit inzwischen einem Jahr berufsunfähig. Und wird Mühe haben, an eine Entschädigung zu kommen. Was sagt die Verkaufsplattform der Heizsohlen zu alldem?
Sohlen bestellt bei Amazon-Marketplace
Alle Betroffenen hatten ihre Sohlen über verschiedene Anbieter auf derselben Verkaufsplattform bestellt: Amazon-Marketplace.
Tut Amazon genug, um Kunden vor solch gefährlichen Produkten zu schützen, die über Dritte auf ihrer Plattform verkauft werden. Amazon antwortet:
„Wir ergreifen Maßnahmen, um eine sichere Produktauswahl für unsere Kunden zu gewährleisten, dazu gehört es nicht-konforme Produkte zu entfernen und Kontakt mit Verkäufern, Herstellern und staatlichen Behörden aufzunehmen, um bei Bedarf zusätzliche Informationen zu erhalten.“
Amazon hat reagiert und mehrere Produkte offline genommen. Wie viele gefährliche Sohlen noch angeboten werden, lässt sich nicht abschließend überprüfen.
CE-Zeichen wird nicht unabhängig überprüft
Betroffene wie Schaffner hatten sich auf das CE-Kennzeichen verlassen: “Ich war bislang der Ansicht, dass technische Produkte, die im Internet bei uns in Deutschland verfügbar sind, auch gewisse Sicherheitsstandards haben“, sagt Schaffner.
Doch mit dem CE-Zeichen versichern die Hersteller nur, alle Sicherheitsstandards in der EU einzuhalten. Unabhängig überprüft wird das nicht.
Wichtig: Auf GS-Zeichen achten
Bei derartigen Produkten immer darauf achten, dass es ein GS-Zeichen hat: GS steht für „Geprüfte Sicherheit“. Hier wird das gebrauchsfertige Produkt – in dem Fall also die Heizsohle selbst – durch ein unabhängiges Labor geprüft.