Frauen arbeiten in einer Textilfabrik. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | K M Asad)

Keine Kinderarbeit, keine Umweltsünden?

Lieferkettengesetz beschert BW-Unternehmen Mehrarbeit

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AUTOR/IN
Jochen Braitinger
Heike Scherbel
ONLINEFASSUNG
Alexander Winkler

Ab 2023 müssen deutsche Unternehmen sicherstellen, dass bei ihren Zulieferern Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Der Aufwand ist groß, der Nutzen umstritten.

In der Warenannahme im Marienhospital in Stuttgart kommen täglich Medikamente, Verbände und Geräte von unzähligen Lieferanten an. Halten diese die Menschenrechte und Umweltstandards ein? Genau das muss das Krankenhaus in Zukunft für alle Zulieferer sicherstellen.

Lieferkettengesetz: Hohe Ansprüche für Unternehmen

Denn ab 1. Januar 2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz. Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern müssen dann gewährleisten, dass Verletzungen von menschenrechts- und umweltbezogenen Pflichten entlang ihrer globalen Lieferkette verhindert werden. Dazu müssen sie auch ein Risikomanagement betreiben und Beschwerdeverfahren für Betroffene einführen. Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Ab 2024 gilt das Gesetz dann auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern.

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Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards im Fokus

Der Aufwand ist enorm. Ein Krankenhaus hat etwa 5.000 Lieferanten, weiß Jens-Patrick Schulz von Prospitalia. Der Dienstleister aus Ulm wickelt Bestellungen von Krankenhäusern ab.

"Wenn sie sich überlegen, sie würden jeden dieser Lieferanten hinreichend untersuchen, wären sie bei etwa 25 Lieferanten, die sie täglich untersuchen müssten, das wird kein Mensch schaffen - nicht in der Tiefe, wie es das Gesetz an dieser Stelle fordert."

Doch in Krankenhäusern wie dem Marienhospital in Stuttgart zählt jede Hand. Zusätzlich noch zu wissen, von wem was im Lager stammt, würde noch mehr Beschäftigte binden, die woanders viel notwendiger gebraucht werden.

Eine Liefekettensoftware bewertet Lieferanten nach deren Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards. (Foto: SWR)
Softwares zum Lieferkettenmanagement helfen bei der Überwachung von Lieferanten: Werden Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten?

Unternehmen lagern Lieferkettenmanagement aus

Dienstleister wie Prospitalia bieten Kunden deswegen inzwischen an, das Lieferkettenmanagement auszulagern und setzen dabei unter anderem auf Software aus Mannheim. Diese bewertet Lieferanten nach der Einhaltung von Menschenrechten. Die Informationen stammen zum größten Teil aus dem Internet. Zehntausende Quellen werden automatisiert eingelesen und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz aufbereitet.

"Wenn sie die Texte manuell lesen müssen, dann brauchen sie Tage dafür. Unsere Software automatisiert das und kann das in einem Bruchteil der Zeit erledigen und automatisch die relevanten Informationen filtern."

Auch der Walldorfer Softwarekonzern SAP bietet Softwarelösungen für das Lieferkettenmanagement an. Durch den Einsatz entsprechender Technologien erhofft sich auch das Stuttgarter Marienhospital, die Anforderungen des Lieferkettengesetzes erfüllen zu können.

Aktivisten kritisieren Lieferkettengesetz als nicht weitreichend genug

Dass dadurch bei Produkten und Waren aber tatsächlich Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden komplett ausgeschlossen werden können, ist unwahrscheinlich. Denn das Lieferkettengesetz gilt nur für die Geschäftsbeziehungen mit direkten Zulieferern. Bei langen Lieferketten greift es nicht - zum Beispiel in der Modeindustrie. Menschenrechtsverletzungen, die 2022 namhaften deutsche Modemarken vorgeworfen wurden, würden auch in Zukunft nicht verhindert oder bestraft werden können.

Im konkreten Fall fand eine Labor-Analyse im April 2022 bei unter anderem bei Hugo Boss Baumwolle, die eine hohe Ähnlichkeit hat zu Baumwollproben aus der Region Xinjiang haben. Auf den Baumwollfeldern in Xinjiang arbeiten viele Uiguren, die von der chinesischen Regierung in Lagern interniert werden. Und Zwangsarbeit ist eine klare Verletzung der Menschenrechte.

Hugo Boss weist die Vorwürfe von sich:

"Bisher hat Hugo Boss keine Waren mit Ursprung in der Region Xinjiang von direkten Lieferanten bezogen."

Baumwollernte in China (Symbolbild): Arbeiter in der Provinz Shangdong packen Baumwolle in Säcke.  (Foto: dpa Bildfunk, picture-alliance/ dpa | epa Wu Hong)
Baumwollernte in China (Symbolbild): In der Region Xinjiang sollen Uiguren zur Zwangsarbeit in Baumwollfeldern eingesetzt werden.

Lieferkettengesetz greift nicht bei langen Lieferketten

Weil aber eben nur diese "direkten Lieferanten" durch das Lieferkettengesetz überprüft werden müssen, kritisieren Aktivisten das Gesetz als unzureichend. So auch der Frauenrechtsverein Femnet, der sich für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen in der Bekleidungsindustrie einsetzt.

"Kritisch sehe ich, dass nicht die gesamte Lieferkette abgedeckt ist, sondern dass nur der erste, der direkte Lieferant erfasst wird."

Kritisch sei außerdem, dass es keine Haftung und keine Entschädigungen gebe. Ohne solche Konsequenzen werde wohl kaum jemand Beschwerde einlegen. Auch seien die Hürden dafür zu hoch.

"Es ist fast unmöglich, dass eine Betroffene Beschwerde einreicht, weil die ja sozusagen ihr Leben riskiert in einem Land wie China oder bei den Uiguren. Die haben keine Chance, sich überhaupt in irgendeiner Form zu äußern."

Solange Firmen nicht beweisen müssten, dass ihre Produkte frei von Kinderarbeit und Menschrechtsverletzungen sind, werden diese trotz des Lieferkettengesetzes weiter möglich sein, befürchten die Kritiker. Sie hoffen nun auf eine europäische Regelung der Lieferketten, die über das deutsche Gesetz hinaus geht.

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