Kinder- und Jugendpsychiater, Professor Jörg Fegert über die Folgen für Kinder nach dem tödlichen Messerangriff in Illerkirchberg. (Foto: SWR)

Jugendpsychiater Jörg Fegert mit neuem Buch

Wie sollten wir mit traumatisierten Menschen umgehen?

Stand
INTERVIEW
Peter Köpple

Ob durch Kriege oder Missbrauch: Traumatisierte Menschen werden in Deutschland selten wirklich ernst genommen, sagt der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert im Interview.

Professor Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm hat sein neues Buch vorgestellt. Es trägt den Titel "Anerkennung psychischer Traumafolgen". Es soll aufrütteln und sensibilisieren für die Frage, wie wir mit Menschen umgehen, die traumatisiert wurden.

SWR Aktuell: War in Deutschland nie wirklich ein großer Wille da, traumatisierte Menschen ernst zu nehmen? Gerade zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg?

Prof. Jörg Fegert: Es war so, dass sich Erwachsenen-Psychiater dafür eingesetzt haben nachzuweisen, dass KZ-Betroffene vorher schon geschädigt waren, und dass deshalb durchs KZ keine Traumatisierung entstanden ist. Es ist wahnsinnig. Das hat lange gedauert, bis man überhaupt kapiert hat, dass Traumafolgen eine logische Folge sind, wenn jemand so überfordert wird in einer Situation, der man so brutal ausgesetzt ist. Und diese skeptische Begutachtung dominiert eigentlich heute immer noch das soziale Entschädigungsrecht. 

SWR Aktuell: Beim Thema "Trauma" denken viele auch an die Missbrauchsskandale in den Kirchen. Obwohl die Kirchen inzwischen Entschädigungen zahlen, die Opfer und ihr Leid anerkennen, sagen Sie, dass die Kirchen immer noch viel zu wenig tun. 

Fegert: Das hat vielleicht mehr mit der Haltung zu tun. Bis man zu Anerkennung kommt, das ist oft ein unheimlich mühsamer Weg für die Betroffenen, die dadurch fast nochmal zu einem Opfer eines Verwaltungsverfahrens werden. Viele Betroffene fühlen sich gedemütigt, wenn sie in diese Verfahren kommen. Ich denke, die Art und Weise, wie wir Betroffenen begegnen, das ist der ganz wichtige Punkt. 

SWR Aktuell: Welche Kritikpunkte haben Sie aktuell, was das Verhalten der Kirchen anbelangt? Oder hat die Anerkennung sogar funktioniert?

Fegert: Funktioniert hat es nicht. Natürlich haben die Kirchen viel gemacht, auch in der Prävention, und ich denke, das ist wichtig. Aber es wird immer noch vernebelt. Es wird getäuscht. Wenn Sie mal nach Köln schauen, was Kardinal Woelki dort veranstaltet: Das ist eigentlich Gaslighting, also die Betroffenen werden hinters Licht geführt. Ihnen wird gesagt, dass ihre Wahrnehmungen nicht stimmen. Die katholische Kirche hat allein in Köln bis 2021 knapp drei Millionen Euro für Rechtsberatung ausgegeben. Für die Entschädigung der Opfer war es deutlich weniger. Da geht es ganz stark darum: Wie können Vorwürfe abgewehrt werden? Wie verhält man sich taktisch? Das verwirrt die Betroffenen, weil sie den Eindruck haben, dass nicht stimmt, was sie sagen. Für die Betroffenen in der Kirche ist die Kirche der Räuber, der sie überfallen hat. Deshalb ringt die Kirche manchmal einfach um ihre Position, weil sie bei den Schwachen sein will, aber sie muss hier als Täter-Organisation Verantwortung übernehmen. 

Ein Buch vor einer Bücherwand. Professor Jörg Fegert hat sich für sein Buch "Anerkennung psychischer Traumafolgen" von der St. Michaelsfigur im Ulmer Münster inspirieren lassen.  (Foto: SWR)
Professor Jörg Fegert hat sich für sein Buch "Anerkennung psychischer Traumafolgen" von der St. Michaelsfigur im Ulmer Münster inspirieren lassen.

SWR Aktuell: Jetzt gerade kommen viele Menschen mit einem psychischen Trauma zu uns aus einem Kriegsgebiet, aus der Ukraine. Wie sollte man mit diesen Menschen am besten umgehen? 

Fegert: Bei Akut-Trauma ist es ganz wichtig, wieder einen Alltag zu schaffen. Da ist es wichtig, dass die Kinder wieder durchschlafen können, dass sie in den Unterricht können, dass eine Stabilität da ist. Wir sehen, dass im Vergleich zu den Syrien-Flüchtlingen allein die Tatsache, dass die meisten ukrainischen Kinder mit ihrer Mutter hier sind, schon unglaublich viele Belastungen abpuffert. Wir können in den ersten Wochen gar nicht sagen, ob sie stark traumatisiert sind. Sie haben Schlimmstes erlebt, ja. Sie machen sich Sorgen um den Vater, der im Krieg ist. Das sind viele Belastungen. Das müssen wir aufmerksam beobachten. Aber das Wichtigste ist, wieder die Teilhabe am Alltag. Viele Betroffene, das gilt für alle, ziehen sich zurück. Und dieser Rückzug, diese Angst vor Alltagssituationen, schafft dann neue Probleme.