Die Sprüche des Bundestrainers Sepp Herberger (1950-1964) sind legendär. „Elf Freunde sollt ihr sein. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Der Ball ist rund.“ Auch seine Regieanweisung: „Schorsch, Du weischd Bescheid. Giesemann als Mittelläufer. Willy, du hast einen Gegenspieler, der einen Druck mitbringt und jede Situation auszunutzen versteht.“  (Foto: DFB-Stiftung Sepp Herberger)

Neues Buch über Mannheimer Trainer-Legende

Herberger-Nachlass veröffentlicht: Von großen Momenten und Banalitäten

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Sepp Herberger gilt als einer der wichtigsten Bundestrainer aller Zeiten. Professor Hiram Kümper von der Uni Mannheim hat Herbergers Nachlass gesichtet - und jetzt veröffentlicht.

SWR Aktuell: Wie umfangreich ist denn Herbergers Schriftstücke-Nachlass - über welche Papier- und Notizzettel-Mengen reden wir hier?

Hiram Kümper: Über riesige Mengen. Man gewinnt den Eindruck, als hätte er über sein ganzes Leben nichts weggeschmissen. Man kann es gar nicht ganz genau beziffern. Beziffern kann man aber, was er hinterlassen hat und was dann zum ersten Mal an der Deutschen Sporthochschule in Köln gesichtet worden ist. Es waren 361 Leitzordner. Da reden wir über rund 8.000 oder vielleicht sogar deutlich über 10.000 Blatt Papier.

Wie haben Sie all diese Schriftstücke ausgewertet?

Kümper: Wir hatten ein großes Kriterium. Für den ersten Band der Nachlass-Ausgabe, dem später weitere folgen sollen, wollen wir Herberger nur über sich selbst sprechen hören. Und durch die Vorsortierung des Nachlasses ging das einigermaßen – wir mussten uns aber immer noch durch Tausende Blätter durchwühlen.

Warum haben Sie diese Aufgabe übernommen?  Welchen Bezug haben Sie zu Herberger?

Kümper: Als Historiker kann ich sagen: Eigentlich bin ich froh, dass ich von Anfang an keinen zu persönlichen Bezug hatte. Ich  glaube, deshalb bin ich damals angefragt worden. Meinen ersten Kontakt zu Herberger hatte ich als es im Jahr 2018 um die Länderspielstatistik des DFB ging. Da ging es um die Frage, wie viele Länderspiele Herberger und seinem Vorgänger Otto Nerz eigentlich zugeordnet werden müssen. Ich glaube, da hat man sehr bewusst jemanden gefragt, der keine ganz klare, leidenschaftliche Beziehung zum Fußball-Sport vorbelastet ist. In diesem Forschungsbereich sind das natürlich viele.

Sie selbst sind also gar kein Fußballfan?

Kümper: Das kann man so nicht sagen, aber jedenfalls kein ausgeprägter. Ich kann mich natürlich diesem Faszinosum nicht entziehen. Seit ich mich das erste Mal mit dem Herberger-Nachlass beschäftigt habe, muss ich schon sagen: Der lässt einen als Persönlichkeit nicht mehr los.

Haben Sie denn bei der Arbeit für das Buch völlig neue Erkenntnisse gewinnen können?

Kümper: Bahnbrechende neue Einsichten sicherlich nicht. Ich bin jetzt auch nicht der Erste, der ihn sich vorgenommen hat. Was wirklich gut ist, glaube ich, dass er jetzt durch diese Ausgabe leichter und schneller zugänglich ist. Auch für diejenigen, die die wirklich furchtbare Handschrift von Herberger vielleicht nicht so gut entziffern können. Der großer Vorteil ist: Es wird jetzt facettenreicher.

Abgesehen von den mehr oder weniger großen Erkenntnissen Herbergers. Welche Banalitäten kamen denn bei Ihrer Arbeit zu Tage?

Kümper: Man kann sich jetzt das Alltagsleben im Trainingslager besser vorstellen, wie die Freunde und Bekannten der Nationalmannschaft und die DFB-Funktionäre und ihr Umfeld auftauchen. Man findet die kleinen Nebengespräche mit der Presse. Man versteht Netzwerke besser. In späterer             Zeit kann man auch das Privatleben Herbergers besser einschätzen.

Können Sie eine dieser Banalitäten mal exemplarisch für uns herausheben?

Kümper: Was mich sehr beeindruckt hat, was wir dann aber bewusst nicht in die Ausgabe hinein genommen haben, sind die vielen Schmutzbriefe, die die Herbergers gerade in späteren Lebensjahren bekommen haben. Seine ganze aktive Laufbahn hindurch schreiben die Leute Herberger und geben ihm Tipps und schwärzen ihn an, was er alles falsch entschieden hat. Aber auch im privaten Bereich gibt es viel. Heute würden diese Menschen das Internet und Social Media für sowas nehmen. Diese abgehackten Sätze – man merkt richtig, wie diese Emotion das richtige Schreiben verhindert. Ohne Sinn und Verstand, wenn man so will. Und genauso lese ich Hate-Posts im Internet. Und solche Briefe bekommen die Herbergers schon in den 60er und 70er Jahren mit der guten alten Post.

Herberger hat sich zu Lebzeiten hin und wieder über Ereignisse oder Personender Zeitgeschichte geäußert. Zu wem zum Beispiel – und wie?

Kümper: Eine Episode betrifft seine einzige Begegnung mit Hitler. Und die ist ganz interessant, weil er ihm eigentlich gar nicht begegnet. Sie sind zusammen in einem Gasthaus in Nürnberg und er hört nur, dass Hitler jetzt da hinten irgendwo mit seiner Bagage sitzt. Und dann erzählst Herberger in der Nachkriegs Zeit, irgendwie ganz beeindruckend und auf naive Weise, dass er in einem Raum mit Hitler war und ihn im Vorbeigehen nochmal gesehen hat - so wie wir heute von Beyoncé reden würden, mit der wir in einem Rau waren. Da merkt man so ein bisschen die eigenartige Unbefangenheit in dieser sehr befangenen Nachkriegszeit.

Es gibt jetzt also den ersten Nachlassband Herbergers, aber Sie haben ja schon gesagt, dass es weitere geben soll. Was können wir noch erwarten?

Kümper: Wir sitzen jetzt gerade an den Korrespondenzen mit den Nationalspielern. Er korrespondiert ja zum Beispiel viel mit Fritz Walter. Das ist in vielerlei Hinsicht ein sehr aussagekräftiger Briefwechsel. Dann soll es auch noch um die Nationalmannschaft gehen. Herberger selbst hat an einer Geschichte der Nationalmannschaft gearbeitet. Und mittelfristig geht es auch noch um seine trainingstaktischen Aufzeichnungen. Super interessant, aber da fühle ich mich nicht alleine in der Lage, die zu kommentieren. Da müsste mir mal ein Fußballtrainer oder eine Fußballtrainerin dabei helfen.

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