Gesellschaft

Rechtsruck in der italienischen Kultur: Staatliche Finanzmittel bald nur noch für politisch genehme Opern- und Theaterinszenierungen?

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Thomas Migge

Die extreme Rechte behauptet, Kultur und Geschichtsschreibung seien zu links, und versucht, ihre Sicht zu etablieren – etwa durch absurde Thesen des Kulturministers Gennaro Sangiuliano. Auch in der Kunstwelt und auf den Bühnen zeigt sich der Einfluss der Rechten. Gibt es bald nur noch Gelder für politisch genehme Inszenierungen?

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Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi gilt als Scharfmacher

Im Juli dirigierte Alberto Veronesi eine Neuinszenierung von Puccinis „La Boheme“ beim Puccini-Festival und trug dabei eine schwarze Augenbinde als Protest gegen die Regie von Christophe Gayral, der die Handlung unter jugendlichen Revoluzzern der französischen 68er-Bewegung ansiedelte.

Das Publikum teilte sich lautstark in Befürworter und Gegner dieser Protestaktion. Wie schließlich bekannt wurde, kam die Idee vom ultrarechten Kunsthistoriker und amtierenden Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi.

Bedenkliche Einmischung

Scharfe Kritik vom kulturpolitischen Scharfmacher Sgarbi gab es auch an der Inszenierung von Gioachino Rossini Oper „Il Turco in Italia“ beim Opernfestival im apulischen Martina Franca. Die Oper wurde luftig-leicht und frech in einem sommerlichen Strandbad inszeniert.

Hier werde italienische Hochkultur skandalös lächerlich gemacht, schimpfte Sgarbi. Der deutsche Opernmanager Sebastian Schwarz, Direktor des Festivals, findet diese Einmischung bedenklich:

„Mit der Äußerung des Kulturstaatssekretärs drei Stunden vor der Eröffnung des Festivals haben wir schon gemerkt, dass da auf jeden Fall ein rechter Wind weht und Versuche betrieben werden, das Theater in eine Richtung zu schieben.“

Rechte Politiker und Historiker versuchen die Geschichte umzuschreiben

Und es betrifft nicht nur das Theater: Verschiedene Regierungspolitiker und nachweislich ultrarechte Historiker versuchen die italienische Nachkriegsgeschichte umzuschreiben, wie etwa Marcello De Angelis, einst militanter Neofaschist und heute Sprecher des rechten Regionalpräsidenten von Latium.

Vor einigen Tagen erklärte De Angelis in offenem Widerspruch zu den Resultaten von Historikerkommissionen, dass für den Terroranschlag am Bahnhof in Bologna 1980, bei dem 85 Menschen starben, ein nationales Trauma und keine Neofaschisten verantwortlich seien.

Der Regionalpräsident und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, einst selbst militante Neofaschistin, schweigen zum Fall De Angelis. Seit Tagen demonstrieren deshalb aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger vor dem Sitz der Regionalverwaltung gegen das Verbleiben des Ex-Neofaschisten im Amt des Pressesprechers.

Kulturminister Gennaro Sangiuliano vereinnahmt Dante

Die Kulturszene und die Geschichtsschreibung im italienischen Nachkriegsitalien: Alles viel zu links unterwandert. So jedenfalls denken viele extreme Rechte – die nun an der Macht sind und einiges richtig stellen wollen.

Dass man sich da auch schon einmal zu hanebüchenen Thesen versteigt, zeigt das Beispiel des Kulturministers Gennaro Sangiuliano: „Alle großen Schriftsteller sind Rechte. Und der Gründer rechten Denkens in Italien war der mittelalterliche Dichterfürst Dante Alighieri“, sagte er.

Vorgaben an den Kunstbetrieb

Auch in Sachen bildender Kunst marschieren Italiens Rechte auf: So wurde kürzlich dem Nationalmuseum für moderne Kunst in Rom, dem GNAM, aus dem Kulturministerium vorgeschrieben, eine Ausstellung zum „Herr der Ringe“ zu organisieren.

An sich ist das keine schlechte Idee. Doch der Roman von John Ronald Reuel Tolkien, in dem die Guten die Macht des Bösen vernichten, gilt seit den 1950ern als literarische Bibel militanter italienischer Neofaschisten.

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