Was wird aus Nord Stream 2?
Deutschland: Hälfte des verbrauchten Erdgases kommt aus Russland
Schon seit 1973 bezieht Deutschland Erdgas aus Russland, inzwischen deckt es die Hälfte unseres Bedarfs. Mit der neuen Ostseepipeline Nord Stream 2 könnte sich dieser Anteil sogar noch erhöhen. Denn die Niederlande, nach Norwegen Deutschlands Erdgaslieferant Nummer drei, beenden die Förderung. Und Deutschlands Eigenversorgung sinkt seit Jahren, inzwischen decken die letzten Gasfelder, die fast ausschließlich in Niedersachsen liegen, nur noch fünf Prozent des Bedarfs. Dieser Bedarf ist seit 2014 mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020 sogar leicht gestiegen. Dabei wäre zur Einhaltung der Pariser Klimaziele eigentlich das Gegenteil nötig: Deutschland sollte weniger statt mehr Gas verbrennen.
In Europa kein Engpass in der Erdgasversorgung in Sicht
Tatsächlich ist auch ohne Nord Stream 2 in Europa selbst mit steigendem Verbrauch kein Engpass bei der Erdgasversorgung in Sicht. Ein ganzes Dutzend Pipelines verbindet die Erdgasfelder in Russland, Aserbaidschan, Norwegen, Algerien und Libyen mit der EU. Dazu kommen 20 Häfen, die über ein Terminal für den Import von flüssigem Erdgas, sogenanntem LNG, verfügen. Das wird auf Tankschiffen aus Katar, den USA, Nigeria oder Trinidad und Tobago angeliefert und deckt bereits ein Achtel des europäischen Erdgasbedarfs.
Die Importterminals sind dafür bisher nur gering ausgelastet. Würden sie vollständig genutzt, könnte sich die EU schon heute zur Hälfte mit LNG versorgen, das auf dem Weltmarkt in großen Mengen frei gehandelt wird. Für neue Importterminals, die in den deutschen Nordseehäfen Stade und Brunsbüttel geplant sind, besteht gar kein Bedarf. Und auch Nord Stream 2, die neue Pipeline auf dem Boden der Ostsee, wird für eine ausreichende Erdgasversorgung der EU nicht gebraucht.
Deutsche Umwelthilfe klagt: klarer Verstoß gegen Klimaziele
Die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen die Fertigstellung und die noch für dieses Jahr geplante Inbetriebnahme der Doppelröhre. Begründung: Im Genehmigungsverfahren habe es Fehler bei der Umweltverträglichkeitsprüfung gegeben und das gesamte Vorhaben sei ein klarer Verstoß gegen die europäischen Klimaziele. Denn die Verbrennung des über Nord Stream 2 nach Europa transportierten Erdgases würde jedes Jahr bis zu 100 Millionen Tonnen CO2 freisetzen.
Die Klagen richten sich gegen das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, das die Bauarbeiten in der deutschen Ostsee und an der Empfangsstation in Lubmin genehmigt hat. Immer wieder hat Ministerpräsidentin Manuela Schwesig die Energiepartnerschaft mit Russland beschworen, zum Beispiel im August 2020 im Landesparlament: "Ich bin den Fraktionen von SPD, CDU und auch der Fraktion Die Linke außerordentlich dankbar, dass heute mit den vorliegenden Anträgen ein gemeinsames Signal gesetzt werden soll, dass wir als Land Mecklenburg-Vorpommern an dem Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 festhalten."
US-Präsident Trump: Sanktionen gegen Nord-Stream-2-Fertigstellung
Manuela Schwesig erwähnt nicht die AfD – auch die ist für Nord Stream 2. Die überraschende Einigkeit von ganz links bis ganz rechts hat auch mit den Sanktionen zu tun, die der damalige US-Präsident Donald Trump gegen die Fertigstellung der Ostseepipeline angekündigt und verhängt hatte.
Die Sanktionen hatten Ende 2019 zum vorübergehenden Abbruch der Bauarbeiten an der Pipeline geführt, weil die Schweizer Firma Allseas ihr Spezialschiff zurückgerufen hatte. Erst im April diesen Jahres konnte das russische Verlegeschiff Akademik Tscherski die Arbeiten wieder aufnehmen.
Dass die Nord Stream 2-Pipeline notfalls auch gegen den Widerstand der USA zu Ende gebaut wird, befürworteten allerdings drei Viertel aller im Mai 2021 von Forsa repräsentativ befragten Deutschen. Auch unter den Anhängern aller Bundestagsparteien sprach sich eine sehr große Mehrheit für die Fertigstellung aus, selbst unter Grünen-Wählern waren es noch 69 Prozent. Trotzdem hat sich die Partei sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene als einzige gegen die Ostseepipeline positioniert.
Wenig Verständnis für Bedenken osteuropäischer Staaten
Doch für diese Position der Grünen gebe es in Mecklenburg-Vorpommern ebenso wenig Verständnis wie für die entschiedene Ablehnung der neuen Gaspipeline durch die anderen osteuropäischen Staaten – Polen, das Baltikum oder das bisherige Haupttransitland für russisches Gas, die Ukraine. Sie fürchten, dass ihre Verhandlungsposition geschwächt ist, sobald Russland die Möglichkeit hat, Erdgas an ihnen vorbei nach Westeuropa zu leiten.
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Deal: USA unter Joe Biden heben Sanktionen auf
Gegenüber US-Präsident Biden hat Kanzlerin Merkel im Juli 2021 versucht, diese Sorgen zu entkräften. Der Deal: Die USA heben die Sanktionen gegen die Ostseepipeline auf. Im Gegenzug unterstützt Deutschland die Ukraine beim Aufbau einer erneuerbaren Energieversorgung und droht Russland nicht näher definierte Maßnahmen an, falls Moskau den GasTransitvertrag mit der Ukraine nicht über das Jahr 2024 hinaus verlängern sollte.
Doch die osteuropäischen Staaten bleiben skeptisch, schließlich hat Russland in den vergangenen 30 Jahren schon mehrmals einige von ihnen unter Druck gesetzt, indem es die Gaslieferungen drosselte.
Flüssiggas oder Wasserstoff: sinnvolle Alternativen?
Klimapolitisch könnte sich die Abkehr von russischem Pipeline-Erdgas negativ bemerkbar machen. Würde stattdessen Flüssigerdgas importiert, drohen bei gleichem Verbrauch höhere Treibhausgasemissionen. Nicht nur gibt es Verluste beim Transport. Das Flüssiggas wird in den USA auch durch Fracking gewonnen. Bei diesem Verfahren entweicht unweigerlich auch ein Teil des Gases in die Atmosphäre – und Erdgas besteht überwiegend aus dem sehr starken Treibhausgas Methan.
Statt Erdgas könnte die 1.200 Kilometer lange Doppelröhre in Zukunft auch Wasserstoff oder eine Mischung der beiden Gase transportieren. Im weiteren Verlauf der Energiewende soll Wasserstoff vor allem in der Metall- und Chemieindustrie und im Flugverkehr das bisher verwendete Erdöl und Erdgas ersetzen. Doch um den zu erzeugen, sind sehr große Mengen an erneuerbarem Strom notwendig.
Nord-Stream-2-Investoren erwarten möglichst baldigen Gewinn
Bauherr der Pipeline ist die Nord Stream 2 AG mit Sitz im Schweizer Kanton Zug. Sie ist eine 100-prozentige Tochter des größten, mehrheitlich staatlichen Energiekonzerns in Russland, Gazprom. Die Baukosten werden auf bis zu neun Milliarden Euro geschätzt. An der Finanzierung beteiligen sich auch fünf westeuropäische Energieunternehmen, darunter zwei deutsche. Sie alle erwarten natürlich, dass ihre Investition in die genehmigte und fast fertig gebaute Pipeline möglichst bald auch zu Gewinnen aus dem Gastransport führt.
Nord Stream 2: Fertigstellung noch im Jahr 2021 ist unklar
Derzeit werden die letzten Rohre der neuen Ostseepipeline in dänischen Gewässern zusammengeschweißt. Danach folgen zahlreiche Druck- und Funktionstests. Ob sie noch in diesem Jahr abgeschlossen werden können, ist unklar. Die Nord Stream 2 AG äußert sich dazu nicht.
SWR 2021