Die Post im Erdgeschoss holen, die Treppe hoch zur Kollegin/zum Kollegen, um etwas zu besprechen - wer sich bei seiner Arbeit im Büro regelmäßig bewegen kann, für den werden die 19 Grad Raumtemperatur im Herbst und Winter wahrscheinlich kein größeres Problem werden.
Allerdings schwankt das Kälteempfinden von Frauen und Männern deutlich. Dass Frauen leichter und schneller frieren als Männer, sei kein Vorurteil, erklärt Anja Braun aus der SWR Wissenschaftsredaktion: Männer haben mehr Muskelmasse und die erzeugt bei Bewegung Wärme. Außerdem ist ihre Haut dicker.
Kritisch: Bürojob mit wenig Bewegung
Problematisch wird es nach Ansicht von Betriebsärzten in Berufen, bei denen längere Zeit ruhig an einem Platz gearbeitet wird - etwa langes Sitzen an Überwachungsmonitoren. Das betrifft zum Beispiel Fluglotsen. Hier seien 19 Grad definitiv zu kalt, sagt die Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, Dr. Anette Wahl-Wachendorf auf SWR-Anfrage. Dies gilt auch in Berufen, wo viel Feinmotorik gefragt ist, also in Zahnlaboren oder bei Uhrmachern.
Das Energiesparen in Büros werde aber nicht zwangsläufig zu mehr Erkältungen führen, meint Wahl-Wachendorf. Sie empfiehlt den Beschäftigten, sich einfach wärmer anzuziehen. Arbeitgeber dagegen sollten "Dresscodes mit Röcken und Blusen" in heruntergekühlten Büros aufheben und Zugluft aufgrund undichter Fenster und offener Türen beheben. Gerade Zugluft könne zu "einem dauerhaften Unwohlsein bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen", warnt Wahl-Wachendorf. Hier sollten Arbeitgeber Abhilfe schaffen.
Kein Anspruch auf warmes Büro
Anders als für die öffentliche Verwaltung gilt die seit 1. September gültige Energiesparverordnung aber nicht verpflichtend für private Arbeitgeber. "Sie stellt eine gesetzliche Grundlage für Energiesparmaßnahmen dar", sagt der Trierer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Franz Kibler. Private Arbeitgeber könnten deshalb die Temperatur auf 19 Grad absenken, sie können die Heizung aber auch höher drehen. Eine Absenkung auf 19 Grad hält Kibler zudem für eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt.
Grundsätzlich haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber keinen Anspruch auf ein angenehm warmes Büro. In der Arbeitsstättenverordnung heißt es lediglich, dass die Lufttemperaturen in Arbeitsräumen "gesundheitlich zuträglich" sein müssen und die dazugehörige Arbeitsstättenrichtlinie (ASR A3.5) schreibt folgende Werte vor:
- Bei leichten Arbeiten im Sitzen muss es am Arbeitsplatz selbst mindestens +20 Grad haben
- Bei mittelschweren Arbeiten im Stehen oder Gehen reichen +17 Grad
- bei schweren Arbeiten reicht eine Temperatur von +12 Grad
Nach der neuen Verordnung dürfen Arbeitgeber davon nun bis Ende Februar 2023 um ein Grad nach unten abweichen. Bei schweren Arbeiten bleibt es bei der Untergrenze von 12 Grad. Ausnahmen gelten für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Schulen und Kitas.
Kein Recht auf Homeoffice
Wem 19 Grad am Schreibtisch zu kühl sind, kann sich allerdings nicht einfach ins Homeoffice verziehen, wo Heizung oder Kaminofen für wohlige Wärme sorgen. Nach wie vor gibt es in Deutschland kein Recht auf Homeoffice. "Allerdings sieht die Energiesparverordnung in den Anmerkungen das Homeoffice als mögliche Schutzmaßnahme (des Arbeitnehmers, Red.) ausdrücklich vor", erläutert Kibler. Es lohne sich deshalb durchaus, hier das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen.
Wer mit Hinweis auf das (zu) kalte Büro aber einfach zu Hause bleibt, riskiert allerdings eine Abmahnung oder sogar die Kündigung! Anders sehe es aus, wenn der Beschäftigte gesundheitliche Probleme wie eine hohe Infektanfälligkeit per Attest nachweisen könne, so Kibler. Hier könne dann durchaus verlangt werden, die Heizung höher zu drehen oder ins Homeoffice zu gehen. Da es bei der Verordnung eine recht "große Grauzone" gebe, könnten solche Fälle "durchaus noch die Gerichte beschäftigen", meint der Fachanwalt.
Kälteempfinden nimmt ab
Einen Trost hat SWR Wissenschaftsredakteurin Anja Braun für alle, die schnell bibbern: Unser Körper gewöhnt sich mit zunehmender Dauer von Herbst und Winter an die kalten Temperaturen. Nach einem heißen Sommer fühle sich ein Temperatursturz auf 14 Grad deutlich kälter an als am Ende des Winters, so Braun. Und wer sich abhärten will, kann es ja mal mit einem Bad im Pulverschnee versuchen.