Musikstück der Woche vom 28.5. bis 3.6.2012

Verzauberungen

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AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Die Poesie der Kindheit faszinierte Maurice Ravel. Immer wieder zog er sich in diese Welt kindlicher Zauberdinge zurück, für die er eine Musik voll schillernder Klangfarben und Melancholie erfand.

Die Poesie der Kindheit faszinierte Maurice Ravel. Immer wieder zog er sich in diese Welt kindlicher Zauberdinge zurück, für die er eine Musik voll schillernder Klangfarben und Melancholie erfand. Was ursprünglich für die Kinder Mimi und Jean als Klavierstück komponiert wurde, entfaltet in der Ballettfassung seine ganze Zauberkraft: Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg spielt Ravels "Ma Mère l'Oye" unter der Leitung von Tugan Sokhiev.

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Aus einem alten Märchenbuch

"Die Poesie der Kindheit" wollte Maurice Ravel wachrufen, als er 1908 seinen Zyklus "Ma mère l’oye" schrieb. Es sind Mimie und Jean Godebski, die Kinder einer befreundeten Familie, die Ravel zu diesen vierhändigen Klavierstücken inspirierten, die Ravel später auch zu einem Ballett instrumentierte und ausarbeitete. Diese Poesie der Kindheit fand Ravel zunächst literarisch abgebildet in den "Contes de ma mère l'Oye". Aus dieser in Frankreich bis heute populäre Märchensammlung von Charles Perrault von 1697, leitete Ravel auch den Titel ab, den er seinen "pièces enfantines" gab. "Ma mère l'oye" ("Meine Mutter, die Gans") fungiert dabei quasi als Erzählerin, die fünf Märchen u.a. aus jener Perrault-Sammlung vorträgt.

Da ist zunächst die Pavane für Dornröschen ("Pavane de la Belle au bois dormant"), die klanglich sehr an Ravels bekannte "Pavane pour une Infante défunte" erinnert. Dann folgt das Märchen vom Däumling ("Petit Poucet"). Diesem Stück stellte Ravel ein Motto von Perrault voran, das man in der Musik wiederhören kann: "Der Däumling hatte gehofft, den Weg durch die Brotkrumen, die er ihm gehen fallen gelassen, wiederzufinden; aber wie war er erstaunt, als er kein einziges Krumchen mehr fand: Die Vöglein hatten alles aufgepickt."

Die Kaiserin der Pagoden "Laideronette, impératrice des Pagodes" kommt ganz pentatonisch daher, ist einer auf den schwarzen Tasten gespielte chinesischer Marsch. Die "Unterhaltung zwischen der Schönen und dem Tier" ("Les Entretiens de la Belle et la Béte") geht auf ein Märchen von Mme Leprince de Beaumont zurück und beschreibt die Geschichte des Mädchens, das das gute Herz des Monsters erkennt, sich seiner erbarmt und es schließlich dadurch aus seiner Verzauberung rettet. Voller Magie und Poesie ist auch das letzte der Stücke, in dem mit Glockengeläut und Fanfaren ein festliche-jubelndes Bild vom "Der Zaubergarten" ("Le Jardin féerique") gezeichnet wird.

Seinen ursprünglich fünfteiligen Klavierzyklus "Ma mère l’Oye" instrumentierte Ravel 1911 für Orchester - klanglich wunderbar schillernd und 'Ravel'-typisch - und erweiterte ihn außerdem zu einer Ballettmusik mit sieben Teilen: Ein Prélude und die "Danse du rouet et scène" kamen hinzu, und aus den Sätzen des Suite wurden "Tableaux".

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Das 1946 gegründete SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg identifiziert sich bis heute mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.
In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer, "unspielbarer" Partituren ebenso gerühmt wird wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters. An die 400 Kompositionen hat das Orchester bisher uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben; es gastiert regelmäßig in den (Musik)-Hauptstädten zwischen Wien und Amsterdam, Berlin und Rom, Salzburg und Luzern. Von 1999 bis 2011 hat Chefdirigent Sylvain Cambreling das Orchester entscheidend geprägt. Seit September 2011 steht François-Xavier Roth an der Spitze.

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Kerstin Unseld