Baden-württembergische Spitzenpolitikerinnen und -politiker in den Stuttgarter Wagenhallen.

SWR Spitzenrunde in den Stuttgarter Wagenhallen

Die Spitzenrunde vor der Bundestagswahl: Die Debatte zum Nachlesen

Stand

Zehn Tage vor der Bundestagswahl trafen baden-württembergische Spitzenpolitikerinnen und -politiker in den Stuttgarter Wagenhallen aufeinander. Wie wirken sich die wichtigsten Themen auf das Land aus?

Ende des Live-Blogs

Das war die "Spitzenrunde" im SWR vor der Bundestagswahl. Der Live-Blog und die Analysen zum Nachlesen gibt es hier.

Grüne kämpferisch, aber kein klarer Sieger

Es war auffällig: Die Grünen versuchten bei der "SWR Spitzenrunde" zehn Tage vor dem Showdown noch einmal Boden gutzumachen. Einen klaren Sieger aber gab es bei der stark inhaltsbezogenen Runde eher nicht. Eine Analyse von SWR-Redakteur Jens Fischer:

Baden-Württemberg

Verbaler Schlagabtausch in Stuttgart SWR Spitzenrunde vor der Bundestagswahl: Grüne kämpferisch, aber kein klarer Sieger

Die Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker aus dem Land haben versucht, bei der SWR Spitzenrunde noch einmal Boden gutzumachen. Einen klaren Sieger aber gab es bei der stark inhaltsbezogenen Runde eher nicht.

"Spitzenrunde": So lief die Debatte

Zehn Tage vor der Bundestagswahl debattierten Andreas Jung (CDU), Saskia Esken (SPD), Franziska Brantner (Grüne), Michael Theurer (FDP), Martin Hess (AfD) und Bernd Riexinger (Die Linke) in der "SWR Spitzenrunde". Die komplette Sendung zum Nachschauen:

Politikwissenschaftlerin Römmele: Kein klarer Sieger

Die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele sieht keinen klaren Sieger bei der Spitzenrunde. "Hier und da gab es einen kleinen Schlagabtausch, aber mit sechs Kandidaten und entsprechender Redezeit ist so eine Runde natürlich deutlich weniger konfrontativ", sagte sie dem SWR. Franziska Brantner (Grüne) konnte aus Sicht von Römmele beim Thema Klima und Energie punkten. "Sie hat sich gerade am Anfang angriffslustig gezeigt und gegen die CDU geschossen". Andreas Jung (CDU) und Michael Theurer (FDP) konnten aus Sicht von Römmele vor allem bei steuerpolitischen Fragen punkten. Die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken (SPD) sei zunächst auffallend zurückhaltend aufgetreten. "Sie ist es sehr strategisch angegangen und hat wenig auf Angriff gesetzt. Beim Thema Soziale Gerechtigkeit, etwa beim Wohnen, war sie dann aber ganz in ihrem Element", sagte sie. AfD-Politiker Martin Hess sei in der Diskussion dagegen etwas untergegangen.

Die Fokussierung auf Inhalte hat Römmele bei der Spitzenrunde gelobt. "Anders als bei den Triellen der Kanzlerkandidaten ging es weniger um die B-Noten, also etwa die Körperhaltung, oder die Frage, wer mit wem koaliert, sondern um echte Inhalte." So sei etwa den Zuschauerinnen und Zuschauern beim Thema Wohnen klar geworden, wer für was stehe. "Alle Parteien sehen das Problem von mangelndem bezahlbarem Wohnraum, aber sie haben unterschiedliche Lösungen. Das wurde heute gut herausgearbeitet." Ähnlich sei es beim Mindestlohn oder den Folgen des Klimawandels für die Wirtschaft und die Menschen im Land. "Die Kandidaten hatten heute eine gute Möglichkeit den Wählerinnen und Wählern ihre Themen und Lösungsvorschläge zu präsentiere", so Römmele im SWR. "Für mich hat heute das Format gewonnen", sagte sie.

SWR Kandidatencheck zur Bundestagswahl

Das war die "Spitzenrunde" im SWR. Wer am 26. September in Baden-Württemberg zur Wahl steht und welche Motivation hinter der Kandidatur steckt, erfahren Sie im SWR Kandidatencheck.

Baden-Württemberg

Alle Kandidatinnen und Kandidaten im Vergleich SWR Kandidatencheck zur Bundestagswahl 2021 in Baden-Württemberg

Wer verbirgt sich hinter den Namen auf Ihrem Wahlzettel und welche Motivation steckt hinter der Kandidatur? Finden Sie die Kandidierenden in Ihrem Wahlkreis und vergleichen Sie die Positionen zu wichtigen politischen Themen.

Schlussrunde mit persönlicher Frage

Zum Abschluss der Sendung stellen sich die sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer persönlichen Frage unseres Moderatoren-Duos:

Riexinger: "Mieter werden enteignet" - Hess: Sozialwohnungsbau nicht alleine entscheident

Bernd Riexinger (Linke) sieht beim Thema teurer Wohnraum eine "Enteignung der Mieter" - wenn sie einen Großteil ihres Einkommens für die Mieten benötigen. Wohnkonzerne sollten in öffentliches Eigentum übergehen, fordert Riexinger deshalb.

Zuvor hatte Martin Hess (AfD) den Sozialwohnungsbau als ein Element bezeichnet, um der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen - es sei aber nicht das entscheidende Element. Um wirklich eine Entlastung im Mietmarkt zu erreichen, müsse der Staat bei Investitionen entlastet werden. Aus diesem Grund müsse die Überregulierung des Mietmarkts durch den Staat reduziert werden, so Hess. Man könne nicht neue Gesetze zu Schallschutz oder Dämmung erlassen und sich dann wundern, wenn Vermieter die Preise erhöhen würden, so Hess.

Theurer: Bauen, bauen, bauen

Ist das Angebot niedriger als die Nachfrage, helfe nur bauen, bauen, bauen, so FDP-Politiker Michael Theurer. Nur so lasse sich "die große soziale Frage" lösen. Enteignung löse das Wohnproblem nicht.

Brantner gegen Mietwucher

Franziska Brantner (Grüne) fordert eine Mietpreisbremse, die auch wirklich bremst. Außerdem müsse Wohngemeinnützigkeit wieder eingeführt werden. In den kommenden zehn Jahren wollen die Grünen eine Million Wohnungen bauen. Zugleich will Brantner gegen Mietwucher vorgehen. "Wer abzockt, soll bestraft werden", sagt Brantner. Das habe die Große Koalition nicht getan.

Römmele: Wohnungsthema zeigt Unterschiede

Beim Thema Wohnen werden die Unterschied der Wahlprogramme, aber auch die der Kandidierenden sehr deutlich, sagt Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele. Alle sehen das Problem, setzen aber auf andere Lösungen.

Jung: Müssen beim Bauen schneller werden

Wir haben im letzten Jahr 300.000 neue Wohnungen in Deutschland gebaut, so viele wie seit 2001 nicht mehr. "Damit sind wir nicht zufrieden, das muss beschleunigt werden", sagt Jung.

Esken: SPD will neue Wohnungen bauen

Die SPD will pro Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen, betont die SPD-Politikerin Saskia Esken. 100.000 davon müssten Sozialwohnungen sein, auch die sogenannte Sozialbindung müsse verlängert werden. Momentan sei der Wohnungsmarkt in Städten und auch auf dem Land überhitzt.

Bezahlbarer Wohnraum

Nun geht es in der SWR Spitzenrunde um das Thema Wohnen und Mieten. Wie kann bezahlbarer Wohnraum erhalten und geschaffen werden? Einig sind sich alle Parteien darin, dass deutlich mehr Wohnungen gebaut werden sollen. Bei der Regulierung des Mietmarkts gibt es aber erhebliche Unterschiede. Während SPD, Grüne und Linke die Mietpreisbremse ausweiten und entfristen wollen, möchten AfD und FDP sie wieder abschaffen. Die Linke fordert außerdem ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen und einen bundesweiten Mietendeckel. Für die Union ist mehr Wohnraum der beste Mieterschutz. Dafür will sie Bürokratiehürden abbauen und steuerliche Anreize setzen.

Mindestlohn: Viel Zustimmung - Höhe umstritten

Beim Thema Mindestlohn betont Bernd Riexinger (Linke), dass 13 Euro pro Stunde nötig seien, damit keine Altersarmut droht. Martin Hess (AfD) sagt, insgesamt sei ein Mindestlohn nötig, er nennt aber keinen Betrag. Franziska Brantner bezeichnet 12 Euro pro Stunde als notwendigen Mindestlohn. Andreas Jung (CDU) warnt vor einem Überbietungswettbewerb. Die Tarifparteien sollen den Lohn aushandelt. So sieht das auch Michael Theurer (FDP). Dafür sei die Mindestlohn-Kommission zuständig. Saskia Esken (SPD) sprach sich ebenfalls für 12 Euro Mindestlohn pro Stunde aus.

Hess: Mehrwertsteuer muss gesenkt werden

Um Geringverdiener zu entlasten, müsste die Mehrwertsteuer auf 15 Prozent gesenkt werden, fordert AfD-Politiker Martin Hess. "Das kann und darf so nicht weitergehen", sagt er. Außerdem müssten auch Familien steuerlich entlastet werden, so Hess.

Brantner: Kleine und mittlere Einkommen entlasten

Franziska Brantner (Grüne) sagt, die Schere zwischen arm und reich dürfe nicht weiter auseinander gehen. Niedrige und mittlere Einkommen müssten entlastet werden. "Umverteilung von unten nach oben können wir uns nicht leisten", so Brantner. Sie forderte, dass Deutschland konsequent gegen Steuerbetrug, Geldwäsche und die organisierte Kriminalität vorgehen müsse.

Jung gegen Vermögenssteuer

Die hohen Vermögen seien schnell von Konstanz in Kreuzlingen in der Schweiz, begründete Jung seine Haltung. Auch jetzt schon müssten Menschen mit hohen Einkommen hohe Steuern zahlen. Familienbetriebe würden durch eine Vermögenssteuer "ins Mark getroffen".

Riexinger: Milliardär soll mehr bezahlen zugunsten von Pflegekräften

Bernd Riexinger (Linke) sieht einen großen Investitionsbedarf. Deshalb sei eine Vermögenssteuer sinnvoll. Er finde, ein Milliardär solle mehr Steuern bezahlen, damit Pflegekräfte besser bezahlt werden können, so Riexinger.

Die Steuer- und Finanzpolitik

Sollen Steuern steigen und wenn ja für wen? Die Diskussion um die Steuerpolitik dürfte hitzig werden, denn bei kaum einem Thema unterscheiden sich die Programme der Partien im Bundestag derart stark voneinander. Während Union und FDP Steuererhöhungen kategorisch ablehnen, wollen SPD, Linke und Grüne Spitzenverdiener und Vermögende stärker belasten. Die AfD verspricht, das Steuersystem zu vereinfachen und will etwa Grund- und Erbschaftssteuer abschaffen. Auch bei der Frage, ob Deutschland neue Schulden aufnehmen soll, gehen die Meinungen der Parteien weit auseinander.

Riexinger und Brantner gegen Hess

Die Position der AfD könne man in der Corona-Pandemie nicht ernst nehmen, griff Bernd Riexinger (Linke) die Aussagen des AfD-Politikers Hess an. Auch Grünen-Politikerin Franziska Brantner konnte Hess Aussagen wenig abgewinnen und reagierte mit Kopfschütteln. Dennoch: Die Corona-Politik der Bundesregierung sei in der Krise häufig zu spät gewesen, sagt sie.

Andreas Jung: Freiheiten verteidigen - 2G erst bei mehr Intensivfällen

Andreas Jung (CDU) verweist darauf, dass die 2G-Regelung in Baden-Württemberg nicht unmittelbar eingeführt werden solle, sondern erst, wenn wegen einer hohen Belegung der Internsivstationen die "Alarmstufe" ausgerufen werde. Es sei richtig, dass Geimpfte nicht mit Beschränkungen bestraft werden sollen und zurückgewonnene Freiheiten verteidigt werden.

Zwischenfazit: Inhalte stehen mehr im Fokus

Erstes Zwischenfazit von der Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele, die für den SWR die Debatte verfolgt. Inhalte würden bei der jetzigen Debatte mehr im Fokus stehen - mehr als beim Triell, bilanziert sie. Esken wolle sich verstecken. Das macht sie auch bei dieser Runde exzellent und sehr unaufgeregt. Brantner sei bislang sehr präsent, sagt sie.

Hess: Einschränkungen sind unverhältnismäßig

Martin Hess (AfD) hält die Einschränkung von Grundrechten für unverhältnismäßig, nicht zielführend und verfassungswidrig. Es gebe keinen Grund für eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften, so Hess.

Esken zur 2G-Regelung: Müssen Gesundheitssystem schützen

Saskia Esken (SPD) hält die 2G-Regel im Kampf gegen die Corona-Pandemie für verhältnismäßig. Das Wichtigste sei, das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen. Es gehe immer um Menschen - sowohl bei den Patientinnen und Patienten als auch bei den Pflegekräften. Esken betont zudem, dass so auch Kinder vor Ansteckungen geschützt werden könnten.

Theurer zur Corona-Verordnung: Haben verfassungsrechtliche Bedenken

"Wir lehnen eine Impfpflicht durch die Hintertür ab - wir haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken", kommentiert Michael Theurer (FDP) die neue Corona-Verordnung in Baden-Württemberg, die die 2G-Regel für Ungeimpfte enthält. Zudem kritisiert er die Bundesregierung, weil zum Jahresbeginn nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stand, als sich viele Menschen impfen wollten.

Die Corona-Krise

Es geht weiter mit einer Debatte über die Corona-Politik. Seit heute gilt in Baden-Württemberg eine neue Corona-Verordnung mit weitreichenden Einschränkungen für Ungeimpfte. Liegen zu viele Corona-Patienten in den Krankenhäusern, gilt in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens die 2G-Regel. Außerdem erhalten Ungeimpfte bzw. ihre Arbeitgeber im Fall einer Corona-Quarantäne keine Lohn-Entschädigung mehr vom Land. Ist das Vorgehen der grün-schwarzen Regierung in Baden-Württemberg ein Vorbild für ganz Deutschland? Bei dieser Frage ist vor allem von Michael Theurer (FDP) und Martin Hess (AfD) deutlicher Widerspruch zu erwarten.

Jung: Müssen Chancen betonen

Andreas Jung (CDU) will bei der Debatte um Klimaschutz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem die Chancen in den Vordergrund zu stellen. "Wir wollen das mit Innovationen erreichen", sagte Jung.

Brantner widerspricht Hess

Franziska Brantner (Grüne) unterstrich, dass Deutschland nicht nur für sich alleine schauen könne, sondern auch auf andere schauen müsse. Wohlstand sei nur dauerhaft mit Klimaschutz möglich. Sie widerspricht damit auch dem AfD-Politiker Martin Hess, der sich klar für die weitere Nutzung des Verbrennungsmotors ausgesprochen hatte und betonte, dass die AfD alle Steuern im Bereich Energie abschaffen wolle.

Riexinger: Setzen auf ÖPNV

Beim Bau von Verbrennungsmotoren werden mehr Arbeiterinnen und Arbeiter gebraucht als beim Bau von E-Motoren. Jedoch könnten beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sagt Bernd Riexinger (Linke).

Römmele: Brantner angriffslustig

Die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele nimmt Franziska Brantner (Grüne) als angriffslustig wahr, weil sie unmittelbar die Große Koalition attackiert.

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SWR