Bühne

„Regen“ – Ferdinand von Schirach geht mit Theatermonolog auf Bühnentournee

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AUTOR/IN
Ina Beyer

Verbrechen, Schuld, Strafe, Ehre, Gerechtigkeit – das sind Themen, über die der ehemalige Strafverteidiger und Erfolgsautor Ferdinand von Schirach schreibt. Seine jüngste Erzählung „Regen“ über einen Mann, der über Leben, Lieben und Schreiben nachsinnt, bringt er jetzt auch selber als Schauspieler auf die Bühne. Unter der Regie von Elmar Goerden fand in der Berliner Philharmonie die Uraufführung statt.

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Verkrachte Dichter- und Schöffenexistenz

Ein verzagter Dichter – 17 Jahre ohne Werk – soll als Schöffe vor Gericht über einen Mann urteilen, der seine Frau erstochen hat. Sie hatte ihm zuvor einen zu kleinen Penis bescheinigt. Darüber als Laienrichter zu befinden ist dem Dichter zuwider. Bei unschönem Wetter zieht er sich darum in ein Cafe zurück und sinniert über Schuld und Sühne, Liebe und Leben, Ruhm und Regen.

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Unzählige selbst beantwortete Fragen

„Regen“ – so heißt und so beginnt die Geschichte. „Mögen Sie Regen?“, hebt der Ich-Erzählende Dichter an, und es ist nur die erste von unzähligen Fragen, die er dem Leser stellt, um sie sogleich selber zu beantworten. „Darf man hier rauchen?“, folgt als nächste und schon ist die Zigarette angezündet. Die allerdings nicht zwischen den Zeilen, sondern leibhaftig auf der Bühne.

70 Minuten langer Monolog

Ferdinand von Schirach wird es sich in den folgenden siebzig Minuten nicht nehmen lassen, diesen und weitere Glimmstengel zu entfachen, während er die 50 Seiten seines Theatermonologes heruntersagt. Oder besser herauf – in die vollbesetzten Ränge der Berliner Philharmonie. Leise und bedächtig doziert er. Sitzt auf einem Caféhausstuhl am runden Tisch. Nippt ab und zu am Eiswasser mit Minze. Steht auf, läuft nach links oder rechts auf dem schwarzen Rechteck, das ihm Bühne ist.

Der schwarze Anzug sitzt perfekt, die Fliege wippt, die Lacklederschuhe blitzen. So trägt und stellt sich von Schirach den Dichter vor.

Was ist Bademantelliteratur?

Was ist Bademantelliteratur? Ausgerechnet diese interessante Frage wird nicht beantwortet. Dafür erfahren die andächtig lauschenden Zuhörer, dass Aphrodite vom abgetrennten und ins Meer geworfenen Gemächt von Uranos gezeugt wurde, Cary Grant einst über Grace Kelly sagte „schön wie ein Bildnis und ebenso stumm“ oder sich die Sonnenanbeter am weißen Strand der Karibik auf Fischkot aalen.

Ein Zitatenschatz so bildungshubernd wie ermüdend

Unter dem Bade-, pardon Deckmantel der Geschichte über eine verkrachte Dichter- und Schöffenexistenz werden immer neue Anekdoten hervorgekehrt. Von Hesiod bis Hemingway, Demokrit bis Goethe, Winston Churchill bis Willy Brandt reichen die Stichwortgeber, fast jeder Satz im Buch und auf der Bühne: ein Zitatenschatz. So bildungshubernd wie ermüdend.

Einschläfernd wie Regen. Der aber versiegt in der Geschichte und der Dichter beschließt, nach 17 Jahren wieder zu schreiben. Über Schuld und Sühne, Liebe und Leben, Ruhm und Regeln.

Dichter und Dichtung hätten besser in intime Atmosphäre eines Caféhauses gepasst

Dichter und Dichtung hätte die intime Atmosphäre eines Caféhauses oder einer kleinen Bühne mehr entsprochen – aber da passen ja nicht mehrere tausend Leute rein. Darunter aber macht es Ferdinand von Schirach nicht. Und die Zuhörer danken es ihm. Tosender Applaus.

Ferdinand von Schirach

10 Millionen Bücher in 40 Ländern hat er verkauft, Gerichtsdramen, Drehbücher für Crime-Serien und Filme sowie autobiografische Erzählungen verfaßt: Ferdinand von Schirach. Seine Theaterstücke „Terror“ und „Gott“ gehören zu den weltweit meistgespielten Bühnenwerken.

Bevor er zu einem der (wirtschaftlich) erfolgreichsten Autoren Deutschlands wurde, war Schirach 20 Jahre lang Strafverteidiger, unter anderem für die Erben von Klaus Kinski oder Günter Schabowski in den Berliner Mauerschützenprozessen. (Der Großvater Baldur von Schirach war einer der Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten, 1946 wurde dieser in Nürnberg zu 20 Jahren Haft verurteilt.) Verbrechen, Schuld, Strafe, Ehre, Gerechtigkeit – das sind Themen, die dessen Enkel Ferdinand von Schirach beschäftigen.

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Melancholie durchzieht die kurzen Prosatexte: In „Nachmittage“ setzt der Erfolgsautor Ferdinand von Schirach seine autobiografischen Erkundungen aus „Kaffee und Zigaretten“ fort. Er schreibt über das Reisen und eine verlorene Liebe, über Begegnungen und Kunsterlebnisse in Paris, New York, Pamplona und anderen erlesenen Settings.

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Anja Höfer im Gespräch mit Frank Hertweck.

Luchterhand Verlag
ISBN 978-3-630-87658-0
80 Seiten
8 Euro

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