SWR NEWJazz Meeting

Junger Big-Apple-Jazz in Baden-Baden

Stand
AUTOR/IN
Günther Huesmann
ONLINEFASSUNG
Julia Wieland
Clemens Zoch

Der kubanische Pianist Fabian Almazan hat ambitionierte junge Musiker der New Yorker Jazzszene nach Baden-Baden geladen. Ausschnitte aus den Konzerten sendet SWR2 am 9. und 16. Juni.

Das SWR NewJazz Meeting macht musikalische Begegnungen möglich, die unter normalen Bedingungen nur schwer zu realisieren sind. Musikalischer Kopf des NEWJazz Meetings 2016 war der kubanische Pianist Fabian Almazan. Als langjähriges Mitglied in den Gruppen des Trompeters Terence Blanchard hat er auf allen großen Bühnen der Welt gespielt. "Realm of Possibilities" nennt der 31-jährige sein in Zusammenarbeit mit der SWR-Jazzredaktion entwickeltes Projekt.

Fabian Almazan, Sie haben Ihr Projekt "Realm of Possibilties" genannt, das "Reich der Möglichkeiten". Was verbirgt sich hinter diesem Namen. Und was ist das für ein Projekt?

Fabian Almazan bei den Proben des NJM 2015 (Foto: SWR, SWR - Günther Huesmann)
Bei den Proben des NJM 2015: Fabian Almazan

Ich wollte rauskriegen, wie jedes einzelne Mitglied dieses Sextetts die Musik nach vorne bringen kann. Ich bin fasziniert davon, wie sie ihre verschiedenen Persönlichkeiten einbringen und diese sich im musikalischen Material niederschlagen. Die ersten beiden Tage des SWR NewJazz Meeting haben wir an Kompositionen gefeilt, die jedes der sechs Gruppenmitglieder eingebracht hat. Die nächsten Tage werden wir in die Tiefe gehen: nach Möglichkeiten suchen, wie man Musik mit unseren Lebenserfahrungen auflädt.

Anna Webber bei den Proben des NJM 2015 (Foto: SWR, SWR - Günther Huesmann)
Anna Webber

Sie spielen mit Musikerinnen und Musikern zusammen, die Sie zwar alle selber kennen, die in dieser Form aber noch nie zusammen gespielt haben. Sind Sie überhaupt mit festen Plänen angereist? Wie sieht das Konzept von "Realm of Possibilties" aus?

Ich sagte einfach jedem in der Gruppe, sie oder er möge alles mitbringen, was er mit diesem Sextett ausprobieren möchte. Jeder liefert Stücke und Ideen, und wir kniffeln gerade daran, wie man die Dinge am spannendsten miteinander verbindet. Wir experimentieren als Kollektiv.

Henry Cole bei den Proben des NJM 2015 (Foto: SWR, SWR - Günther Huesmann)
Henry Cole

Was können wir bei den Konzerten des SWR NewJazz Meeting erwarten?

Sie werden neue Musik erleben, die vorher noch nicht gehört worden ist. Alle Kompositionen, die wir spielen, sind Uraufführungen, Stücke, die vorher noch nicht gespielt wurden. Das hat viel mit der Kreativität der beteiligten Musiker zu tun: Unser Gitarrist Ryan Ferreira, die Saxofonisten Anna Webber und der Vibrafonist Chris Dingman sind Melodiker, die auf eine sehr originelle Weise neue Texturen schaffen. Das wird eines der Highlights werden: die verschiedenen Strukturen mit denen wir experimentieren. Ich nutze beim Klavierspiel auch einige Electronics, mit denen ich heute weiter experimentieren will.

Ryan Ferreira bei den Proben des NJM 2015 (Foto: SWR, SWR - Günther Huesmann)
Ryan Ferreira

Wie sind Ihre Erfahrungen beim SWR NewJazz Meeting? Wie fühlen Sie sich?

Es ist sehr selten, dass man als Musiker diese Produktionsmöglichkeiten bekommt, um neue Musik entstehen zu lassen. Wir kommen alle aus New York, dort verläuft das Musikbusiness in einem ganz anderen Tempo. Jeder ist sehr busy, normalerweise hat man eine Probe von zwei, drei Stunden und tritt dann live auf. Diese Chance zu haben, Sachen wirklich zu kreieren, das ist sehr befreiend und schafft viele Möglichkeiten.

Linda Oh bei den Proben des NJM 2015 (Foto: SWR, SWR - Günther Huesmann)
Linda Oh

Sie nennen Ihre Musik auch "rhizomatisch" vergleichbar mit der eines "Rhizoms", eines unterirdischen Wurzelgeflechts, wie man es von Pilzen kennt. "Rhizom" in Ihrer Musik, was meinen Sie damit?

Das Bild des Rhizoms habe ich in Zusammenhang mit meinem gleichnamigen Album gewählt. Ich wollte, meinen Beitrag dazu leisten, etwas mehr Frieden in die Welt zu bringen. Da scheint im Moment viel Chaos los zu sein. Meine Intention ist zu zeigen, dass wir – auch wenn wir es nicht wahrnehmen wollen – auf irgendeine Weise alle miteinander verbunden sind. Beim NewJazz Meeting möchte ich Musik erschaffen, die ich normalerweise nicht komponiere. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und mich selbst auf ganz neuem Terrain bewegen. Ich habe das Gefühl, das ist die einzige Art, wie Musiker und Künstler wachsen können. Denn sobald du dich mit einer Sache wohl fühlst, wird es Zeit, woanders hinzugehen und etwas zu tun, was du noch nicht komplett verstehst. Wo du einen Weg nach neuen Lösungen suchen musst. Ich habe das Gefühl, genau das tue ich gerade hier.

Chris Dingman bei den Proben des NJM 2015 (Foto: SWR, SWR - Günther Huesmann)
Chris Dingman

Und wie sieht das aus?

Ich bin mir darüber noch nicht ganz im Klaren. Das ist ja das erste Mal, dass ich so etwas Neues ausprobiere. Aber es scheint mehr um eine Musik zu gehen, die von Linien angetrieben wird. Mit einander auf verschiedene Weise verbundene Einzel-Linien, die weniger akkordbestimmt sind. Meistens jedenfalls. Was die Architektur der Stücke angeht: Ich versuche, klare Formabschnitte zu vermeiden. Ich versuche, die Dinge ein wenig unscharf klingen zu lassen. Mit unklaren Momenten, in denen man dennoch etwas findet, an dem man sich hier und da festhalten kann. Eine Musik, die wenig vorhersehbar ist.

Alle sechs Musiker von "Real of Possibilities" gehören zur ambitionierten, jungen New Yorker Jazzszene. Sie leben seit 2003 im Big Apple. Wodurch zeichnet sich diese junge Musikerinnen- und Musikergeneration aus? Was ist ihre Besonderheit?

Ich möchte nicht groß darüber spekulieren, wie es gewesen sein muss im New York der 1940er und -50er Jahre zu leben – besonders als schwarzer Jazzmusiker. Aber ich kann sagen, dass die Stimmung in New York heute sehr divers ist. Einerseits ist es dort sehr schwer, sich als Mensch und Musiker zu behaupten. Das hat positive wie negative Seiten. Positiv ist, dass meine Musiker und ich uns sehr unterstützend verhalten, weil wir wissen, was das für ein Existenzkampf ist. Wir alle legen Wert darauf, Teil einer Community zu sein. Das ist der Hauptunterschied zu früheren Zeiten. Heute gibt es eine unglaubliche Vielfalt an Denkschulen in der Jazzmusik. Man kann tausende verschiedene Ansätze finden. Die negative Seite: es ist extrem schwierig geworden als Musiker in den USA zu überleben, gerade weil das Internet das Konsum- und Zahlverhalten der Hörer verändert hat. Es war für frühere Generationen und Musiker viel einfacher, Geld zu verdienen und weiterzumachen. Heute ist das viel herausfordernder.

Was ist Ihr Ziel in Ihrer Musik?

Mein Ziel ist es immer, eine Musik zu machen, welche die Menschen dabei unterstützt, ein erfüllteres Leben zu haben.

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Günther Huesmann
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Clemens Zoch