Sensorische Barrieren beim Einkaufen

Autistin Rebecca wünscht sich eine Stunde Stille zu Weihnachten

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AUTOR/IN
Laura Cloppenburg

Laute Musik und Hektik. In der Adventszeit setzt Einkaufen neurodivergenten Menschen besonders zu. Eine Heilbronnerin mit Autismus wünscht sich Stille zu Weihnachten.

Stille Nacht? Leise rieselt der Schnee? So geräuschlos ist die Weihnachtszeit längst nicht mehr. Musikbeschallung, schrille Leuchtreklame, Reizüberflutung - schon ohne Einschränkung wird Einkaufen da stressiger. Für Menschen mit Autismus, ADHS oder Depression bedeutet es eine Barriere im Alltag. Bundesweit läuft nach neuseeländischem Vorbild das Projekt: Stille Stunde. Unterstützt vom Heilbronner Kompetenzzentrum Inklusion, will eine 22-jährige junge Frau mit Autismus das in die Region holen.

Übersehene Barriere: Reizüberflutung

Wenn Rebecca einkaufen geht, ist das für sie eine immense Herausforderung. Was Menschen ohne Einschränkung schon überfordern kann, ist für die 22-jährige Autistin eine echte Belastung. Denn sie nimmt ungefiltert alle Reize wahr, die auf sie einströmen, ohne Unwichtiges von Wichtigem trennen und ausblenden zu können.

Grelles Neonlicht, blinkende Werbeanzeigen, laute Musik und Durchsagen, das Piepsen an der Kasse, Menschenmassen, Hektik und Gerüche – alles prasselt auf einmal auf sie ein. Eine sensorische Barriere, die beim Thema Barrierefreiheit nicht jeder sofort auf dem Schirm hat.

Betroffen davon sind neurodivergente Menschen, die wie Rebecca aus dem Autismusspektrum kommen oder mit ADHS leben, aber auch Menschen mit Depression. Jetzt in der Vorweihnachtszeit nimmt diese Reizüberflutung noch einmal zu. Häufig bleibt dann nur der Rückzug in die eigenen vier Wände.

Idee aus Neuseeland: Eine Stunde Stille

Rebecca wird auf das Projekt "Stille Stunde" aufmerksam. In einigen Bundesländern läuft das nach neuseeländischem Vorbild schon erfolgreich an. Supermärkte beispielsweise, aber auch Einzelhändler, Museen oder Schwimmbäder dimmen für eine Stunde an einem bestimmten Wochentag Geräusch- und Lichtkulisse. Sie verzichten in diesem Zeitfenster beispielsweise auf Musik und Durchsagen, schalten Displays ab und sensibilisieren die Belegschaft. Nach Baden-Württemberg ist die Stille bislang noch kaum durchgedrungen. Lediglich ein Supermarkt in Konstanz hat das Konzept im März dieses Jahres eingeführt.

Dunkler Supermarkt in Konstanz, Einkaufen für Sensible, Ruhiges Einkaufen für Autisten  (Foto: SWR)
Gedämpftes Licht, wenig los zur "Stillen Stunde" im Konstanzer Supermarkt.

Rebecca schreibt Supermärkte an, ohne Erfolg

Also wird die 22-Jährige aktiv. Sie schreibt einen Brief an verschiedene Supermärkte im Landkreis Heilbronn mit der Bitte, ihr Problem ernst zu nehmen und eine Teilnahme am Projekt zu erwägen. Ohne Erfolg. Die junge Frau wendet sich an das Heilbronner Kompetenzzentrum Inklusion. Helmut Stockmar, der sich seit Jahren für Barrierefreiheit und Teilhabe einsetzt, will sie unterstützen.

Leuchtturm im Kreis Heilbronn gesucht

Helmut Stockmar ist optimistisch, gemeinsam mit den Inklusionsstellen der Stadt einen Supermarkt oder Einzelhändler in der Region Heilbronn-Franken zu finden, der die Stille Stunde probeweise einführt.

Ich denke, das würde Heilbronn auch gut zu Gesicht stehen, wenn wir einen Leuchtturm finden würden. Einen Ladenbetreiber, der den Mut hat, auf diese hochsensiblen Menschen zuzugehen und sagt: Ja, für Euch, eine Stunde.

Stockmar ist sich sicher, dass das auch den Menschen entgegenkäme, die auch ohne Einschränkung in der Vorweihnachtszeit ein wenig Ruhe und Besinnlichkeit suchen.

Bis es so weit ist, findet Rebecca ihren Ausweg aus dem Weihnachtsstress in der Kletterarena in Heilbronn. Einmal die Woche kommt die 22-Jährige hier dank der Kurse der Offenen Hilfen zur Ruhe und ist ganz bei sich. Wenn sie die Kletterwand erklommen hat, dann weiß sie, dass sie auch im Alltag noch ganz viel schaffen kann.

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