Montage: Viel Verkehr auf einer Innenstadt-Straße, dichtes Gedränge vor einem Regionalzug. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christophe Gateau, Monika Skolimowska; Montage: SWR)

"Keine positive Klimaschutzwirkung"

Alarmierender Effekt: Mehr Verkehr wegen 9-Euro-Ticket?

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Alexander Winkler
SWR-Wirtschaftsredakteur Alexander Winkler (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Ist die Bahn günstig, lassen viele Menschen das Auto stehen: Diese Hoffnung erfüllt das 9-Euro-Ticket jedoch offenbar nicht. Manche Pendler sind sogar von der Bahn aufs Auto umgestiegen.

Im August gibt es das 9-Euro-Ticket im dritten und damit vorerst letzten Monat. Bundesweit wurde das Ticket mehr als 31 Millionen Mal verkauft. Nicht nur aufgrund des Erfolgs diskutiert die Politik bereits über eine Verlängerung oder Nachfolge. Doch eine Auswertung wissenschaftlicher Studien zeigt, dass das 9-Euro-Ticket wohl zumindest nicht zur Verkehrswende beiträgt.

Nicht viele Menschen lassen ihr Auto stehen

Denn statt den Verkehr zu verlagern, erzeuge das 9-Euro-Ticket noch mehr Verkehr. Zu diesem Ergebnis kommt der Interessensverband Agora Verkehrswende, der mehrere Studien zur Nutzung des 9-Euro-Tickets ausgewertet hat. Zwar müsse man viele der aktuellen Daten mit Vorsicht genießen, so der Verband. Die vorliegenden Daten seien aber sehr alarmierend.

Laut den Forschenden führt das 9-Euro-Ticket nicht wie erhofft dazu, dass viele Menschen ihr Auto stehen lassen. Zum Teil sei sogar genau das Gegenteil zu beobachten, berichten Beschäftigte der Bahn: "Stammpendler" würden sogar extra wieder das Auto nehmen, weil die Bahn oft nicht mehr zuverlässig genug sei.

"Es gibt Leute, die sagen, der Zug ist so voll, dass sie aufs Auto umgestiegen sind, um wieder pünktlich auf die Arbeit zu kommen."

Eine ähnliche Tendenz beobachtet auch der Verkehrsverbund Rhein-Mosel. Einerseits seien viele Neukunden gewonnen worden. Andererseits habe man aufgrund der übervollen Züge auch Stammkunden verloren.

Auch eine Auswertung von Mobilfunkdaten durch das Statistische Bundesamt von Anfang Juli legt nahe, dass die Nutzung der Bahn durch das 9-Euro-Ticket deutlich gestiegen sei. Demnach lagen im Juni 2022 die bundesweiten Bewegungen im Schienenverkehr im Schnitt 42 Prozent höher als im Juni 2019.

9-Euro-Ticket wird eher für zusätzliche Fahrten genutzt

Das Problem: Rund ein Viertel der im ÖPNV angetretenen Fahrten wäre ohne das Ticket gar nicht erst gemacht worden, ermittelte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Es handelt sich also um zusätzliche Reisen und nicht um Ersatzfahrten, die sonst mit dem Auto gemacht worden wären.

Zu dem Ergebnis, dass die erhoffte positive Klimaschutzwirkung ausbleibt oder sogar negativ sein könnte, kommt auch Agora Energiewende. "Es deutet sich an, dass wir hier keinen klaren Klimavorteil mit dieser Aktion haben," so Projektleiter Philipp Kosok gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Eine Frau mit Rucksack steigt am Morgen am Bahnhof in eine Regionalbahn. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt)

Bahngewerkschaften beklagen Belastung für Personal und Infrastruktur

Negative Auswirkungen hatten zuletzt auch die Bahngewerkschaften EVG und GDL beklagt. Infrastruktur und Personal seien an der Belastungsgrenze. Der Fahrgastansturm und der Stress in überfüllten Zügen mache die Beschäftigten krank, klagt Jeffrey Harm, Geschäftsführer der EVG in Mannheim. Eine mögliche Fortsetzung des 9-Euro-Tickets sehen die Gewerkschaften deshalb kritisch.

"Man braucht eine gesunde Infrastruktur. Und das bedeutet, dass man ins Schienennetz investiert, dass man ins Personal investiert, um das sicherzustellen."

Nachfolger für das 9-Euro-Ticket möglicherweise noch 2022

Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat bereits einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket in Aussicht gestellt. Anfang November sollten Daten zu dem Ticket vorliegen, die bei der Bewertung helfen sollten, sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Das Nachfolgeangebot könne dann ab Ende des Jahres oder Anfang 2023 verfügbar sein. Vorgeschlagen für ein Anschlussmodell wurden unter anderem ein 365-Euro-Jahresticket oder ein 69-Euro-Monatsfahrschein.

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