Tuberklose ist vermeidbar und heilbar – eigentlich
Überall auf der Welt kämpfen Menschen gegen Covid-19. Alle Mittel fließen in die Bekämpfung des Coronavirus, das erschwert die Versorgung der Tuberkulosepatienten. Die Initiative „Stop TB Partnership“ geht davon aus, dass deshalb in den nächsten fünf Jahren weltweit zusätzlich 1,4 Millionen Menschen an der Tuberkulose sterben werden. Und das, obwohl Tuberkulose heilbar und verhinderbar ist.
Die Erkrankten leiden nicht nur unter schwerem, später blutigem Husten. Ihr Körper leitet seine gesamte Energie in die Bekämpfung des Bakteriums um. Das deutsche Wort „Schwindsucht“ beschreibt das recht gut. Die Kranken werden immer schwächer, sterben schließlich an der Tuberkulose.
Tuberkuloseausbruch 2019 in Bad Schönborn nahe Heidelberg
Claudia Denkinger leitet die Klinische Tropenmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg. Mit der Tuberkulose hat sie dort nur selten zu tun. Doch nach wie vor gibt es auch in Deutschland mehr als 4.000 Tuberkulosefälle im Jahr. 2019 kam es beispielsweise zu einem Ausbruch an einer Schule in Bad Schönborn in der Nähe von Heidelberg.
Die Krankheit war bei einem Achtklässler aufgefallen. Umfangreiche Tests konnten den Erreger dann bei fast allen Kindern seiner Klassenstufe nachweisen. Am Ende waren 109 Schüler und Lehrer infiziert. Sie wurden schnell und effektiv behandelt. Doch das ist in vielen anderen Ländern nicht möglich.
Ohne Tuberkulose-Nachweis keine Behandlung
Tests sind entscheidend, um die Behandlung starten zu können. Claudia Denkinger arbeitet darum mit am Tuberkuloseprogramm von FIND, der „Foundation for Innovative New Diagnostics“. Die von vielen Hilfsorganisationen und staatlichen Institutionen geförderte Stiftung arbeitet seit 2003 eng mit der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammen, um einfache und verlässliche diagnostische Tests zu entwickeln und zu verbreiten.
Dafür wird gerade die nächste, viel empfindlichere Generation des Urintests TB-LAM entwickelt. LAM ist das Kürzel für einen Bestandteil der Zellwand von Mykobakterien. Wenn der im Urin nachweisbar ist, können sich die Ärzte sicher sein: Dieser Patient hat eine Tuberkulose.
Mosambik: multiresistente Tuberkulose ist besonders problematisch
In Mosambik ist es bisher gelungen, Covid-19 in Schach zu halten. Die wirkliche Gefahr ist ein alter Erreger: Alle Neugeborenen in Mosambik werden zwar gegen die Tuberkulose geimpft, aber der Schutz währt nur einige Jahre und ist auch nicht besonders effektiv. Es gibt deshalb viele erwachsene Tuberkulose-Patienten.
Besonders problematisch in Mosambik, so Miriam Arago Galindo, ist die multiresistente Tuberkulose, die MDR-TB. Die Internistin von „Ärzte ohne Grenzen“ leitet das Projekt für die MDR-TB in Maputo. Schon die gewöhnliche TB ist schwer zu behandeln. Die Patienten müssen vier Medikamente konsequent über mindestens ein halbes Jahr einnehmen.
Neue Medikamente kosten das 16-Fache eines Patienteneinkommens
Werden die Pillen nicht regelmässig eingenommen, kann sich das Bakterium wieder vermehren und vor allem erhält es die Chance, sich an die Medikamente anzupassen und dagegen resistent zu werden. Die normale Behandlung schlägt dann nicht mehr an. Wenn Patienten infolgedessen eine multiresistente Tuberkulose entwickeln, müssen sie zwei Jahre lang einen schwer verträglichen Cocktail anderer Wirkstoffe einnehmen.
Nachdem es fast 50 Jahre lang keine neuen Medikamente gegen das Tuberkelbazillus gab, wurden in den letzten Jahren gleich mehrere neue, viel besser verträgliche Wirkstoffe zugelassen, etwa Bedaquilin und Delamanid. Diese neuen Medikamente sind jedoch teuer: Die komplette Behandlung eines MDR-Patienten in Mosambik kostet rund 8.000 Dollar und das bei einem Pro-Kopf-Einkommen von nur rund 500 Dollar im Jahr. Ärztin Miriam Arago Galindo kann die neuen Medikamente deshalb vorerst nur in Studien einsetzen.
Belarus besitzt die höchste Rate an multiresistenter Tuberkulose
Nicht nur in Mosambik ist die Tuberkulose ein großes Problem. Das Land mit der höchsten Rate an multiresistenter Tuberkulose ist Belarus bzw. Weißrussland. Deshalb erprobt „Ärzte ohne Grenzen“ jetzt auch hier neue Behandlungsansätze. Animesh Sinah leitet die TB-Practecal-Studie in Minsk. Mit den neuen Medikamenten, einem ausgeklügelten Therapieschema und einer umfassenden psychologischen Unterstützung hofft der indische Arzt, auch die multiresistente TB in nur sechs Monaten heilen zu können.
Die alten Medikamente für die MDR-TB verursachten nicht nur Nebenwirkungen, sie halfen auch nicht besonders gut. Deshalb mussten sie über zwei Jahre eingenommen werden. Die neuen Wirkstoffe Bedaquilin und Delamanid wirken aber auch gegen resistente Bakterien sehr effektiv. Animesh Sinha hat keine Probleme, Teilnehmer für seine Studie mit der schnellen Behandlung der MDR-TB zu finden.
Revolution in der Behandlung von multiresistenter Tuberkulose
Die ersten Ergebnisse der TB- Practecal-Studie aus Belarus sowie aus Südafrika und Usbekistan liegen inzwischen vor und belegen: Die kurze Behandlung mit den neuen Medikamenten heilt die multiresistente Tuberkulose. Diese Therapie von nur sechs Monaten funktioniert. Und könnte die Behandlung der multiresistenten Tuberkulose revolutionieren.
Zu wenig Geld, zu schlechte Infrastruktur: ärmere Länder profitieren nicht
Aber die neuen Medikamente sind zu teuer für Mosambik und für Belarus. Im Moment hilft in Belarus noch der Global Fund, der weltweit den Kampf gegen die Infektionskrankheiten HIV, Malaria und eben die Tuberkulose finanziert. Aber der Global Fund zieht sich aus Ländern mit größerer Wirtschaftskraft langsam zurück. Die Initiative „Stop TB Partnership“ hat beim Rückgang der internationalen Förderung bereits weltweit Versorgungsengpässe und Qualitätsprobleme dokumentiert.
Dazu kommen organisatorische Hürden. Es fehlen Strukturen, schnell und effektiv Medikamente einzukaufen und zu verteilen. So entstehen wieder neue Resistenzen, weil ärmere Länder die Medikamente aus finanziellen Gründen nicht mehr zur Verfügung stellen können. Und die Patienten die Therapie abbrechen müssen.
SWR 2020 / 2021