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Philipp Oswalt – Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik

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Autor/in
Anselm Weidner

Die „historische Rekonstruktion“ hat in Deutschland seit der „Wende“ Hochkonjunktur.

Philipp Oswalts Buch hinterfragt die geschichtspolitische Programmatik hinter originalgetreuen Nachbauten wie des Berliner Schlosses oder der Potsdamer Garnisonkirche und zeigt am Wiederaufbau der Paulskirche und des Meisterhauses von Gropius in Dessau Alternativen geschichtsbewusster Rekonstruktion auf.

Das Potsdamer Schloss, das Berliner Stadtschloss, der Turm der Garnisonkirche im Zentrum von Potsdam, alle wurden im Krieg zerstört, zu DDR-Zeiten restlos beseitigt und nach der „Wende“ originalgetreu nachgebaut. Jetzt stehen sie wieder als Landtag, Humboldtforum, „Turm des Friedens und der Versöhnung“ in barockem Gewande.

Außen der „schöne“ Schein aus feudalen Zeiten und innen etwas ganz Anderes. Repräsentative Kulissenarchitektur. Sind das die Leitbauten der Berliner Republik? Soll gestern wieder heute und morgen sein?

Unter Nutzung vermeintlich unverfänglicher Begriffe von »Authentizität«, »Schönheit« und »Stadtreparatur« wird eine nationalkonservative Identitätsstiftung betrieben, die nicht selten geschichtsrevisionistische Züge annimmt. Bauten vor 1918 und damit der Monarchie werden unkritisch und pauschal idealisiert, Bauten der Moderne seit 1919 … pauschal diffamiert.

Bauen am „nationalen Haus“ als sei nichts gewesen

Was unschuldig daherkommt als Ausdruck des Wunsches nach Heilung von Kriegswunden, Stadtverfall und Plattenbau in DDR-Zeiten, verfolge in Wirklichkeit ein geschichtspolitisches Programm. Rekonstruktion sei „steinerne Identitätspolitik“, eben „bauen am nationalen Haus“, als sei nichts gewesen – das ist die Hauptthese des Architekten und Architekturtheoretikers Philipp Oswalt.

Potsdamer Garnisonkirche. Wiederaufbau zwischen militärischer Traditionspflege, protestantischer Erinnerungskultur und Rechtsextremismus. – Berliner Schloss. Die Fiktion der unpolitischen Orthodoxie. - Neue Altstadt Frankfurt. 

Aus dem rechten Lager vorangetriebene Rekonstruktionsprojekte

In diesen drei Kapiteln weist Oswalt nach, dass und wie alle drei Rekonstruktionsprojekte von Menschen und Lobbygruppen aus dem rechten, nationalkonservativen bis rechtsextremen Lager initiiert, vorangetrieben, geprägt und teils finanziert wurden.

Sie folgen dem, was Oswalt so nennt: „eine Orthodoxie, die ein Zeugnis der Vergangenheit als Fassade ohne Brüche restauriert“. Dabei wird von den Befürwortern der „historischen Rekonstruktion“ immer wieder behauptet, die Bevölkerungsmehrheit wolle es so. Dem hält Oswalt entgegen:

Der Abriss des Palasts der Republik und der damit verbundene Schlossnachbau wurden Anfang der 2000er Jahre von einer deutlichen Mehrheit der Berliner abgelehnt. Die Potsdamer Stadtpolitik verhinderte 2014 mit fragwürdigen Mitteln einen Bürgerentscheid zur Garnisonkirche. Bei dem einzigen durchgeführten Bürgerentscheid zu einer Rekonstruktion – der Ulrichskirche in Magdeburg 2011 – stimmten 76 Prozent der Wähler gegen den Wiederaufbau.

Alle diese Rekonstruktionsprojekte erweisen sich, so Philipp Oswalt, als Projekte von Eliten mit einer konservativen bis rechtsextremen Agenda.

Eine geschichtsbewusste Rekonstruktion ist möglich

Die einstige Zerstörung durch einen originalgetreuen Wiederaufbau »ungeschehen« zu machen hätte bedeutet, diese Geschichte zu ignorieren und zu verdrängen. … Die für jedermann offenkundige Differenz zu dem Vorgängerbau macht die Rekonstruktion als solche erkennbar und verweist auf die zwischenzeitliche Zerstörung. Zugleich vergegenwärtigen sie die Gestalt des Ursprungsbaus in präziser, aber abstrahierter Form.

Philipp Oswalts Buch hinterfragt die geschichtspolitische Programmatik hinter originalgetreuen Nachbauten und zeigt Alternativen geschichtsbewusster Rekonstruktion. Seine Betrachtungen gehen weit über die fachliche Debatte um Rekonstruktion, Architektur und Städtebau hinaus. Sie sind wichtig und anregend für den politischen Diskurs über Baukultur in diesen Zeiten der Krise der Repräsentation.

Philipp Oswalt im Gespräch

Wiederaufbau historischer Symbolbauten Architekt Philipp Oswalt: Wann aus Rekonstruktion Geschichtsrevision wird

Ob die Garnisonskirche in Potsdam oder das Berliner Stadtschloss: „Man will eine idealisierte Vergangenheit präsentieren“, meint der Architekturprofessor Philipp Oswalt in SWR2. Der Wiederaufbau historischer Symbolbauten ziele oftmals nicht nur auf Schönheit oder Stadtreparatur, sondern auf eine Änderung unseres Geschichtsverständnisses. Das beschreibt Oswalt in seinem neuen Buch „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“.
Reaktionäre Geschichtsbilder
Der Architekt und Publizist Philipp Oswalt sorgte schon rund um die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses für Aufsehen. Er machte öffentlich, dass einige private Spender*innen aus dem rechten Spektrum kamen. Immer wieder seien Rechtsradikale an ähnlichen Bauprojekten beteiligt, als Initiatoren oder Großspender. Hier sickerten, meint Oswalt, reaktionäre Geschichtsbilder in die zeitgenössische Stadtplanung.
Brüche der Geschichte ausgeblendet
Auch bei anderen Rekonstruktionen sollen, meint Oswalt, die Brüche der deutschen Geschichte, etwa der Zivilisationsbruch der NS-Zeit, überschrieben und ausgeblendet werden. „Ich will weg von den Idealisierungen und ein Verständnis für die Widersprüche der Geschichte“, fordert Oswalt. Sein Buch „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“ erscheint am 8.12.23 im Berenberg Verlag.

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