Vogelknochen in einer Vitrine unter dem Mikroskop: Bei Grabungen im Hohle Fels hat man über 1.000 Vogelknochen gefunden. (Foto: SWR, Timo Staudacher)

Vogelknochen aus der Eiszeit

"Fund des Jahres" in Blaubeuren: So intelligent und anpassungsfähig waren die Neandertaler

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Hannah Schulze
Hannah Schulze (Foto: SWR)
Timo Staudacher
Timo Staudacher (Foto: SWR, SWR - Alexander Kluge)

Dass die Neandertaler nicht nur grobschlächtige Großwildjäger waren, ist mittlerweile bekannt. Nun hat das Urgeschichtliche Museum in Blaubeuren weitere Beweise vorgelegt.

Neandertaler, die vor rund 65.000 Jahren im "Hohle Fels" lebten, jagten auf der Schwäbischen Alb nicht nur Großwild, sondern auch Vögel. Das steht für das Wissenschaftlerteam der Universität Tübingen mit dem "Fund des Jahres" fest - am Dienstagvormittag wurden im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren (Alb-Donau-Kreis) kleine Vogelknochen präsentiert. Sechs der gefundenen Knochen trügen eindeutige Werkzeug- und Bissspuren des Neandertalers, hieß es dazu.

"Wir können eindeutig belegen, dass Neandertaler Vögel gejagt haben und das war vorher ungewiss. Eher fraglich. "

In der Welterbe-Höhle "Hohle Fels" bei Schelklingen im Alb-Donau-Kreis war bereits 2008 die Eiszeitkunstfigur "Venus von Hohle Fels" entdeckt worden. Bei erneuten Grabungen fand das Team um den wissenschaftlichen Direktor des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren, den Tübinger Archäologie-Professor Nicholas Conard, nun mehr als 1.000 Vogelknochen - darunter auch Knochen von Hühnern, Enten und Schwänen.

Archäologe Conard: Neandertaler konnten sich an Umgebung anpassen

Wie genau die Neandertaler die Vögel gefangen habe, werde derzeit noch erforscht. Man müsse andere Strategien und Werkzeuge entwickeln, als bei Großwild, so der Archäologe. Es verlange ein planerisches Herangehen an die Jagd, Strategie und Intelligenz.

"Ob es mit Netzen war oder mit kleinen Waffen, das haben wir noch nicht eindeutig geklärt."

Dass die Vögel auf dem Speiseplan unserer Eiszeit-Verwandten standen, verrate jedoch viel über die lang unterschätzte ökologische Anpassungsfähigkeit und die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler, so Conard. Die Erkenntnisse aus dem "Hohle Fels" bei Schelklingen fügten sich in eine Reihe archäologischer Funde der vergangenen Jahre ein, hieß es bei der Präsentation am Dienstag.

Bei Grabungen im Hohle Fels fanden WissenschaftlerInnen mehr als 1.000 Vogelknochen gefunden - einige sind als "Fund des Jahres" im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren ausgestellt.   (Foto: SWR, Timo Staudacher)
Begutachtung von aktuellen Funden aus dem Hohle Fels bei Schelklingen (Alb-Donau-Kreis): Die Direktorin des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren, Stefanie Kölbl, der Tübinger Archäologie-Professor Nicholas Conard und die Archäologin Keiko Kitagawa von der Universität Tübingen (v.r.n.l).

Museumsleiterin Kölbl: Neandertaler legten Wert auf Schmuck

Typische Schnitt- und Schabspuren andernorts legten etwa auch nahe, dass sich Neandertaler mit Vogelfedern und Krallen schmückten. Damit müsse die Annahme, dass die Neandertaler aufgrund ihrer mangelnden geistigen Fähigkeiten und ihres eingeschränkten Ernährungsplans ausgestorben seien, revidiert werden, so Stefanie Kölbl, die Direktorin des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren.

"Wir müssen uns vom verbreiteten Bild des muskelbepackten Neandertalers mit einseitiger Vorliebe für Mammutsteaks lösen."

"Neandertalern ging es nicht nur ums blanke Überleben"

Warum die Neandertaler dennoch vor 40.000 Jahren ausgestorben sind, sei unklar. Denn hochintelligente Jagdstrategien, das Bedürfnis nach Schmuck und das Bestatten von Toten - all dies weise die Neandertaler als flexible und symbolisch begabte Menschen aus, die weit mehr im Sinn gehabt hätten als das blanke Überleben.

Der "Fund des Jahres" ist im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren im Rahmen einer Sonderausstellung über Vögel bis 12. September zu sehen.

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