Berufstätige Eltern sind auf eine verlässliche Kinderbetreuung angewiesen. Das Personal in Kitas ist bundesweit überlastet, in Baden-Württemberg fehlen entsprechende Fachkräfte und die Kitas im Land sind häufiger geschlossen als in anderen Bundesländern. Viele Familien müssen sich deshalb zusätzlich um eine Kinderbetreuung durch Freunde, Familie oder Babysitter kümmern. Vor allem die Großeltern spielen dabei eine zentrale Rolle, heißt es im aktuellen "GesellschaftsReport BW" vom Sozialministerium des Landes.
Mehr als die Hälfte der Eltern in BW haben keine familiäre Unterstützung
Laut dem Report können mehr als die Hälfte der Eltern in Baden-Württemberg allerdings nicht auf Hilfe aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis zurückgreifen. Ein Grund dafür sei die Entfernung zu den Großeltern: Viele Erwachsene mit Kindern leben demnach mehr als eine Stunde von den eigenen Eltern weg. Zum Vergleich: Vor gut zehn Jahren haben laut dem Landes-Familienreport von 2012 noch fast die Hälfte der Familien in Baden-Württemberg maximal zehn Minuten von den Großeltern entfernt gelebt.
Die Geschäftsführerin des Landesfamilienrats Baden-Württemberg, Alexandra Klein, sagt, die Mobilität in der Bevölkerung habe zugenommen. Familien lebten häufig in der Nähe der Arbeitsstelle von den Eltern. Und seien meistens auch schon vor der Familiengründung dorthin gezogen, so Klein.
Stuttgarter Familie zieht aus Hamburg zurück
So war es auch beim Stuttgarter Familienvater Tim. Seine Frau und er sind 2011 für den ersten Job nach Hamburg gezogen. Ein paar Jahre später hat das Paar zwei Kinder bekommen. Irgendwann wieder zurück nach Stuttgart zu gehen, sei schon länger ein Gedanke gewesen, sagt Tim. 2021 zog die junge Familie zurück nach Stuttgart - und damit in die Nähe beider Großelternpaare. Die Frage nach der Kinderbetreuung sei nicht der einzige Grund für den Umzug gewesen, so Tim. "Aber wir haben schon gemerkt, was für eine Herausforderung es ganz ohne familiären Support in der Nähe ist."

Großeltern als emotionale Stütze für die Kinder
Der aktuelle Gesellschaftsreport des Landes kommt zu dem Schluss, dass Kinder Fähigkeiten wie soziale Kompetenz, Stressbewältigung und Kommunikation vor allem durch stabile Beziehungen innerhalb ihrer Familie lernen und stärken können.
Außerdem seien Großeltern für Kinder oft eine emotionale Stütze in stressigen Zeiten oder bei familiären Krisen, erklärt Alexandra Klein vom Landesfamilienrat BW. Oma und Opa verbänden die Generationen, indem sie ihre Geschichten erzählen und Erfahrungen teilten, so Klein. Außerdem würden Kinder teilweise von ihren Großeltern praktische Dinge erlernen, wie Gartenarbeit oder Handwerkliches.
Meine Kinder haben jetzt eine viel engere Beziehung zu den Großeltern. Am Wochenende übernachten sie auch mal da.
Tims Kinder haben durch den häufigen Kontakt eine bessere Bindung zu ihren Großeltern aufgebaut, sagt er. "Am Wochenende übernachten die Kinder auch mal bei Oma und Opa."
Mehr Zufriedenheit bei den Eltern
Eine Sprecherin des Sozialministeriums verweist auf SWR-Anfrage zusätzlich auf eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung und des Deutschen Instituts für Wirtschaft. Dort wurde untersucht, wie sich Kinderbetreuung durch Oma und Opa auf sowohl die Enkel als auch die Eltern auswirkt. Das Ergebnis: Vor allem die Eltern sind deutlich zufriedener, wenn die Großeltern ab und zu auf die Kinder aufpassen. Und das wiederum kann sich positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirken.
Wir hatten vorher schon den Gedanken, dass unser Alltag dadurch leichter wird und das merken wir jetzt auch.
Das ist auch bei Tim und seiner Familie so: "Wir hatten vorher schon den Gedanken, dass unser Alltag dadurch leichter wird. Das merken wir jetzt auch. Die Großeltern übernehmen einmal in der Woche die Kinder nach der Schule und der Kita." Außerdem ist es eine große Erleichterung für den Familienvater, dass jetzt nicht immer er oder seine Frau zu Hause bleiben muss, wenn eins der Kinder krank ist oder nicht in die Kita oder Schule gehen kann.
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Tim kennt aber auch viele Familien, bei denen das nicht so ist. Er sagt, er könne nachvollziehen, welche große Belastung das ist. Jahrelang war es bei seiner Familie auch so: Wenn das Kind krank ist oder die Kita geschlossen bleibt, muss immer ein Elternteil einspringen. Dass es jetzt anders ist, sei ein großer Luxus.
Wenn heutzutage beide Eltern arbeiten wollen, bist du total auf eine zuverlässige Betreuung angewiesen. Sobald die Kita zu hat oder jemand krank wird, wird es eng. Deshalb sind wir sehr happy über die Großeltern in unserer Nähe.
Landesfamilienrat: Großeltern sollten fehlende Infrastruktur nicht ersetzen müssen
Alexandra Klein vom Landesfamilienrat Baden-Württemberg findet, es brauche ausreichende Kinderbetreuung, wirtschaftliche Sicherheit und gute Elternzeitmodelle. Viele Großeltern leisteten eine enorme Unterstützung - auch trotz weiter Entfernung würden sie häufig weite Wege auf sich nehmen, um in Notfällen oder Ferienzeiten ihre Enkel zu betreuen.
Oma und Opa sollten ihrer Ansicht nach aber kein Ersatz für eine fehlende Infrastruktur sein. Eltern bräuchten gute Vernetzung und gegenseitige Unterstützung, sowohl in ihrer Wohngegend als auch mit anderen Eltern.