Kunst im öffentlichen Raum, das ist ein Thema, mit dem man sich ganz furchtbar in die Nesseln setzen kann. Das erfahren die Ulmer gerade auf eine ganz besonders peinliche Weise. Denn am Eingang der Innenstadt, auf einem zentralen Platz gegenüber dem Hauptbahnhof, hat ein Denkmal vielleicht irreparablen Schaden genommen.
Das Kunstwerk ist Albert Einstein gewidmet, dem berühmtesten Sohn der Stadt. Entworfen hat es ein weiterer berühmter Künstler, der zu Ulm engen Kontakt hatte: Max Bill, Architekt und erster Rektor der Ulmer Hochschule für Gestaltung (hfg). Das Denkmal steht schon seit 40 Jahren an seinem Platz gegenüber der Stelle, an der Einsteins Geburtshaus stand. Aber jetzt ist der Platz drumherum neugestaltet worden, und - man möchte es kaum glauben - dabei ist das Kunstwerk zum Teil vergraben worden.
Das ist mehr als eine Petitesse. Das Denkmal besteht aus 24 langen Granitblöcken, die für die Stunden des Tages stehen. 12 Blöcke stehen für den Tag, 12 "liegen" für die Nacht. Zwei der untersten Blöcke sind nun fast nicht mehr zu sehen, seitdem der darum liegende Platz zugunsten der Barrierefreiheit angehoben wurde. Und damit verliert das Kunstwerk seinen Sinn. Denn auch der Ulmer Tag ist nicht nur 22 Stunden lang.
Der Vorsitzende des hfg-Stiftungsrats und frühere Baubürgermeister von Ulm Alexander Wetzig ist völlig fassungslos. So kann man mit Albert Einstein nicht umgehen, findet er, und mit Max Bill schon gar nicht. Eine Schande für die Stadt Ulm. "Dieses Kunstwerk hat einen großen Wert. Und damit muss man umgehen, und zwar mit allem Respekt. Und mit Vorsicht!" Er halte es "für eine unerträgliche Situation, was wir hier sehen. Das ist wirklich für mich eine Barbarei, eine kulturelle!"
Symbolik des Ulmer Einstein-Denkmals war bei der Einweihung bekannt
Am 4. September 1982 wurde das Kunstwerk der Öffentlichkeit übergeben, unter regem Interesse der Ulmer. Die Symbolik des Kunstwerks war bekannt - sie erschließt sich nicht auf den ersten Blick, war aber in der öffentlichen Presse ausgiebig thematisiert worden. Und dann stand es unbehelligt an seinem Platz, auch als die umliegenden Gebäude abgerissen wurden, um den neuen Sedelhöfen Platz zu machen.
Max Bill, der Perfektionist, für den gerade die Mathematik in der Kunst so wichtig war, ist 1994 gestorben. Die Granitblock-Arbeit ist Teil einer ganzen Serie, auch am Hauptbahnhof in Zürich steht eines seiner Kunstwerke, das eine ähnliche Handschrift hat. In einem Aufsatz über "Mathematik in der Kunst" hatte Max Bill geschrieben: "Ich bin der Auffassung, dass es möglich sei, eine Kunst weitgehend auf Grund einer mathematischen Denkweise zu entwickeln. (…) So kann ein Gedanke präzisiert werden, um direkt übertragen zu werden (…) mit dem Vorteil der Unveränderbarkeit des Gedankens."
Bei Max Bill musste alles millimetergenau stimmen. Erbe und damit auch Verwalter des künstlerischen Nachlasses des berühmten Architekten, der für seine Exaktheit bekannt - und vielleicht auch manchmal gefürchtet - war, ist sein Sohn Jakob Bill. Er lebt heute im schweizerischen Luzern. Wie hätte der Vater reagiert? "Er wäre fuchsteufelswild geworden!"
Der städtebauliche Gegenwert für den Kunstfrevel: Der Platz rund ums versunkene Denkmal ist barrierefrei angehoben worden. Was sagt eigentlich der aktuelle Baubürgermeister dazu? "Es ist erstmal sehr ärgerlich, dass uns dieser Fehler passiert ist. Wir haben ja in den letzten Jahren sehr intensiv in dem Umfeld gebaut." Da seien in diesem großen Umfang auch einzelne Dinge passiert, die vielleicht im Rückblick anders hätten gemacht werden können.
Die Symbolik des Denkmals sei über die Jahre in der Stadtverwaltung verloren gegangen - keiner der heute dort Beschäftigten hätte die Zahl der Granitblöcke mit den 24 Stunden des Tages in Verbindung gebracht. Deshalb sei auch dem Aufschütten des Erdreichs um die unteren Blöcke zu wenig Bedeutung beigemessen worden.
Den Platz rund ums Einstein-Denkmal tieferlegen?
Das Denkmal auszugraben und höher zu setzen sei kaum durchführbar, ohne das Kunstwerk zu beschädigen. Ein ganz anderer Ort kommt für das Denkmal auch nicht in Frage - die Inschrift auf einem der Granitblöcke verweist ja gerade auf den Standort: "Hier stand das Haus, in dem am 14. März 1879 Albert Einstein zur Welt kam."
Vielleicht gräbt die Stadt rund um das Denkmal eine Vertiefung, um es wieder freizulegen, umrandet mit Sitzgelegenheiten. So die aktuelle Überlegung. Eine Überlegung, der auch Jakob Bill, der Sohn von Max Bill und Inhaber der Urheberrechte, vielleicht etwas abgewinnen könnte. Aber: "Ich würde mir das gern anschauen mit jemandem, der zuständig ist, das wäre ja eigentlich die Bedingung gewesen, um etwas überhaupt zu machen an diesem Ort."
Damit verweist Jakob Bill darauf: Kontakt zu ihm hat die Stadt in Sachen Einstein-Denkmal bisher nicht aufgenommen, obwohl der Vorgang dort mindestens schon viele Monate durchaus bekannt ist.