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Fast Food für die Welt – Wie die Industrie Ernährungsorganisationen kapert

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Thomas Kruchem
Thomas Kruchem (Foto: SWR, privat)
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Ulrike Barwanietz
Gábor Paál
Gábor Paál (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Wie bekommen bald 8 Milliarden Menschen genug zu essen? Um diese Frage geht es beim UN-Ernährungsgipfel am 23. September in New York. Doch Kritiker bemängeln: Die Lösungsvorschläge stehen zu sehr unter dem Einfluss der Lebensmittelindustrie.

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Auf der Welt hungern wieder mehr Menschen als früher, stellt UN-Generalsekretär António Guterres fest. Zwischenzeitlich war die Zahl zurückgegangen. Außerdem geht ein Drittel aller Nahrungsmittel verloren. Guterres hat deshalb zum 23. September 2021 zu einem Welt-Ernährungsgipfel nach New York eingeladen.

Doch Kritiker sind pessimistisch: Agrar- und Ernährungskonzerne, sagen sie, haben den Gipfel unterwandert – ebenso wichtige Institutionen, die eigentlich die Welternährung sichern sollen.

Forderung nach klimaschonender Nahrungsmittelproduktion statt Maximierung

Es geht um viel Geld, umso erbitterter kämpfen die Antagonisten:

  • Agrar-, Chemie- und Lebensmittelkonzerne, wirtschaftsliberale Regierungen sowie die Gates-Stiftung setzen auf maximale Produktion von Nahrung mit den Mitteln der Grünen Revolution – Hybridsaatgut, Kunstdünger, Pestiziden.
  • Große Teile der Zivilgesellschaft dagegen fordern eine klimaschonende und umweltverträgliche Nahrungsmittelproduktion, die auch die Gesundheit und die Rechte armer Menschen in Entwicklungsländern im Blick hat.

Sicherung der Welternährung, gesunde Lebensmittel – um diese Themen sollte sich die Welternährungsorganisation FAO kümmern. Nur: Die FAO kooperiert unter anderem mit Unternehmen, deren Geschäftsziele elementaren FAO-Anliegen widersprechen. Der französische FAO-Partner Danone etwa war bereits in zahlreiche Babymilch-Skandale verwickelt und verkauft Kindern stark zuckerhaltige Joghurts als gesund. Und, wie Danone, schürt der Mars-Konzern mit seinen Süßwaren die globale Diabetespandemie – insbesondere auch in armen Ländern wie Indien.

Das Problem der FAO ähnelt dem der WHO: Sie ist unterfinanziert, die Beiträge der Mitgliedsstaaten reichen längst nicht aus. Deshalb ist sie zusätzlich auf freiwillige Beiträge angewiesen, auch von privaten Geldgebern. Diese freiwilligen Beiträge sind mehr als doppelt zu hoch – aber fast immer zweckgebunden. Wer der FAO Geld spendet, hat somit starken Einfluss auf die Projekte.

Jährlich 400 Millionen Pestizidvergiftungen und 200.000 Tote

Auch der Wirtschaftsverband Croplife International ist ein Partner der FAO. Er vertritt die Interessen der agrarchemischen Industrie. Im Jahr 2018 verkauften die Mitgliedsunternehmen von Croplife International für fünf Milliarden US-Dollar Pestizide, die die Weltgesundheitsorganisation als hochgefährlich für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit einstuft. Das berichtet das britische Consultingunternehmen Phillips McDougall.

Zambia, Mazabuka: Farmarbeiter sprüht Pestizide im Tomatenfeld ohne Schutzkleidung, in Afrika werden von westlichen Agrarkonzernen Agrarchemikalien verkauft die in der EU längst verboten sind  (Foto: IMAGO, IMAGO / Joerg Boethling)
Zambia, Mazabuka: Ein Farmarbeiter sprüht Pestizide im Tomatenfeld ohne Schutzkleidung, in Afrika werden von westlichen Agrarkonzernen Agrarchemikalien verkauft, die in der EU längst verboten sind

Nach einer neuen Untersuchung des Pestizid-Aktionsnetzwerks PAN International kommt es in Schwellen- und Entwicklungsländern zu jährlich fast 400 Millionen Pestizidvergiftungen; über 200.000 Menschen sterben daran; Nutzinsekten wie Bienen sind vielerorts verschwunden.

Zunahme der Zahl unterernährter Menschen seit Afrikahilfe AGRA

Ein anderer Akteur ist AGRA, die "Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika". Die Initiative versucht seit 2006, die Landwirtschaft Afrikas zu modernisieren. Finanziert wird sie vor allem von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die – wie im Gesundheitswesen – auch in der Landwirtschaft schnelle und messbare Erfolge anstrebt. Tim Wise, der an der Tufts University in Massachusetts forscht, berichtet jedoch, dass die Zahl unterernährter Menschen in den 13 AGRA-Ländern seit 2006 um 30 Prozent gestiegen ist.

Hinzu kommt: Viele Kleinbauern verschulden sich beim Kauf teurer Agrarchemikalien; größere, oft ausländischer Betriebe übernehmen ihr Land. Die Rechnung in Form sozialer Verwerfungen, zerstörter Lebensräume, belasteter Gewässer, reduzierter Biodiversität und des zusätzlich angeheizten Klimawandels müssten künftige Generationen bezahlen.

Biodiversität braucht Kapital, Märkte und Wissen

Ähnliche Sorgen treiben längst auch international führende Wissenschaftler um. Der Bonner Agrarökonom Professor Joachim von Braun zum Beispiel ist Chef des wissenschaftlichen Beirats für den bevorstehenden Ernährungsgipfel und Vizepräsident der Deutschen Welthungerhilfe. Von Braun hält, im Gegensatz zu Tim Wise und vielen NGOs, die AGRA-Initiative zwar für recht erfolgreich; zugleich jedoch beurteilt er die von AGRA geforderten Subventionen für Agrarchemie überaus kritisch. Er sagt, man müsse weg von den großen Monokulturen kommen, hin zu mehr Biodiversität.

Gemahlenes Sorghum: AGRA erreichte eine Steigerung bei nur wenigen Produkten - auf Kosten nahrhafterer und widerstandsfähigerer Getreidepflanzen wie Hirse und Sorghum  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / Design Pics | Remsberg Inc)
Gemahlenes Sorghum: AGRA erreichte eine Steigerung bei nur wenigen Produkten – auf Kosten nahrhafterer und widerstandsfähigerer Getreidepflanzen wie Hirse und Sorghum

Beispiele zeigen längst, dass afrikanische Kleinbauern mit Mischkultur und agrarökologischer Landwirtschaft erfolgreich sein können. Damit diese Bauern aber bewusst, konsequent und erfolgreich ökologisch arbeiten können, brauchen sie Kapital, Zugang zu Märkten und vor allem Wissen. Doch diese Art von Wissen klingt in vielen Ohren nicht modern, denn es ist ein Erfahrungswissen, kein Hightech. Und deshalb zum Teil untererforscht.

Denn die Geldgeber der meisten Institute – Regierungen, Entwicklungsbanken und die Gates-Stiftung – finanzieren stattdessen vorwiegend eng begrenzte technische Projekte, die Nahrungsmittelpflanzen produktiver und resistenter gegen Schädlinge machen sollen.

Boykott des Welternährungsgipfels 2021

Zum 23. September 2021 hat UN-Generalsekretär António Guterres nun zum Ernährungsgipfel nach New York geladen. 200 NGOs, unter ihnen deutsche Organisationen wie Brot für die Welt und Misereor, haben beschlossen, den Welternährungsgipfel zu boykottieren und Gegenveranstaltungen zu organisieren.

Die UN müssten endlich wieder zu ihrem ureigenen Selbstverständnis zurückkehren, fordern die NGOs. Regierungen müssten wieder über die wichtigen Fragen dieser Welt entscheiden – und nicht Versammlungen von Interessenvertretern, die doch nur die gesellschaftlichen Machtverhältnisse spiegelten.

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