Album-Tipp

Moderne Klaviermusik mit prallem Leben gefüllt: „Archipels“ von Nicolas Hodges

Stand
AUTOR/IN
Susanne Benda
Susanne Benda - blondes kurzes Haar, weißes T-Shirt und eine Halskette mit Anhänger (Foto: SWR, Victor Brigola)
KÜNSTLER/IN
Nicolas Hodges

Die pandemiebedingte Absage seines Konzerts bei den Donaueschinger Musiktagen 2020 veranlasste den Pianisten Nicolas Hodges dazu, ins Studio zu gehen. Entstanden ist ein schillerndes Album mit zeitgenössischer Klaviermusik, welches der britische, in Stuttgart lebende Pianist mit prallem Leben füllt. Gerade bei der Interpretation der titelgebenden „Archipels“ wird Hodges zum kogenialen Partner des Komponisten André Boucourechliev.

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Eine Studie nach gleichnamigem Klavierkonzert

Unerbittlich, tanzend, manchmal wie eine Furie: So hat es die Komponistin Rebecca Saunders in den Noten vermerkt, so soll der Pianist den Anfang der Studie spielen, die sie ihrem gleichnamigen Klavierkonzert hinterhergeschickt hat. Normalerweise geht der Weg andersherum: Erst kommt die Skizze, dann das große Werk.

Aber die Studie zu „To an Utterance“ (etwa: „Weg zu einer Äußerung“) unterläuft auch andere Erwartungen. Wie zum Beispiel der Einsatz des Tonhaltepedals oder Sostenuto-Pedals wirken kann: Die gerade angeschlagenen Töne klingen weiter und eröffnen ständig neue Resonanzräume.

Hodges spielt „To an Utterance“ mit dem Lucerne Festival Contemporary Orchestra (2021)

Nicolas Hodges beweist seine ganze Klasse

Die einzelnen Abschnitte von Rebecca Saunders‘ Stück sind durch klingende Pausen getrennt. Zwischen ihnen hören wir Klangcluster und wilde Glissandi. Der Pianist Nicolas Hodges beweist bei diesem zeitgenössischen Virtuosenfutter seine ganze Klasse – und benutzt für die Gleitbewegungen übrigens spezielle Handschuhe zur Schonung seiner Hände.

Das Gegeneinander von schwarzen und weißen Tastentönen, also von Chromatik und Pentatonik kann einen schwindlig machen, endet aber leise, nachdenklich und versöhnlich. Und öffnet so die Tür für das folgende, titelgebende Werk der CD.

Bei Boucourechliev wird der Interpret zum Ko-Komponisten

Mit seinem fünfteiligen Werkzyklus „Archipel“ ist der französisch-bulgarische Komponist André Boucourechliev Ende der 1960er-Jahre bekannt geworden.

Das Besondere bei „Archipel 5“, dem fünften Teil des Zyklus: Die Noten zu diesem Stück passen auf eine einzige Partiturseite. Der Pianist muss die hier aufgeschriebenen Bestandteile der Musik, also zum Beispiel die rhythmischen Strukturen, Harmoniefolgen und Lautstärkegrade, bei jeder Aufführung neu und spontan mit einem vorgegebenen Katalog von Tonhöhen kombinieren. Diese Freiheit hat Nicolas Hodges veranlasst, hier drei Versionen des Stücks aufzunehmen.

Zwei Versionen von Boucourechlievs „Archipel 5“, interpretiert von Nicolas Hodges

Wenn man nicht wüsste, dass diese Trillerpassage dieselben musikalischen Versatzstücke benutzt wie die vorher angespielten Takte der anderen beiden Versionen: Man würde nicht darauf kommen. Nicolas Hodges ist bei „Archipel 5“ nicht nur Interpret, sondern Ko-Komponist. Außerdem adelt er das Werk mit einer differenzierten Anschlags- und Klangkultur.

Mehr als bloßer Präzisionshandwerker

Man folgt Nicholas Hodges gern, wenn er sich auf dieser CD durch die vergangenen fünf Jahrzehnte spielt, denn er ist nicht nur Präzisionshandwerker, sondern kann sehr spannend gestalten. Das gilt auch für Rolf Riehms Stück „Ciao, carissimo Claudio“, das einen bemerkenswerten Alternativtitel hat: „Die Steel Drums von San Marco“.

Riehms Stück ist eine Hommage an Klänge aus Venedig, die als elektronische Zuspielungen zu hören sind: hier ein Madrigal von Claudio Monteverdi, dort Steel Drums von Straßenmusikanten. Vor allem Monteverdi klingt in Riehms Stück nach. Und es ist kein Wunder, dass Rolf Riehms Liebeserklärung an Venedig am Ende mit einem Hauch Sehnsucht verklingt.

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Susanne Benda - blondes kurzes Haar, weißes T-Shirt und eine Halskette mit Anhänger (Foto: SWR, Victor Brigola)
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