Bei einem Messerangriff im bayerischen Aschaffenburg sind am Mittwoch ein zweijähriges Kind und ein Mann getötet worden. Drei weitere Menschen wurden verletzt. Der Tatverdächtige, ein 28-jähriger Afghane, war in psychiatrischer Behandlung. Die politische Debatte über den Umgang mit psychisch kranken Straftätern ist in vollem Gange. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Baden-Württemberg (GdP), Thomas Mohr, sieht dringenden Handlungsbedarf, allerdings warnt er auch vor Stigmatisierung.
GdP BW: Register für psychisch kranke Täter könnte stigmatisieren
Mohr sagte, die Idee eines Registers für psychisch erkrankte Straftäter sei hochsensibel und kompliziert. Natürlich sei es es wichtig, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, aber ein solches Register könne Menschen mit psychischen Erkrankungen auch stigmatisieren. Viele seien keine Gefahr für die Allgemeinheit.
Ein Register für psychisch erkrankte Straftäter birgt die Gefahr, Menschen mit psychischen Erkrankungen pauschal zu stigmatisieren.
Entscheidend sei jetzt, die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Gesundheitsbehörden und psychiatrischen Einrichtungen zu stärken, so Mohr weiter. Es brauche mehr Investitionen in Prävention und eine bessere Ausstattung des gesamten Versorgungssystems.
Deutsche Polizeigewerkschaft: Mehr schuldunfähige Täter
Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, schätzt, dass die Zahl schuld- und deliktunfähiger Täter durch zum Beispiel psychische Erkrankungen steige. Interne Zahlen belegten, dass es immer mehr Fälle gebe, in denen die Gewerkschaft ihren Mitgliedern Rechtschutz bieten müsse, beispielweise bei Schadenersatzforderungen gegenüber psychisch kranken Tätern.
Helfer bei Messerattacke in Wangen im Allgäu: "Ich hatte viel mehr Glück"
Nach der Messerattacke auf ein Kind in einem Supermarkt in Wangen im Allgäu (Kreis Ravensburg) im April war am Montag einer der Helfer mit der Rettungsmedaille des Landes ausgezeichnet worden. Auch dieser Täter war psychisch krank. Mit Blick auf den Messerangriff am Mittwoch in Aschaffenburg sagte Helfer Tobias Scheller: "Da war ja ein Mann, der geholfen hat. Leider ging das für ihn anders aus als für mich. Da hatte ich viel mehr Glück." Eins der beiden Todesopfer in Aschaffenburg ist ein 41-jähriger Passant, der vermutlich die anderen Kinder schützen wollte.
Prozess am Landgericht Ravensburg Messerangriff auf Kind in Wangen: Beschuldigter bleibt in Psychiatrie
In einem Supermarkt in Wangen im Allgäu hat im April ein Mann mit einem Messer auf eine Vierjährige eingestochen. Das Gericht ordnete nun an: Der Angreifer muss dauerhaft in eine Psychiatrie.
Psychologin: Gewaltbereit durch schweres Trauma
Katalin Dohrmann ist Psychologin an der Universität Konstanz und betreut im Projekt "Furchtlos" gewaltbereite Geflüchtete therapeutisch. Sie sagt: Gewaltbereitschaft entwickelt sich bei Geflüchteten auf zwei Arten. Einmal als Gegenwehr auf Gefahr. Und einmal als Erfahrung von Anerkennung durch Gewalt. Sie kenne die Details zum Tatverdächtigen in Aschaffenburg nicht, sagt Dohrmann, aber "niemand übt Gewalt aus, der nicht selbst Gewalt erlebt hat". Dass die Aggression eines Menschen so eskaliere wie in Aschaffenburg, hänge mit schweren Traumatisierungen zusammen. Das könne die Tat niemals entschuldigen. Aber ein Stück weit einordnen.
BW-Innenminister Strobl (CDU): Bundesregierung muss für Sicherheit sorgen
"Mannheim, Solingen, Magdeburg und jetzt Aschaffenburg - und immer noch haben nicht alle den Schuss gehört. Der Rechtsstaat muss handeln - es ist fünf nach zwölf", fordert Thomas Strobl (CDU), der Innenminister von Baden-Württemberg. Er gedenkt der Opfer und Verletzten und kritisiert gleichzeitig die Ampel-Regierung scharf: "Die Ampel-Regierung war schon viel zu lange Teil des Problems anstatt der Lösung. Wir brauchen endlich eine Bundesregierung, die unseren Sicherheitsbehörden tatsächlich den Rücken stärkt und ihnen alles gibt, was sie zur Herstellung von Frieden und Sicherheit in unserem Land brauchen."
Sonderkonferenz der Innenminister geplant
Nach der Messerattacke in Aschaffenburg soll es kommenden Montag eine Sonder-Innenministerkonferenz geben. Ein Sprecher der Bremer Innenbehörde, die derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz hat, bestätigte einen entsprechenden Bericht des "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Zu dem Treffen sollen die Chefinnen und Chefs der Länder voraussichtlich mittags per Videoschalte zusammenkommen.
SPD: Tatverdächtiger hätte nicht mehr in Deutschland sein dürfen
Der innenpolitische Sprecher der SPD in Baden-Württemberg, Sascha Binder, sagte dem SWR, die Tat in Aschaffenburg sei abscheulich und mache ihn wütend und traurig. Nach bestehendem Recht hätte der Tatverdächtige nicht mehr in Deutschland sein dürfen. "Wie beim Täter in Solingen wurde die Rücküberstellung einfach verschlafen", so Binder.
Grüne wollen mögliche Versäumnisse prüfen
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagte, eine sorgfältige Aufarbeitung der Umstände sei wichtig, um den Opfern gerecht zu werden und sicherzustellen, dass solche Taten in Zukunft nicht mehr passierten. Zum Hintergrund psychischer Auffälligkeiten des Tatverdächtigen betonte Schwarz: "Daher sollten wir genau prüfen, welche möglichen Versäumnisse es im individuellen Fall gab."
FDP möchte illegal Einreisende bereits an der Grenze zurückweisen können
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke forderte die Möglichkeit, illegal Einreisende schon an der Grenze zurückweisen zu können. Ein Register für psychisch kranke Gewalttäter könnte Sinn ergeben, so Rülke. Aber nur, wenn daraus auch Konsequenzen gezogen würden.
AfD lehnt Register für psychisch kranke Gewalttäter ab
AfD-Fraktionschef Anton Baron erklärte, seine Partei fordere die Durchsetzung des geltenden Rechts: Illegale Migrantinnen und Migranten müssten abgeschoben werden. Das würde sich auch auf die Sicherheitslage im Land auswirken. Ein Register für psychisch kranke Gewalttäter lehnt Baron ab.
Der Tatverdächtige der Messerattacke in Aschaffenburg war nach Behördenangaben Mitte November 2022 illegal nach Deutschland eingereist und hatte vor rund anderthalb Monaten seine freiwillige Ausreise schriftlich angekündigt. Sein Asylverfahren wurde daraufhin abgeschlossen. Er hätte also nicht abgeschoben werden sollen, war aber ausreisepflichtig.