Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka)

Kompromiss-Suche bis Ende November

Union blockiert Bürgergeld im Bundesrat - BW enthält sich

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Der Bundesrat hat die Einführung des von der Ampel-Koalition geplanten Bürgergelds abgelehnt. Baden-Württemberg enthielt sich. Verbände kritisieren die Entscheidung.

In der Sondersitzung des Bundesrats am Montag stimmte die Mehrzahl der Bundesländer gegen das geplante Bürgergeld-Gesetz. Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg hatte sich nicht auf ein Votum zum Bürgergeld einigen können. In dem Fall kommt es zu einer Enthaltung; so ist es im Koalitionsvertrag vereinbart.

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Baden-Württembergs Arbeits- und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hatte den Vorwurf zurückgewiesen, die Union wolle das Bürgergeld der Ampel-Koalition blockieren. "Es geht uns nicht um Blockade. Es geht uns um konstruktives Zusammenarbeiten", sagte die CDU-Politikerin am Montag in der Sondersitzung des Bundesrates. "Es geht uns nicht um ein politisches Machtspiel. Es geht uns um die Verbesserung einer Reform, die für die Arbeits- und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland der kommenden Jahres eine ganz große und entscheidende Rolle spielen wird."

CDU-Ministerin: "Bürgergeld zum gemeinsamen Erfolgsmodell machen"

Das Erfolgsprinzip des Förderns und Forderns darf laut Ministerin nicht verloren gehen. Niemand stelle in Frage, dass die Regelsätze schnell angehoben werden müssten. Aber: Unverbindliche Kooperationsvereinbarungen reichten in diesem Bereich nicht aus, sagte Hoffmeister-Kraut. "Machen wir das Bürgergeld gemeinsam zum Erfolgsmodell, das zum einen die Menschen bestmöglich dabei unterstützt, ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu bestreiten und zum anderen den Fachkräftemangel in den Unternehmen lindert", betonte die Ministerin. Die Reform solle nicht verhindert, sondern aufgewertet werden. Dabei sehe sie vor allem Handlungsbedarf im Bereich der Jobcenter. Diese bräuchten ausreichend Zeit und finanzielle Mittel, um sich auf die Bürgergeld-Reform vorzubereiten.

SPD kritisiert Enthaltung von BW

SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch kritisierte das Votum des Landes bei der Abstimmung über die Reform von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). "Es kann nicht sein, dass die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg bei der größten Sozialreform seit 20 Jahren im Abseits steht." Das "parteitaktische Spiel" der CDU auf Bundesebene sei "unanständig". Es sei erschreckend, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Grünen als stärkere Regierungsfraktion hier klein beigegeben hätten.

FDP wirft schwarz-grüner Koalition in BW Blockade vor

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte die Enthaltung von Baden-Württemberg bei der Abstimmung zum Bürgergeld im Bundesrat. Es sei "unglaublich", dass sich die Koalition bei solch einer grundlegenden Entscheidung uneinig sei. Rülke gab zu bedenken, dass im Falle einer Koalition der Grünen mit SPD und FDP eine Mehrheit für das Bürgergeld gesichert gewesen wäre.

AfD: CDU bei Bürgergeld "Pseudoopposition"

Der baden-württembergische AfD-Fraktionschef Bernd Gögel begrüßte das Bundesratsvotum als "richtige Entscheidung". Er rechne jedoch damit, dass die "Pseudoopposition der CDU" wieder "einknicken" werde. "Aber selbst Anpassungen machen diese Schnapsidee nicht besser", so Gögel. Das Bürgergeld sei eine "Ohrfeige für die arbeitende Bevölkerung" und setze falsche Anreize. Die Bezüge einer fünfköpfigen Familie seien "enorm", sodass deren Eltern keinen Grund mehr hätten, arbeiten zu gehen.

Deutscher Gewerkschaftsbund fordert sozialpolitische Verantwortung

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Baden-Württemberg, Kai Burmeister, äußerte sich zu der Enthaltung der grün-schwarzen Landesregierung im Bundesrat, indem er mehr "sozialpolitische Verantwortung" forderte. "Wegducken gilt nicht", so Burmeister. Die Ablösung von Hartz IV in Gestalt des neuen Bürgergeldes ist laut dem Vorsitzenden des DGB längst überfällig. Das überreglementierte Hartz-IV-System müsse durch ein modernes und menschenwürdiges Prinzip des Forderns und Förderns abgelöst werden. Burmeister forderte außerdem die CDU dazu auf, ihr Veto gegen eine kooperative Arbeitsweise der Jobcenter und die weitere Entschärfung der Sanktionen aufzugeben.

Bayern hält Bürgergeld-Gesetz für unausgewogen

Bayerns Staatsminister für Bundesangelegenheiten, Florian Herrmann (CSU), hatte erklärt, das Gesetz sei von Grund auf "sozial unausgewogen". Die Ampel-Koalition sende damit das Signal, dass sich Arbeit immer weniger lohne. "Das Gesetz ist und bleibt das falsche Signal zur falschen Zeit", sagte Herrmann.

Die Ampel-Pläne sehen eine Erhöhung des heutigen Regelsatzes von 449 Euro für Alleinstehende auf 502 Euro vor. Das ist unstrittig und wird auch von der Union befürwortet. Arbeitslose sollen zudem künftig weniger durch einen angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt werden, speziell im ersten halben Jahr des Bürgergeldbezugs ("Vertrauenszeit"). Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern will die Ampel lockern. Diese Punkte lehnt die Union strikt ab.

Kompromiss muss noch im November gefunden werden

Nun steht eine schwierige Kompromiss-Suche im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat an - und das unter großem Zeitdruck. Ein Kompromiss muss nach Experteneinschätzung bis spätestens Ende November gefunden sein, damit das Bürgergeld wie geplant zum 1. Januar eingeführt werden kann.

Bundesratspräsident Peter Tschentscher (SPD) hält dies für möglich. "Erhält das Gesetz in dieser Sitzung keine Zustimmung, kann noch im November ein Vermittlungsverfahren durchgeführt und eine Einigung erreicht werden", sagte der Hamburger Bürgermeister im Vorfeld der "Rheinischen Post".

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