„Wir sind jetzt auf dem Gipfel, weiter geht das nicht mehr“ - Inflation ist so niedrig wie seit 2 Jahren nicht

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Ulrike Alex

Eine Zeitlang war die Inflation in Deutschland beängstigend hoch. Die Preise sind gestiegen, viele Menschen mussten sich stark beim Einkaufen einschränken. Nun ist die Inflationsrate so niedrig wie seit zwei Jahren nicht mehr. Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Friedrich Heinemann vom Mannheimer Institut ZEW erklärt im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderatorin Ulrike Alex, warum das an den Preissteigerungen der Vergangenheit liegt – und wieso er zumindest in einigen Bereichen mit sinkenden Preisen rechnet.

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SWR Aktuell: Woran liegt es, dass der Preisdruck momentan nicht mehr so stark ist wie in den vergangenen zwei Jahren?

Friedrich Heinemann: Was zu dieser starken Inflation geführt hat, war ja der Preisschock bei Energie und Lebensmitteln. In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die Preise nach oben geschnellt. Und was eine Inflationsmessung macht, ist ja immer die Preise von heute zu vergleichen mit denen vor einem Jahr. Die Preise steigen eben jetzt nicht noch weiter. Sie sind zwar auf dem hohen Niveau angekommen, aber im Jahresvergleich - und nur das sagt einem ja so eine Inflationszahl - sind sie jetzt nur noch moderat weitergeklettert. Man ist auf dem Inflationsgebirge jetzt auf dem Gipfel, und es geht da nicht mehr weiter. Aber man ist oben angekommen.

SWR Aktuell: Sie sagen „oben angekommen“. Heißt das, dass es auch ein bisschen nach unten gehen kann, also dass wir mit Preisrückgängen rechnen können - oder bleiben wir auf diesem hohen Niveau?

Heinemann: In Teilen des Warenkorbes, mit denen man eine Inflationsrate berechnet, ist der Rückgang schon eingetreten. Die Verbraucher merken, dass, wenn sie jetzt einen neuen Stromvertrag oder neuen Gasvertrag abschließen, schon wieder günstigere Konditionen bekommen als vor einem Jahr. In der Gesamtheit aller Preise geht es noch nicht runter, weil wir zum Beispiel bei den Dienstleistungen noch einen hohen Druck haben. Jetzt passiert ja auch Folgendes: Die Inflation der letzten beiden Jahre führt ja jetzt auch zu höheren Lohnanstiegen. Die Menschen wollen mit Recht ja ein Stück weit entschädigt werden für die höhere Inflation. Aber die höheren Löhne treiben natürlich jetzt auch wieder die Kosten der Unternehmen, gerade wenn man im Dienstleistungsbereich an Restaurants denkt - das treibt die Preise weiter. Daher ist noch keine völlige Preisstabilität wieder eingekehrt. Aber die Dynamik bei der Preissteigerung insgesamt ist doch stark gefallen - eigentlich auch stärker gefallen, als viele das gehofft hatten.

SWR Akuell: Menschen mit wenig Einkommen leiden ja besonders unter den Preissteigerungen auf dem Lebensmittelsektor. Wie sieht es da aus?

Heinemann: Ja, das ist richtig. Die Lebensmittelpreise waren heftig angestiegen. Vor einem Jahr hatten wir da Inflationsraten von zehn Prozent oder fast zweistellig. Das ist jetzt auch deutlich rückläufig. Aber natürlich haben Haushalte mit geringem Einkommen da verloren. Die Politik war nicht untätig. Das muss man gleich dazusagen: Beispielsweise wurden ja Transfers wie vor allem das Bürgergeld ganz stark und deutlich erhöht, in zwei starken Erhöhungen, sodass gerade auch arme Haushalte in Deutschland doch sehr stark vor Kaufkraftverlusten geschützt worden sind.

SWR Aktuell: Würden Sie sagen, wir sind mit einem blauen Auge davongekommen?

Heinemann: Das kann man insofern sagen, weil viele ja die Sorge hatten: Jetzt kriegen wir diesen Inflationsschub durch den Energiepreisschock, und jetzt schafft die Europäische Zentralbank den Weg nicht mehr zurück zur Preisstabilität. Und da sieht es derzeit doch wieder ein bisschen besser aus. Wir wissen nicht, ob es klappt. Viele sagen, die letzten Meter werden die schwierigsten zur Preisstabilität. Aber immerhin in den letzten Monaten ist die Inflationsrate in der Euro-Zone doch sehr, sehr kräftig gefallen, sodass manche schon spekulieren, dass wir vielleicht in gar nicht allzu weiter Ferne vielleicht eher wieder ein Problem einer sehr niedrigen Inflationsrate haben, die bei null liegt.

SWR Aktuell: Volkswirtschaftlich gesehen: Woran lag es denn in den zurückliegenden Monaten, dass andere Länder ihre Inflationsrate niedriger halten konnten als Deutschland?

Heinemann: Deutschland hatte so eine mittlere Position, das stimmt. Es gab einige Länder, die sind mit einer deutlich niedrigeren Inflation durch die Zeit gekommen. Also ein ganz starker Faktor war, wie stark das Land vor zwei Jahren von russischen Gasimporten abhängig gewesen ist. Das waren vor allen Dingen Länder wie Deutschland, Österreich und die Niederlande. Und da hat dann natürlich dieser eklatante Gaspreisanstieg die Inflation nach oben schießen lassen. Einem Land wie Frankreich, wo der Strom vor allen Dingen aus den Atomkraftwerken kommt, ist nicht viel passiert. In Spanien, wo man bei der Energieversorgung in keiner Weise oder kaum auf Russland angewiesen ist, ist auch nicht viel passiert. Es war in dem Sinne auch die Frage der Verflechtungen mit Russland im Bereich der Energie, die hier zu sehr starken Preisschüben geführt hat, in den baltischen Staaten zu einer noch viel höheren Inflation als in Deutschland. Das war sicher die Erklärung Nummer eins.

SWR Aktuell: Wir haben Krieg in der Ukraine, Krieg in Gaza und eine mit Spannung erwartete Präsidentenwahl in den USA vor uns. Hängt es auch von solchen Einflüssen ab, wie sich die Inflation im Euro-Raum künftig entwickeln wird?

Heinemann: Davon bin ich fest überzeugt, dass diese geopolitischen Entwicklungen einen Einfluss auf die Inflationsrate haben werden. Nehmen sie die drohende erneute Präsidentschaft von Donald Trump: Er steht für ein weiteres Entkoppeln der großen Wirtschaftsräume, weitere Hindernisse für internationalen Handel, Sanktionen, Lieferbeschränkungen. Und all das würde ja weiter auch die Preise ansteigen lassen. Denn ein guter Teil der Preisstabilität, die wir vor dem Krieg hatten, war ja auch der Tatsache geschuldet, dass die Globalisierung uns preiswerte Güter verschafft hat. Und Donald Trump steht sicher für seine Tendenz, die Globalisierung Stück weit auch wieder rückabzuwickeln. Und das wird preistreibend sein.

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