Anfang Mai: Die Arbeit beendet, auf dem Weg in den Feierabend - es ist später Abend als Carl (23) über den Tritonplatz in Mainz geht. Da ahnt er noch nicht, dass er in wenigen Minuten blutend am Boden liegen wird - angegriffen von einem Mann mit homophober Einstellung.
Beschimpfungen hören nicht auf
Rückblickend erzählt Carl: "Da waren zwei Männer und haben mich gerufen oder vielmehr angepöbelt - einfach so, als ich aus dem Staatstheater kam. Ich habe das erst ignoriert, weil ich dachte, das passiert halt mal. Aber dann haben die immer weiter gemacht mit ihren Beleidigungen. Irgendwann haben sie mich nach der Uhrzeit gefragt. Ich habe gesagt, ich sage nichts, wenn ihr mich anschreit."
Im Nachhinein glaubt Carl, dass es ein Fehler war, überhaupt auf die Männer eingegangen zu sein. Denn dann seien die Beschimpfungen immer wüster geworden. "Schwuchtel" und viele andere homophobe Beleidigungen hätten sie ihm an den Kopf geworfen.
Die Situation eskaliert
"Ein älteres Ehepaar hat gesehen, dass ich da so angegangen worden bin und hat versucht, mich aus dieser Situation zu ziehen. Das hat aber nichts genutzt. Die Männer wurden immer aggressiver, vor allem der eine - er stand schon nah vor mir. Das Ehepaar und ich haben gesagt, geht bitte weg, lasst uns in Ruhe! Das hat die aber nur noch mehr aufgeputscht und dann weiß ich noch, dass mir schwarz vor Augen wurde."
Einer der Männer hatte auf Carl eingeschlagen. "Er hat mich frontal ins Gesicht geboxt, dann bin ich zu Boden gegangen, ich hab nur noch gesehen, dass das Blut aus meinem Gesicht läuft. Letztlich war meine Lippe aufgeplatzt, ich hatte im Mund eine Platzwunde, eine riesige Schwellung und meine Zähne waren wie betäubt, ich musste zum Zahnnotdienst."
Zivilcourage: Es gibt sie noch
Carl sagt, sein Glück sei gewesen, dass der ältere Mann des Paares den Angreifer abgehalten habe - sonst sähe er jetzt noch viel schlimmer aus. Er habe unter Schock gestanden und dann sei ziemlich schnell die Polizei gekommen.
Die Frage nach Konsequenzen
Irgendwann nach der Aufnahme aller Daten sei eine Polizistin zu Carl gekommen und habe gesagt, dass sich der Angreifer entschuldigen wolle. "Und dann stand der Mann vor mir und hat mir die Hand gegeben, die er noch Minuten vorher in meinem Gesicht hatte und hat sich bei mir entschuldigt."
Aber es sei merkwürdig gewesen, so Carl, es habe sich eher routiniert angefühlt. Sowohl der Angreifer als auch sein Mitstreiter hätten nicht den Eindruck gemacht, als seien sie geschockt, dass die Polizei sie erwischt habe.
Was Carl nachdenklich macht ist zum Beispiel, dass der Angriff keine direkten Konsequenzen hatte. Die beiden Männer seien nach dem Vorfall immer noch auf dem Platz gewesen, in Carl´s Nähe. Erst auf Nachfrage bei der Polizei seien der Angreifer und sein Mitstreiter des Platzes verwiesen worden für den Abend.
Vor allem emotionale Angriffe keine Seltenheit
Der Vorfall in Mainz sei das krasseste Körperliche gewesen, was er erlebt habe, so Carl. Aber zuvor habe er in einer anderen Stadt, im Ruhrgebiet, gewohnt. Da sei die Stimmung noch rauer gewesen als hier in Mainz. Oft sei er beschimpft worden. Er habe Glück gehabt, dass meist andere Menschen mit dabei waren, so dass Situationen nicht eskaliert seien.
Carl sagt, ob das mit den Übergriffen mehr geworden sei, könne er schlecht sagen: "Ich bin noch jung, habe nicht den Vergleich von vor vielen Jahren. Aber viele Leute haben mir gespiegelt, dass die Anfeindungen wieder mehr geworden sind.
Wenn man mit einem Mann in der Öffentlichkeit ist, dauert es nicht lange, bis man schief angeschaut und einem "Schwuchtel" hinterher gerufen wird. Ich bin jetzt nach dem Vorfall nochmal aufgewühlter und sensibler als vorher. Auf jeden Fall beschäftigt mich das und macht mir Angst."
"Ich glaube", so Carl, "dass es wichtig ist, kleinste Anfeindungen ernst zu nehmen und darüber zu sprechen. Ich habe auch einige Bekannte gehabt, die gesagt haben, ich wusste gar nicht, dass das noch so ein Thema ist mit den Anfeindungen - Bekannte, die halt selber nicht betroffen sind. Und ich glaube gerade deswegen ist es wichtig, darüber zu sprechen und dafür zu sorgen, das so eine bestimmte Sensibilität geschaffen wird."
Angst vor Diskriminierung durch Polizei
Straftaten mit homo- und transphobem Motiv werden häufig nicht angezeigt, so die Ansprechstelle der Polizei des Landes Rheinland-Pfalz für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente und intergeschlechtliche Menschen (AS LSBTI* ). Die Gründe hierfür seien vielschichtig. Das liege auch daran, dass diese Menschen Angst vor Diskriminierung durch die Polizei hätten.
Dunkelziffer ist enorm hoch in RLP
Diana Gläßer betreut die landesweite Ansprechstelle. Sie sagt, im vergangenen Jahr seien in Rheinland-Pfalz etwa 20 queerfeindliche Straftaten gemeldet worden. Das klinge wenig, aber man müsse bedenken, dass die Dunkelziffer riesig sei.
RLP setzt Zeichen gegen Diskriminierung Innenminister Ebling zu Gewalt gegen LGBTQ: "Wir bekämpfen das!"
In Rheinland-Pfalz weht vor den Gebäuden der Polizei die Regenbogenflagge. Zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie will das Land so ein Zeichen setzen.
20 gemeldete Fälle bedeuteten dennoch Fortschritt, so Gläßer: "Wenn wir sehen, dass wir im Jahr 2015 mit einer zählbaren queer-feindlichen Straftat angefangen haben, dann sieht man, dass das Anzeigeverhalten Richtung Null ging." Und deshalb sei die Tendenz wichtig. Deutschlandweit habe man etwa drei gezählte queer-feindliche Straftaten pro Tag.
Das Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration RLP teilte mit, im Zeitraum 2018 bis 2022 seien von insgesamt 66 Straftaten gegen queere Menschen 19 Körperverletzungen gewesen.
Ansprechstelle der Polizei in RLP kümmert sich
Nur wenn Straftaten den Behörden bekannt würden, könne auch ermittelt und den Opfern zur Gerechtigkeit verholfen werden. Die Ansprechstelle kümmere sich um die Belange dieser Menschen, so Gläßer. An die Ansprechstelle können sich auch queere Initiativen und Organisationen wenden, die sich der Aufklärung und Prävention widmen.