Die US-amerikanische Dokumentarfotografin Mary Ellen Mark (1940-2015) hat ein halbes Jahrhundert lang leidenschaftlich und meisterhaft Menschen am Rande der Gesellschaft porträtiert. In Heilbronn sind nun ihre Bilder von Mädchen und Frauen zu sehen. „Mary Ellen Mark war keine Missionarin, aber sie hatte eine Mission: Menschlichkeit.“, sagt die Kuratorin in SWR Kultur.
Mark fotografierte das Elend der Straße
Der Schock war präzise kalkuliert. 1983 beauftragte das US-Magazin „Life“ die Fotografin Mary Ellen Mark mit einer Reportage über Straßenkinder, und zwar im damals besonders properen Seattle.
Die Szenen, die Mark von dort mitbrachte, tun heute noch beim Hinsehen weh: Magere Mädchen von nicht mal 15, die irgendwo downtown auf dreckigen Bürgersteigen ihren Babies die Schnullerflasche geben, rauchen und auf den nächsten Freier warten – während andere direkt daneben noch mit Puppen spielen.
Das Leben der Frauen vor der Linse
Konfrontative Bilder, sagt Rita Täuber. „Es ist selten, dass Fotos einem so angehen.“ Die Heilbronner Kuratorin hat in der Kunsthalle Vogelmann eine Ausstellung mit Mädchen- und Frauenbildern aus dem rund 50-jährigen Schaffen von Mary Ellen Mark eingerichtet. Der Titel: „The Lives of Women“.
Mark lebte in New York, habe in den 1960er- und 1970er- Jahren die Proteste der Frauenbewegung mitbekommen. „Sie ist zwar keine politisch agierende Feministin, aber sie sieht Frauen eigentlich immer als Außenseiterinnen.“, sagt Träuber.
Mary Ellen Mark hat von Anfang an ein Herz für Menschen am Rand. Weil deren Geschichten aber keine Kassenknüller sind, macht sie eigene Projekte daraus.
Fotos von der geschlossenen Psychatrie
Als Set-Fotografin beim Film kommt Mark zu Honoraren und Inspirationen. Sie fotografiert für Bunuel, Fellini und Coppola, hat Dustin Hofman vor der Linse, Brad Pitt, Kate Blanchett.
Wegweisend für ihr Werk wird die Arbeit beim Psychiatrie-Drama „Einer flog übers Kuckucksnest“ von 1975. „Drehort war das State Mental Hospital in Oregon. Die geschlossene Abteilung der Frauen hat sie so nachhaltig beschäftigt, dass sie alles dafür tat, in dieser Klinik wohnen und fotografieren zu können.“, so Täuber.
Beharrliche und geduldige Recherche
Über Wochen lebt Mark mit den Patientinnen, dokumentiert empathisch Schicksale, Dramen und heftige Gefühle. Das Projekt wird ein Meisterwerk der teilnehmenden Beobachtung. Wie macht sie das? „Durch Zeit“, sagt Täuber.
Sie sei beharrlich gewesen, habe gekämpft bei den Institutionen. „Die Geduld, die sie hatte, und das Vertrauen, was ihr die Menschen dann entgegenbrachten, das braucht einfach Zeit.“
Mission, aber keine Missionarin
Besonders viel Zeit hat sich Mary Ellen Mark für Tiny aus Seattle genommen: 30 Jahre waren die beiden Frauen immer wieder in Kontakt.
Beim Kennenlernen ist Tiny 13, drogensüchtig und geht auf den Strich. Mark will sie retten, mitnehmen nach New York. Aber Tiny bleibt wo sie ist und bekommt bald das erste ihrer insgesamt zehn Kinder.
„In einem Interview erzählt Tiny, es wäre immer so toll gewesen, wenn sie kam. Sie brachte Geschenke, besorgte das Notwendigste, steckte ein bisschen Geld zu“, sagt Täuber. „Aber sie kann sie nicht alle retten. Sie hat eine Mission. Sie war aber keine Missionarin.“
Bei Mutter Teresa muss die Kamera ausbleiben
Bei einer echten Missionarin von Weltruf kam selbst Mary Ellen Mark an ihre Grenze. Im Hospiz von Mutter Teresa musste Mark auf Geheiß einer Nonne die Kamera beiseite stellen und Hand anlegen bei der Pflege der Sterbenden.
„Sie schreibt, dass sie sich ohne die Kameras hilflos fühlt“, so Täuber. „Die Kamera ist Aggression und Schutz zugleich.“
Ist es ethisch, Schwache zu fotografieren?
Medientheoretikerinnen wie Susan Sonntag haben die Aggression, die im Fotografieren von Schwachen und Leidenden liegt, mit Schärfe seziert. Bei Mary Ellen Mark scheint solche Kritik verfehlt.
Es gibt wohl kaum eine zweite Fotografin, die ihr Leben lang so bescheiden, zielstrebig und einfühlsam versucht hat, ein gültiges Bild des Menschen einzufangen, findet auch Rita Täuber: „Es ist die Zeit, die sie verbringt. Die Beziehungen, die entstehen. Dadurch können solche Fotos auch wirklich Wahrheit transportieren.“
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