Erzieherinnen und Erzieher beteiligen sich während der Kundgebung der Gewerkschaft Verdi im Tarifstreit der kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste mit dem Schwenken ihrer Streikwesten. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Roland Weihrauch)

Keine neuen Warnstreiks

Einigung im Tarifstreit: Erzieherinnen in Kitas und Beschäftigte im Sozialwesen bekommen mehr Geld

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Eltern können aufatmen: Im Tarifstreit des Sozialwesens haben sich die Tarifparteien überraschend geeinigt, Kita-Schließungen sind vom Tisch. Erzieherinnen wünschen sich noch mehr Anerkennung.

Gerade für die Eltern in Baden-Württemberg wurden die Streiks an Kitas in den vergangenen Wochen zur Belastungsprobe. Doch nun die erlösende Nachricht: Die rund 330.000 kommunalen Kita-Erzieherinnen und Erzieher sowie Beschäftigte in anderen sozialen Berufen in Deutschland erhalten deutlich mehr Geld. Darauf haben sich die Tarifparteien geeinigt. Die Gewerkschaft ver.di und der Beamtenbund und Tarifunion (dbb) verständigten sich mit den kommunalen Arbeitgebern auf zusätzliche Entlastungstage und monatliche Zulagen für die Beschäftigten. Das teilten die Tarifpartner nach rund zwölfstündigen Beratungen am späten Mittwochabend in Berlin mit.

Zwei weitere freie Tage und 130 Euro mehr Gehalt für Erzieherinnen

Demnach erhalten die Beschäftigten zunächst pro Jahr pauschal zwei zusätzliche freie Tage sowie die Option, Teile ihres Gehalts in maximal zwei weitere Entlastungstage umzuwandeln. Neben den zusätzlichen freien Tagen bekommen Erzieherinnen und Erzieher im kommunalen öffentlichen Dienst zum 1. Juli monatlich 130 Euro mehr. Für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gibt es ab Juli 180 Euro zusätzlich.

In Zukunft steigen Gehälter schneller

Darüber hinaus sieht die Vereinbarung vor, dass die Berufserfahrung im Sozial- und Erziehungsdienst künftig genauso honoriert werden soll wie bei den übrigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die Zeit, die die Beschäftigten in einer Gehaltsstufe bleiben, bevor sie in die nächste aufsteigen, soll zum 1. Oktober 2024 an die allgemeinen Stufen im öffentlichen Dienst angepasst werden. Damit steigen die Gehälter künftig schneller als bisher.

Weitere Warnstreiks abgewendet

Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2026. Mit dem Durchbruch, der zunächst als unwahrscheinlich galt, sind weitere Warnstreiks im kommunalen öffentlichen Sozial-und Erziehungsdienst vorerst abgewendet.

ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross sprach mit Blick auf das Verhandlungsergebnis von "ordentlichen Schritten", kündigte aber schon an, dass der 2009 begonnene Weg der Aufwertung damit noch nicht zu Ende sei. Das nun erzielte Ergebnis sei nur wegen der Streiks in den vergangenen Wochen möglich gewesen.

"Wir mussten in dieser Runde wirklich jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen hart erkämpfen. Gut, dass wir in Baden-Württemberg so stark und nachdrücklich gestreikt haben."

Zufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich auch der dbb-Verhandlungsführer, Andreas Hemsing. Nach dem Abschluss der Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) sagte er:

"Mit diesem Abschluss haben wir das Berufsfeld aufgewertet, das werden die Kolleginnen und Kollegen direkt im Geldbeutel spüren."

Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht man im Tarifabschluss zwar einen "wichtigen Schritt auch gegen den Fachkräftemangel". Jedoch bleibe das Tarifergebnis hinter den Anforderungen der Praxis und den Forderungen der Gewerkschaft zurück, so GEW-Landesvorsitzende Monika Stein. Es sei nun an den Verantwortlichen in Land und Kommunen sowie den freien Trägern der Kitas, den Beruf des Erziehers und der Erzieherin attraktiver zu machen. Allein in Baden-Württemberg werden in den nächsten Jahren 40.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen, so Stein.

"Der Fachkräftemangel lässt sich nicht wegsparen."

Erzieherin aus BW: Gesellschaftliche Anerkennung fehlt

Und was sagen Erzieherinnen und Erzieher aus Baden-Württemberg zur erzielten Einigung? Mehr Geld und mehr freie Tage stoßen auf Zustimmung, allerdings sprechen manche gegenüber dem SWR von "einem Tropfen auf den heißen Stein" und sehen beim Lohn noch "viel Raum für Verbesserungen".

Antje Schwarz ist Erzieherin in Heidelberg. Auch sie schätzt die finanzielle Aufwertung ihres Berufs, aber:

"Nach wie vor fehlt - wie in allen sozialen Berufen - die gesellschaftliche Anerkennung für die Wertigkeit des Berufs."

Gerade wenn man sich den Lohnzettel in anderen Berufen anschaue, in denen die Beschäftigten so viel Verantwortung tragen, findet Schwarz ihr Gehalt trotz der geplanten Erhöhung vergleichsweise gering.

Streiks hatten Druck auf Verhandlungsführer erhöht

In den vergangenen Wochen hatten Tausende Beschäftigte von Kitas und Sozialeinrichtungen in ganz Deutschland, vor allem aber auch in Baden-Württemberg, immer wieder gestreikt. Gerade die Eltern stellte das teilweise vor große Herausforderungen, da manche Kitas wegen der Streiks komplett geschlossen blieben. Zudem wurde damit der Druck auf die Verhandlungsführer erhöht - und nun letztlich eine Tarifeinigung erzielt.

BW-Kultusministerium erfreut über Einigung

Die Einigung der Tarifparteien hat auch für Reaktionen in der Landespolitik von Baden-Württemberg gesorgt. Das Kultusministerium zeigte sich erfreut über die Übereinkunft der verhandelnden Parteien. "Ich freue mich sehr, dass sich die Tarifpartner bei den Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst geeinigt haben", so ein Sprecher des Kultusministeriums auf Anfrage des SWR. Um den Fachkräftebedarf im Sozial- und Erziehungsdienst zu decken, müsse man "an einem Strang ziehen", so das Ministerium.

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SWR