Nach dem geschlossenen Rücktritt: Freisbach hat gewählt - und jetzt?

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AUTOR/IN
Petra Waldvogel

Dass ein kompletter Gemeinderat inklusive Ortsbürgermeister zurücktritt, das ist ziemlich einmalig. Im Sommer ist das in der südpfälzischen Gemeinde Freisbach beim Germersheim geschehen. Grund war, dass der 1.000-Einwohner-Ort fast alle Einnahmen an Kreis und Land abgeben musste- und deswegen kaum noch seine Kita und seine Bauarbeiten behalten konnte. Nun haben die Menschen in Freisbach wieder gewählt. Der parteilose Jochen Ricklefs ist seit gestern Ortsbürgermeister von Freisbach – wie er die Probleme lösen will, hat er im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderatorin Petra Waldvogel erklärt.

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SWR Aktuell: Mit 72 Prozent der Stimmen gewählt, das ist schon ein besonderes Ergebnis. Hätten Sie damit gerechnet?

Jochen Ricklefs: Ich hatte darauf gehofft, dass ich eine breite Unterstützung kriege.  Da muss man bis zur letzten Minute warten bei der Wahl. Aber die Stimmung war gut und mein Gefühl war dann auch: Es funktioniert, ja.

SWR Aktuell: Obwohl es tatsächlich eine Mammutaufgabe ist, die Sie da auf sich nehmen wollen - und so wirklich begehrt ist der Posten ja auch nicht. Kein genehmigter Haushalt, kein Geld, wenig Aussicht auf Besserung. Wo wollen Sie da überhaupt anfangen?

Jochen Ricklefs: Wir müssen Gespräche führen mit der Kommunalaufsicht in Germersheim. Das ist unser Ansprechpartner, wenn es um unseren Haushalt geht. Der durfte nicht genehmigt werden in der Vergangenheit, da wir ein Minus produzieren hier mit unserer Gemeinde. Daran können wir aktuell nichts ändern, nicht mit der aktuellen Gesetzeslage, nicht mit den Umlagen, wie sie in der Verbandsgemeinde und im Kreis Germersheim funktionieren. Wir müssen Gespräche führen, was die uns für Möglichkeiten aufzeigen können, wie man mit der aktuellen Situation umgehen, wie wir mehr aktuell handlungsfähig werden. Ich hoffe auf Signale auf vom Land Rheinland-Pfalz, dass sich da mittelfristig etwas endet

SWR Aktuell: Gespräche mit der Kommunalaufsicht, Signale vom Land in der Hoffnung, dass dann irgendwoher das notwendige Geld kommt, um den Haushalt 23/24 noch aufzustellen?

Jochen Ricklefs: Theoretisch haben wir das Geld ja - wir müssen bloß alles abgeben. Sie müssen sich vorstellen: Wenn wir hier eine Million einnehmen in Freisbach, dann geben wir davon weit über 800- fast 900.000 weiter an Kreis und Verbandsgemeinde. Das ist prozentual festgelegt und berücksichtigt nicht, wieviel Einnahmen wir überhaupt haben, beziehungsweise wieviel Geld wir schon ausgeben müssen. Wir gönnen uns ja hier nichts. Wir zahlen eine Kindertagesstätte, die ist Pflichtaufgabe vom Land. Die setzen wir hier um, und allein damit sind wir schon im Minus.

SWR Aktuell: Aber das ist ja eine generelle Regelung. Die zu ändern oder für Sie eine Ausnahmeregelung zu finden, dürfte schwierig werden.

Jochen Ricklefs: Es muss etwas passieren. Diese Ausnahme, die muss auch gar nicht die „Lex Freisbach“, nur sein. Das Problem haben auch noch viele andere Gemeinden. Hier muss noch mal genau geschaut werden, wie die Gelder da umverteilt werden. Und zumindest unsere Pflichtausgaben müssen irgendwo ausfinanziert werden – denn es funktioniert ja so nicht. So bauen wir einfach Schulden auf. In der Vergangenheit war das egal. Das wurde dann irgendwohin gebucht auf einer Kostenstelle. Da haben sich diese Kassenkredite gestapelt, und es wurde geduldet. Jetzt sollen wir die Kassenkredite abbauen, können das aber nicht, weil wir allein strukturell schon das Problem haben, dass wir, egal, was wir machen, im Minus sind.

SWR Aktuell: Das Geld ist das eine Problem, der Gemeinderat möglicherweise das andere. Einige von denen, die im Sommer zurückgetreten sind, haben ja wieder kandidiert, sind auch gewählt worden. Aber es ist noch gar nicht sicher, ob auch wirklich alle antreten. Wie wollen Sie damit umgehen und mit dieser Unsicherheit gute Dorfpolitik machen?

Jochen Ricklefs: Ich bin im engen Kontakt mit meinen ehemaligen Ratskollegen. Ich war ja auch ein Gemeinderat, bin da mit zurückgetreten. Die Stimmung hat sich insoweit gedreht, dass auch ein Großteil von denen, auf die ich hoffentlich zählen kann, erstmals solange weitermachen, bis wir Gespräche geführt haben. Wir wissen im Moment nicht, wie es läuft, was uns die Kommunalaufsicht anbieten kann. Es soll neue Handlungsspielräume geben. Die gab es vor unserem Rücktritt nicht. Und die möchte ich jetzt ausloten und austesten- mit denen ins Gespräch gehen. Und dazu brauche ich einen Rat, der mir zur Seite steht, mit dem ich mich beraten kann.

SWR Aktuell: …und der auch hilft, Druck aufzubauen. Denn das muss man sicher. Und wenn sich im Zweifel nichts tut, drohen Sie dann damit, dass der Ort Insolvenz anmelden muss?

Jochen Ricklefs: Das funktioniert in der Form ja nicht. Im Grunde haben wir ja im Moment die Situation. Wir müssen jede Ausgabe, die der Ort im Moment macht, genehmigen lassen von der Kommunalaufsicht. Wir haben keinerlei Handlungsspielraum. Bauhof und Kindergarten laufen weiter, aber darüber hinaus ist erstmal Stillstand an allen Enden.

SWR Aktuell: Das heißt, Sie kriegen auch kein Geld?

Jochen Ricklefs: Ich weiß es noch nicht. So weit habe ich noch nicht gesprochen. Aber wenn ich eine Aufwandsentschädigung kriege, ich glaube, die kriege ich. Die kommen vom Land. Wie man damit wirtschaften kann und was wir hier machen können? Keine Ahnung!

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Petra Waldvogel