Im Freiburger Theater hat die Joseph-Wirth-Stiftung zusammen mit der West-Ost-Gesellschaft Südbaden in einem historischen Schauspiel an den vor 100 Jahren geschlossenen Vertrag von Rapallo erinnert. In dem Abkommen verzichteten die international isolierten Kriegsverlierer und einstigen Kriegsgegner Deutschland und Russland gegenseitig auf Reparations- und Entschädigungszahlungen. Stattdessen setzten sie auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und diplomatische Beziehungen. Diesen ersten deutsch-russischen Vertrag nach dem ersten Weltkrieg hatte der aus Freiburg stammende Reichskanzler Joseph Wirth mit dem russischen Außenminister Georgij Tschitscherin am 16. April 1922 ausgehandelt.
Katholischer Arbeitersohn trifft sozialistischen Adligen
Das Stück zeigt das Zusammentreffen zweier grundverschiedener Männer im italienischen Rapallo: Auf der einen Seite Joseph Wirth, Sohn eines Buchdruckers beim Herder-Verlag in Freiburg, katholisch, Mitglied der Zentrumspartei, und auf der anderen Seite der überzeugte Bolschewik Georgij Tschitscherin, der einem alten russischen Adelsgeschlecht entstammt, gebildet ist und sich auch in deutscher Literatur und Musik gut auskennt. Die beiden ungleichen Politiker verhandeln dennoch auf Augenhöhe. Sie verstehen sich gut und schmieden - vier Jahre nach Ende des ersten Weltkriegs - die Vision einer gleichberechtigten Partnerschaft. Wirth war davon überzeugt, dass der wirkliche Frieden nur auf dem Weg der Verständigung und der wirtschaftlichen Vernunft erzielt werden könne.
Anhand historischer Quellen hat der Freiburger Journalist Heinz Siebold einen Dialog verfasst, wie er hätte geführt werden können. Diese Fiktion bringen die Schauspieler Peter Haug-Lamersdorf und Burkhard Wein authentisch auf die Bühne.
Rapallo-Vertrag sehr umstritten
Der Vertrag von Rapallo wühlte damals die internationale Politik auf. Aber auch innenpolitisch gab es große Proteste. Eine Zusammenarbeit mit Kommunisten war für viele ein Verrat. Außenminister Walter Rathenau, der den Vertrag auf Drängen von Reichskanzler Joseph Wirth ebenfalls unterschrieb, wurde wenige Wochen später von rechtsradikalen Terroristen der Organisation Consul ermordet.
Vertrag von Rapallo wieder aktuell
Die Vorsitzende der Joseph-Wirth-Stiftung, Ulrike Hörster Philipps, ist überzeugt, dass der Vertrag von Rapallo gerade heute, angesichts des Ukraine-Kriegs, wieder hochaktuell ist. Er würde aufzeigen, wie wichtig Verhandlungen auch in völlig verfahrenen Situationen seien. Gerade dann brauche es Visionen, so die Historikerin.
Über den Vertrag von Rapallo gibt es in Freiburg weitere Informations- und Diskussionsveranstaltungen.