1930 zogen die französischen Besatzer aus Mainz ab. Die Bürgerschaft freute sich über die Befreiung. Sie beauftragte den Bildhauer Benno Elkan mit einem Denkmal in Form einer Frauenfigur. Doch kurz nach der Einweihung empörte sich die katholische Kirche: Die nackte Brust der steinernen Statue war ihr ein Dorn im Auge.
Ein Symbol der Friedfertigkeit
Fast vier Meter hoch, rund zehn Tonnen schwer und aus massivem Granit: Die Frauenstatue, die die Mainzer 1930 auf dem Schillerplatz aufstellen, hatte der Künstler Benno Elkan klassisch gestaltet – mit nackter Brust und erhobenem Arm, aber ohne Waffe in der Hand. Ein Symbol der Friedfertigkeit.

Die Statue ist als steinernes Andenken an die Befreiung von der französischen Besatzung gedacht. Denn in Mainz und den Rheinlanden hatte der Abzug für großen Jubel gesorgt. Dort hatten sich die Goldenen Zwanziger weniger golden angefühlt als anderswo in der Weimarer Republik.
Diese Besatzung der französischen Soldaten hat natürlich einiges mit sich gebracht. So gab es Zensur, es gab gewisse Versammlungseinschränkungen, es gab Einschränkungen in der politischen Betätigung.
Die Befreiungsfeier mit Volksfest, Umzügen und Zeppelinfahrt endet in Mainz mit der Einweihung des Denkmals durch Reichspräsident Paul von Hindenburg. In der Begeisterung sind sich die Parteien einig.
Henrik Drechsler stellt in „My Hidden History“ die Geschichte der barbusigen Statue in Mainz vor:
Kurz nach der Enthüllung kommt es zum Skandal
1930 fällt jedoch auch das Uniformverbot und die Nazis locken mit ihren wirkungsmächtigen Fackelmärsche der Braunhemden neue Anhänger an. Kurz nach der Enthüllung des Befreiungsdenkmals kommt es zum Skandal: Die katholische Kirche hält die barbusige Statue plötzlich für unzüchtig und verlegt schließlich die Route des Fronleichnamszugs.

Für die Nazis ist das ein gefundenes Fressen. Als sie 1933 an die Macht kommen, reißen sie die Statue nach nur drei Jahren ab. „Mit Sicherheit hat ihnen da auch immer in die Karten gespielt, dass es eben vorher schon die Empörung über diese Statue seitens der katholischen Kirche gegeben hat. Aber der Hauptbeweggrund der Nationalsozialisten war eben vor allem die jüdische Herkunft Benno Elkans und auch, dass diese Statue natürlich für einen demokratischen Prozess gestanden hat, für ein demokratisch erwachendes Deutschland“ , sagt Henrik Drechsler.
In Mainzer Steingärten finden sich vielleicht noch Teile der Statue
Doch ein symbolischer Sturz der Statue oder gar eine Sprengung vor Ort gelingt den Nazis nicht: Das Denkmal ist viel zu massiv. Über ein Gerüst müssen die Granitblöcke abgetragen werden. Wohin sie transportiert werden, bleibt jahrzehntelang im Dunkeln. Erst der Kunsthistoriker Hans Menzel-Severing kann Ende der 1970er den Verbleib rekonstruieren – mit Hilfe von Leserbriefen der Lokalzeitung:
Die Figur wurde erstmal auf das Gebiet der Blendax-Werke geschafft und da befand sich ein großer Krater von einer Sprengung in den Jahren davor. Und in diesem Krater hat man dann das große Denkmal auch gesprengt. Und einige Leute haben sich aus den Steinbrocken, die da rumlagen, dann noch einige mitgenommen für ihren Steingarten zuhause.

Ein Skandal war nie intendiert – im Gegenteil
Einen Skandal hatte Benno Elkan mit seiner barbusigen Frauenfigur übrigens nie provozieren wollen. Im Gegenteil. Der Bildhauer hatte hehre Vorbilder im Kopf: Michelangelos Skulptur des „erwachenden Sklaven“ und Delacroix‘ Gemälde der barbusigen Marianne, Frankreichs Nationalheldin.
Doch das kommt in der Bevölkerung nie an. Nach dem Abriss durch die Nazis bleibt der Sockel in Mainz jahrzehntelang leer. Erst 1967 stellt die Stadt dann ein massives bronzenes Denkmal an derselben Stelle auf: Den Mainzer Fastnachtsbrunnen.

Zeitwort 6.3.1935: Nazis verhaften das Mainzer Karnevalskomitee
Narrenfreiheit? Nicht bei den Nazis. Die Verhaftungen am Aschermittwoch 1935 waren als Einschüchterungsversuch gedacht.
24.7.1950 Mainz wird Landeshauptstadt
24.7.1950 | Als 1947 unter der französischen Besatzung das Land Rheinland-Pfalz entstand, war Mainz schon als Landeshauptstadt vorgesehen. Die Stadt war aber so zerstört, dass keine geeigneten Regierungsgebäude zur Verfügung standen. Deshalb diente zunächst Koblenz als provisorische Hauptstadt. Am 24. Juli 1950 konnte die Regierung dann umziehen. Mainz wurde Landeshauptstadt und das wurde groß gefeiert, wie damals Peter von Hof berichtete.
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