Gespräch

Sven Lehmann: Selbstbestimmungsgesetz macht das Leben einer Minderheit „einfacher und würdevoller“

Stand
Interview
Martin Gramlich

„Ich bin froh, dass das Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag verabschiedet wird“, sagt Sven Lehmann in SWR Kultur. Kritik am neuen Gesetz weist der Queerbeauftragte der Bundesregierung zurück. Es werde weder einen „Transhype“ noch ein Sicherheitsrisiko geben.

Zeit der psychiatrischen Gutachten ist vorbei

Für die Menschen, die es betreffe, nämlich trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen, biete die gesetzliche Neuregelung des Transsexuellengesetzes von 1981 „eine große Erleichterung“, so Lehmann. Das alte Gesetz habe diese Personen diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt.

Zum Beispiel psychiatrischen Gutachten, die teuer sind und die Persönlichkeitssphäre verletzen, Sterilisierungen oder dem Scheidungs-Zwang. „An diese Stelle tritt jetzt ein würdevolles Selbstbestimmungsgesetz“, betonte Lehmann.

„Jugendliche wissen sehr genau selber, wer sie sind“

Lehmann begrüßt, dass Kinder und Jugendliche in Zukunft schon im Alter von 14 Jahren beim Standesamt über ihren sogenannten „Personenstand“ entscheiden können, also Geschlecht und Vornamen festlegen können – zum Teil ohne der Zustimmung der Eltern.

Schließlich trauten wir Jugendlichen auch sonst sehr viel zu, zum Beispiel die Entscheidung darüber, einer Kirche anzugehören. „Ich glaube, auch in diesem Fall wissen Jugendliche sehr genau selber, wer sie sind.“

Bei dem Gesetz gehe es auch lediglich um eine Personenstand-Änderung, nicht etwa um Geschlechtsumwandlungen. Die würden definitiv nicht gesetzlich, sondern fachmedizinisch geregelt. In der öffentlichen Debatte würde das oft verwechselt, sagt Lehmann.

„Die CDU/CSU schießt über's Ziel hinaus“

Auch stelle das neue Gesetz kein Sicherheitsrisiko dar, sagt Lehmann. Die Kritik der CDU/CSU, dass Personen, die Geschlecht und Vornamen geändert haben, das Land unbemerkt verlassen könnten, auch wenn sie auf Fahndungslisten stünden, weist Lehmann entschieden zurück.

Wenn eine Person, die Namen und Geschlecht ändert, auf der Fahndungsliste stehe, sei klar, dass das abgeglichen werden müsse. Die Bundesregierung werde dafür sorgen, dass das im Melderecht verankert werde. „Mit ihrer Kritik schießt die CDU/CSU über's Ziel hinaus“, so Lehmann.

Alice Schwarzer warnt vor „Transhype“

Auch rechne er definitiv nicht mit einem sogenannten „Transhype“ als Folge des Selbstbestimmungsgesetzes, vor dem einige Feministinnen, wie Alice Schwarzer und andere wiederholt gewarnt haben. Die Entscheidung, seinen Geschlechtseintrag zu wechseln, etwas sehr Fundamentales, was Betroffene sich im Vorfeld gut überlegen.

„Die Zahlen, die wir erwarten, sind überschaubar. Wir erwarten keinen Hype.“ Lehmann wies darauf hin, dass eine große Mehrheit der Frauenorganisationen in Deutschland das neue Selbstbestimmungsgesetz unterstützten, darunter der Deutsche Frauenrat, die Frauenhauskoordinierung und der Deutsche Juristinnenbund.

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