Zwischen Hoffnung, Stolz und Skepsis

Assad-Umsturz in Syrien: Wie erleben Geflüchtete aus Mannheim und Heidelberg die Situation?

Stand

Von Autor/in Giuseppa Maria Spatola

Noch sind die Eindrücke nach dem Sturz des Assad-Regimes frisch. Wie geht es ehemaligen Geflüchteten in Mannheim, Heidelberg und Rastatt aktuell?

So unterschiedlich ihre einzelnen Lebensgeschichten sind, so groß sind bei Fadi Houbaila, Nour Al Ghazal und Khaled Tahan die Schnittmengen. Alle drei hatten einen Punkt erreicht, an dem es für sie in Syrien nicht mehr weiterging. Alle drei haben die Strapazen der Flucht aus dem eigenen Land auf sich genommen, um ihren Frieden in Deutschland zu finden. Und: Alle drei haben jahrelang an sich gearbeitet, um das zu schaffen. Fadi, Nour und Khaled haben sich mittlerweile alle ein eigenes Leben in Baden-Württemberg aufgebaut.  

Erste Reaktionen auf Machtwechsel: Positiv  

Als der Umsturz der Assad-Regierung bekannt wurde, war auch die erste Reaktion der drei Syrer ähnlich: Freude. Freude, wie sie auch auf den Straßen in ganz Deutschland zu sehen war.

Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir ein neues Baby bekommen haben: Das neue Syrien.

Wie erging es Khaled vor dem Krieg? 

Einer der drei ist Khaled. Er lebt in Mannheim. In seinem Leben vor dem Krieg in Syrien hatte Khaled Englisch studiert und den Pflichtdienst beim syrischen Militär absolviert. Mittlerweile ist er 41 Jahre alt. Vor seiner Flucht war er unzufrieden. Soziale Ungerechtigkeit und Vetternwirtschaft: Immer wieder nahm er an Demonstrationen teil. Sein ständiger Begleiter: Die Angst, wieder ins Militär eingezogen zu werden. Als Khaled es nicht mehr aushielt, flüchtete er gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester und seiner Nichte nach Deutschland. Das war im September 2015.  

Heimatgefühl für Khaled in Mannheim 

"Halal"-Hinweise an Fensterscheiben von Restaurants, Frauen mit Kopftuch und auch der Shisha-Geruch auf den Straßen. Das waren die ersten Eindrücke für ihn, zusammen mit seiner Schwester. Sie hätten ihm ein vertrautes Gefühl gegeben. Für den Muslim war klar: Er möchte hierbleiben, sich integrieren.  
Über eine Facebookgruppe gelangte er zu seiner ersten Tätigkeit als Bahnhofshelfer. Unterstützte mit seinem Englisch Ankommende. Deutsch brachte er sich, bis er einen entsprechenden Kurs besuchen konnte, mit Hilfe einer Studentin und einer Sprach-App selbst bei. Er machte den Führerschein und arbeitete eine Zeit lang als Paketzusteller. Damit ließ sich der Familiennachzug finanzieren. Mittlerweile sind sie zu fünft in Mannheim. Seit März 2020 arbeitet er als Lokführer.

Mannheim

Nach Sturz des Assad-Regimes Syrer feiern am Mannheimer Marktplatz

Mehr als 800 Syrerinnen und Syrer haben am Mannheimer Marktplatz den Sturz des Assad-Regimes gefeiert. Sie sangen, schwenkten syrische Fahnen und sprachen von "Befreiung".

Khaled schöpft Hoffnung für seine syrischen Mitmenschen 

Das Interesse an der syrischen Berichterstattung hatte Khaled in Deutschland zwischenzeitlich verloren, besonders, weil er den Glauben an die Politik verloren hatte. Kontakt zu Bekannten und Freunden vor Ort habe er aber weiter gehalten. Mit dem Sturz des Assad-Regimes sei die Hoffnung zurückgekehrt:

Meine Hoffnung ist, dass die Leute keine Angst mehr haben. Die Hoffnung wächst jeden Tag. Was wir bis jetzt gesehen haben, ist vielversprechend.

Auch für Nour eine gute Nachricht 

Obwohl Nour Al Ghazal bewusst Nachrichten aus Syrien meidet, hat auch sie den Sturz des Assad-Regimes positiv wahrgenommen: „Um fünf Uhr morgens habe ich gehört, dass mein Vater mit meinen Geschwistern zusammensitzt. Ich habe weitergeschlafen. Am nächsten Morgen wusste ich dann Bescheid“, lächelt sie, „Assad ist weg.“ 

Nour lebt seit 2015 in Deutschland. Heute in Rastatt (Landkreis Rastatt). Auch sie kommt aus Damaskus, ist die Älteste von fünf Geschwistern. Nachdem drei ihrer Geschwister einen Bombenangriff auf ihre nahegelegene Grundschule knapp überlebt hatten, traf es auch sie. Nour kam gerade aus der Universität, in der sie ein Informatik-Studium begonnen hatte, als eine weitere Bombe fiel. Der Familie war schnell klar: Sie müssen aus Syrien raus.  

Studium in Mannheim

Für die Flucht nach Deutschland hatte sich die Familie aufgeteilt. Das Risiko zu scheitern war zu groß. Gemeinsam mit ihrem Vater und einer Schwester machte sich Nour auf dem Weg nach Deutschland, wo sie nur zehn Tage später in Passau ankamen. Sie lernte deutsch, zog von Ludwigsburg nach Mannheim und absolvierte hier bis Ende 2020 ein duales Wirtschaftsinformatik-Studium. Schritt für Schritt sei der Rest der Familie von Syrien nach Deutschland nachgekommen, bis alle im Jahr 2019 wieder vereint waren. Mittlerweile lebt die Muslima in Rastatt, arbeitet als IT-Beraterin und ist verheiratet.  

Syrien hatte sie lange mit einem schlechten Gefühl verbunden. „Wenn man sagt, du bist ein Syrer, dann war das wie eine Beleidigung.“ Mit dem Machtwechsel habe sich das für Nour allerdings verändert:

Auf einmal bist du stolz, ein Syrer zu sein.

Vom syrischen Militär nach Heidelberg

Fadi Houbaila war fünf Jahre beim syrischen Militär, war Fahrer. Heute lebt er in Heidelberg. Zwei Jahre Pflichtdienst hatte er erfüllt, musste aber aufgrund der politischen Gegebenheiten vor Ort länger bleiben. Eine große psychische Belastung, sagt er. Jemanden zu erschießen, kam für ihn nie in Frage. Zwischenzeitlich musste er sogar für ein paar Tage ins Gefängnis, nachdem er sich auf der Straße über das Militär geäußert hatte und verraten wurde. Er wusste, dass er entweder beim Militär sterben würde oder von dort weggehen musste. Trotz des guten Zuspruchs seitens seiner Eltern fasste er einen Entschluss, um im Juni 2016 nach Deutschland zu seinem Bruder zu fliehen – und ließ Eltern und Schwester zurück.  

Sturz des Regimes löst gemischte Gefühle aus

Nach der anfänglichen Erleichterung und Euphorie für die Mitmenschen vor Ort machen sich bei Fadi Houbaila hingegen eher gemischte Gefühle breit. Für den 35-Jährigen ist die Lage in Syrien unklar, sowohl politisch als auch wirtschaftlich sei nichts stabil.

Das ist die einzige und letzte Möglichkeit, dass es jetzt eine Demokratie in Syrien gibt. Aber: Abwarten. Man weiß nicht, was passiert.

Für ihn haben sich die Mühen gelohnt, denn mittlerweile arbeitet der syrische Christ in seiner jetzigen Heimat Heidelberg in einer Medienagentur als Kameramann und Ausbilder. In Deutschland fühle er sich sehr wohl, doch um seine Eltern, mit denen er regelmäßigen Kontakt hat, mache er sich viele Gedanken. Er würde sie gerne sehen, doch so einfach ginge das nicht, weder in Deutschland noch in Syrien. Die syrische Nachrichtenlage verfolgt Fadi seit jeher. Er war auch derjenige, der seine Eltern in Syrien über Assads Machtverlust informiert hatte.

Syrien-Rückkehr? Geteilte Meinungen 

Nach Syrien zurückzukehren ist für Fadi keine Option: „Wenn, dann höchstens zu Besuch, aber nicht für immer.“ Dafür habe er sich zu gut in Deutschland eingefunden. Khaled sieht das ähnlich. Er würde zurückgehen, um sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen. Bleiben würde er aber hier.

Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass ich eine Heimat habe.

Nour hingegen schiebt den Gedanken von einer Rückkehr nach Syrien nicht vollends von sich: „Sag niemals nie.“ Sie könnte es sich vorstellen, allerdings nur gemeinsam mit ihrer Familie. So freudig sich die Reaktionen auf den Machtwechsel in Syrien am Anfang zunächst zeigten, so schwanken sie jetzt zumindest bei Khaled, Nour und Fadi - zwischen Hoffnung, Stolz und Skepsis.  

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Patrick Figaj
SWR Journalist Patrick Figaj

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