Tierheime in der Region Bodensee-Oberschwaben werden durch die Auswirkungen der Gebührenordnungsreform für Tierärzte zusätzlich belastet. Tierärzte hingegen spüren durch die Reform eine gewisse Entlastung. Das hat eine SWR-Anfrage ergeben.
Zahnsanierung für Miezi, Impfung für Bello oder Krallenschneiden bei Hase Hoppel. Der Tierarztbesuch kann seit knapp einem Jahr deutlich mehr ins Geld gehen. Denn seit November gilt die reformierte Gebührenordnung für Tierärzte (GOT), die erste große Reform seit über 20 Jahren.
In der reformierten GOT sind laut Verband unter anderem tierärztliche Verfahren berücksichtigt, die vorher gar nicht aufgelistet waren, aber längst Standard sind - wie etwa die CT, die Computertomografie. Neu ist auch eine Hausbesuchsgebühr. Und bestimmte Leistungen sind seitdem laut Tierärzten deutlich teurer, wie etwa Narkosen.
Für Tierheime wie das in Friedrichshafen bedeutet dies zusätzliche Belastungen, wie SWR-Reporterin Rebecca Lüer erfahren hat:
Viele Haustierbesitzerinnen und -besitzer nehmen die Reform zumindest nach außen hin sportlich. Gassigeher in Uhldingen-Mühlhofen (Bodenseekreis) beispielsweise betonten gegenüber dem SWR, dass man wegen gestiegener Tierarztkosten den geliebten Hund nicht anders als zuvor behandeln lasse, da er ein Familienmitglied sei.
Tierheime durch Gebührenordnungsreform belastet
Doch offenbar denken nicht alle so. Die Tierheime wie das in Friedrichshafen vermelden mehr Fund- und Abgabetiere - auch immer häufiger mit unbehandelten chronischen Krankheiten, ohne Impfungen und unkastriert. Man merke, dass diese Kosten für viele nicht mehr in der Kalkulation oder stemmbar sind, sagte Carola Fuchsloch, Vorsitzende des Tierschutzvereins Friedrichshafen.
Erst vor kurzem wurde demnach ein Hund nachts anonym am Tierheim in einer Box ausgesetzt. "Silver" wurde die französische Bulldogge mit dem sandfarbenen Fall vom Tierarzt-Team getauft und schnell war klar: "Silver" hat mehrere Probleme. Gutartige Tumore, verengte Atemwege, ein sogenanntes Blutohr. In der Tierklinik ist laut Fuchsloch deutlich geworden: Dieser Hund wurde entsorgt, weil massive Kosten entstehen.
Die OP hat "Silver" gut überstanden. Bald darf er in die Vermittlung, er habe trotz allem wohl gute Chancen, sagte Carola Fuchsloch. Keine Selbstverständlichkeit für Tierheimtiere.
Tierheime laufen voll
Auch die Zahl junger Fundkatzen habe in diesem Jahr massiv zugenommen. Keine Tätowierung, kein Chip. Das Tierheim hatte die Katzen auf Facebook eingestellt. Bei rund 80 Prozent habe es keine Rückmeldung gegeben. Das heißt, diese Tiere bleiben im Tierheim, müssen geimpft und kastriert werden - wieder zusätzliche Kosten. Auch bei den Fundkatzen sei das Tierheim viel mehr gefordert als die Jahre zuvor, so Fuchsloch.
Die teils höheren Tierarztgebühren seien allerdings nicht der einzige Grund dafür, dass die Tierheime volllaufen, räumt Carola Fuchsloch ein. Schon vorher habe das angefangen, weil viele Besitzer ihrer in der Corona-Zeit angeschafften Haustiere überdrüssig würden und die Inflation das Geld knapper werden lässt.
Teurere Tier-OP-Versicherungen wegen neuer Gebührenordnung
Die Vorsitzende des Tierschutzvereins weiß aus eigener Erfahrung, dass die Reform der GOT auch Einfluss haben kann, auf das, womit viele Haustierbesitzer sich eigentlich gegen hohe Kosten absichern wollen: die OP-Versicherung für's Tier. Ihr selbst sei ein alter Vertrag für rund 130 Euro pro Jahr für einen ihrer Hunde aufgekündigt worden, mit der Begründung, dass der die neue GOT so nicht mehr abdecke. Carola Fuchsloch sei dann gleich ein neuer Vorschlag unterbreitet worden - eine kostspielige Versicherung für ihren Hund. Der Vorschlag sei pro Jahr fast 300 Euro teurer gewesen, demnach eine Steigerung von 200 Prozent.
Tierarztkosten im Tierheim Friedrichshafen vermutlich verdoppelt
Insgesamt betrachtet kommen demnach nicht nur immer mehr Tiere ins Tierheim, sondern auch mehr chronisch kranke, unkastrierte und ungeimpfte Tiere. Außerdem vom Veterinäramt beschlagnahmte Tiere aus schlechter Haltung. Das sind potentiell teure Kandidaten und lässt die Kosten weiter steigen. Im Zusammenspiel mit den noch höheren Tierarzt-Gebühren bedeutet das zum Jahresende für das Tierheim Friedrichshafen wohl doppelt so hohe Tierarztkosten wie im Vergleich zum Vorjahr, schätzt Carola Fuchsloch.
Auch Landwirte von höheren Tierarztrechnungen betroffen
Auch Landwirte bekommen in der Region Bodensee-Oberschwaben die Auswirkungen der reformierten GOT zu spüren. Markus Wenger aus Mettenberg, einem Ortsteil von Biberach, hat in seinem luftig-hellen Milchviehbetrieb rund 150 Kühe. Auch seine Tierarztkosten seien mit der GOT-Reform gestiegen - von 150 auf rund 180 Euro pro Kuh und Jahr, so Wenger gegenüber dem SWR.
Landwirt Wenger bleibt dennoch gelassen, er setze auf Prävention. So achtet er etwa auf die bedarfsgerechte Kalziumration für Mutterkühe. Oder gebe zunächst homöopathische Globuli statt Antibiotika, auch damit könne man die Tierarztkosten niedriger halten, sagte der Landwirt.
Betreuungsvertrag für Tierheime und Landwirte dämpft Kosten
Vor allem in der Nutztierhaltung werde es immer schwieriger überhaupt noch einen Tierarzt zu finden, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des bpt (Bundesverband praktizierender Tierärzte). Und bei Mangel stiegen automatisch die Preise, so Färber. Der bpt-Geschäftsführer weist allerdings auf die Möglichkeit sogenannter Bestandsbetreuungsverträge hin. So einen Vertrag könne sowohl ein Tierheim haben, als auch ein landwirtschaftlicher Betrieb - sofern er den eigenen Tierbestand umfasse. Wenn man so einen Vertrag mit einem Tierarzt abschließe, dann könne man die Kosten damit dämpfen, so Heiko Färber.
Für Tierärzte bringt die Gebührenreform eine gewisse finanzielle Entlastung. Davon profitieren unter anderem die Tierarzthelferinnen, wie SWR-Reporterin Rebecca Lüer erfuhr:
Neue Gebührenordnung: Mehr Spielraum für Tierärzte und Kliniken
Die Reform und damit verbunden auch die Gebührenerhöhungen waren dringend notwendig, sagt Dr. Thomas Rieker. Er war bis vor kurzem Geschäftsführer und tierärztlicher Direktor der AniCura Kleintierspezialisten, einer Tierklinik in Ravensburg, hat sie mit aufgebaut. Schon sein Großvater und Vater waren als Tierärzte in Ravensburg tätig. Jetzt ist Thomas Rieker einer der Geschäftsführer und medizinischer Direktor der AniCura Holding Deutschland.
Im Gespräch mit dem SWR verweist er zum Beispiel darauf, dass die höheren Einnahmen Einfluss haben auf die Gehälter der tiermedizinischen Fachangestellten, kurz TFAs. Deren Tarifvertrag wurde vor einem Jahr erhöht. Heute liege das Einstiegsgehalt für eine tiermedizinische Fachangestellte bei rund 2.500 Euro brutto. Das entspreche etwa dem Gehalt einer ungelernten Kraft bei einem bekannten Discounter, so Rieker. AniCura in Ravensburg bezahle seine Mitarbeiterinnen über Tarif, um überhaupt ausreichend Leute für den auch emotional anstrengenden 24-Stunden-Notdienst zu finden. Allein die TFA-Gehaltserhöhungen bedeuteten für die Klinik pro Jahr 180.000 Euro Mehrausgaben. Dies sei nur ein Grund, warum die GOT-Reform seiner Ansicht dringend erforderlich war.
Verständnis der Tierklinik-Kunden groß
Das Verständnis seiner Kunden an höheren Rechnungen sei groß, wenn man erkläre, wie notwendig die Reform war, so Thomas Rieker. Er erläutert das am Beispiel Narkosen. Früher habe man mit dem Finger den Puls gemessen. In den letzten 20 Jahren habe sich im Bereich der Anästhesie, beim Monitoring, dem Schreiben von Narkoseprotokollen und bei den Gutachten erhebliche Änderungen und mehr Aufwand ergeben. Dies sei in der alten Gebührenordnung nicht berücksichtigt worden.
Manche Herrchen und Frauchen reagierten inzwischen allerdings zurückhaltend bei teuren chronischen Behandlungsansätzen oder komplizierten OPs, beobachtet Thomas Rieker. Das seien aber nicht immer zugleich die, die wenig Geld hätten.
Im EU-Vergleich schneidet Deutschland günstiger ab
bpt-Geschäftsführer Heiko Färber weist gegenüber dem SWR daraufhin, dass manche Leistungen mit der GOT-Reform auch günstiger geworden sind, etwa Röntgenbilder. Und: Im europäischen Vergleich schneide Deutschland bei den Tierarztkosten überdies in vielen Fällen besser ab. Denn eine Gebührenordnung für Tierärzte gebe es in Europa außer in Deutschland nur noch in Bulgarien. In allen anderen EU-Staaten könnten Tierärzte den Preis für ihre Leistungen selbst festlegen. Und das ist in vielen Fällen teurer: In der AniCura Klinik in Ravensburg beispielsweise habe man schwedische Patientenbesitzer, die in Oberschwaben zu einem Züchter zur Ausbildung kommen. Die lassen die Routinebehandlungen in Ravensburg erledigen, weil sie hier nur einen Bruchteil dessen bezahlen, was sie in Schweden zahlen müssten, erzählt Thomas Rieker.