Schüler einer siebenten Klasse melden sich während des Deutschunterrichts in einem Gymnasium.

Gemeinderat gibt Grünes Licht

Evangelisches Gymnasium für Reutlingen

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Sarah Beschorner
Sarah Beschorner

Der Reutlinger Gemeinderat hat sich für den Bau eines privaten Gymnasiums ausgesprochen. Die Evangelische Schulstiftung wäre bereit, es zu bauen. Der Stadt selbst fehlt das Geld.

Die Stadt Reutlingen braucht mehr Schulen. Fünf Gymnasien gibt es, für ein sechstes ist kein Geld im Haushalt. Darum hat sich der Gemeinderat am Donnerstagabend mit 26 zu 11 Stimmen für ein privates Gymnasium ausgesprochen, das die Evangelische Schulstiftung bauen will. Es soll Platz für rund 670 Schüler bieten, dreizügig werden und eine Ganztagsschule sein. Der maximal zu zahlende Beitrag pro Monat liegt für die Eltern bei 105 Euro, kann gehaltsabhängig aber auch weit darunter liegen. Für Geschwisterkinder zahlen die Eltern weniger.

Bis die Entscheidung fiel, dauerte es knapp drei Stunden, hitzige Debatten blieben allerdings aus. In seiner Eröffnungsrede erinnerte Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) nochmals an die bislang geführten emotionalen Diskussionen. Auch er selbst habe hin und wieder vielleicht überreagiert. Während die Parteien ihre Standpunkte erläuterten, gab es zwischendurch leisen Applaus, mal ein Nicken, mal ein Kopfschütteln oder leises Geflüster aus dem Publikum. Dort saß auch die Schulleiterin des Isolde-Kurz-Gymnasiums (IKG), Gabriele Häfele. Sie fühlte sich in der Debatte außen vor gelassen:

"Wir wurden von Anfang an in den Prozess nicht als echte Mitberatende einbezogen. Viele Informationen haben wir fast nur durch Zufall mitbekommen."

Der Erste Bürgermeister, Robert Hahn, bestreitet das. Die Anliegen der Gymnasien kenne er. Es gehe darum, den gymnasialen Raumbedarf zu decken. Es wäre die wirtschaftlichste Lösung: Der Träger könnte nämlich Bau- und Finanzierungskosten übernehmen. Der Evangelische Kirchenbezirk, der bereits einige Bildungseinrichtungen in Reutlingen unter seiner Trägerschaft hat, ist nach eigenen Angaben für diese Lösung offen.

Kritik an Privatschule wegen "Elitebildung"

Die städtischen Gymnasien kritisieren die Entscheidung für ein evangelisches Gymnasium. Sie befürchten, dass sich eine Eliteschule bildet, die Kinder aus bildungsnahen Familien anzieht. Dadurch wären an den städtischen Gymnasien die Klassen von den Schülern in Bezug auf Herkunft und sozialen Hintergrund nicht mehr genügend durchmischt.

Zudem haben sich Kritiker in einer Onlinepetition gegen die Pläne im Rathaus gewandt. Die Stadt könne ihre Pflichtaufgaben als Schulträger der öffentlichen Schulen nicht mehr in vollem Umfang erfüllen.

Evangelisches Gymnasium in Reutlingen keine Konkurrenz

Ein evangelisches Ganztagsgymnasium stehe nicht in Konkurrenz zur bestehenden Schullandschaft, teilte die evangelische Kirche dem SWR mit. Es erweitere vielmehr das gymnasiale Portfolio und sei offen für alle Schülerinnen und Schüler. Ursula Kannenberg  die pädagogische Geschäftsführerin der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche betont, dass es gerade für die Evangelische Landeskirche wichtig sei, niemand aufgrund seiner Herkunft auszuschließen. Schon jetzt werde finanziell nicht so gut gestellten Familien an allen Schulen und Internaten über Stipendien und Sozialfonds der Schulbesuch ermöglicht.

"Bisher hat noch kein Kind aus finanziellen Gründen unsere Schule nicht besuchen können."

Die Evangelische Schulstiftung habe, nachdem die Stadt Reutlingen angefragt hatte, mögliche Standorte bereits sondiert. Die Kostenberechnungen wurden in den Schulentwicklungsplänen festgehalten. Das Regierungspräsidium Tübingen wird die Zahlen der Stadt Reutlingen noch überprüfen.

Jährlich eine Million Euro an Evangelisches Gymnasium

Die Stadt verpflichtet sich für 60 Jahre jeweils eine Million Euro an das Evangelische Gymnasium zu zahlen. Eine langfristige Investition, die auf den Prognosen der Stadt beruht. Die hat nämlich ausgerechnet, dass die Schülerzahlen in Zukunft ansteigen werden. Die Schulleiterin des IKG findet die Schulentwicklungszahlen zu langfristig angelegt. Sie befürchtet auf lange Sicht eine Wettbewerbsverzerrung, wenn eine Schule deutlich mehr finanzielle Mittel erhalte, als andere. Sie habe sich gewünscht, dass die anderen Gymnasien auf ihre Kapazität hin überprüft worden wären. Am IKG sei beispielsweise noch Platz für einen fünften Zug gewesen.

SPD: Erweiterung und Neubau nötig

Silke Bayer von der SPD-Fraktion im Reutlinger Gemeinderat betonte gegenüber dem SWR, dass wegen einer "Überlast" sowohl die Erweiterung von drei Gymnasien als auch ein Neubau eines weiteren Gymnasiums notwendig seien. Ihre Fraktion sei darüber hinaus der Meinung, dass auch zwischen den staatlichen Schulen ein Wettbewerb bestehe, welcher bestimmte Schülerinnen und Schüler benachteilige.

In Reutlingen sind wegen der laut SPD "desaströsen" Haushaltslage 17 bereits geplante Schulbauprojekte zurückgestellt. Das Isolde-Kurz-Gymnasium zum Beispiel wartet auf eine Mensa. In Betzingen sind Container für den Unterricht aufgestellt.

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