Das kleine Vierer-Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Daniela Thaller hat einen eindrucksvollen Titel: "International Earth Rotation and Reference Systems Service", kurz IERS. Die Wissenschaftler überwachen mit modernster Technik die Drehungen der Erdkugel und vergleichen die tatsächliche Rotationszeit mit unserer koordinierten Weltzeit, die von Atomuhren abhängig ist. Wenn die Erde sich zu langsam dreht verordnen sie der Atomuhr eine Schaltsekunde.
Frau Thaller arbeitet mit ihren Kollegen in der klassizistischen sogenannten "Villa Mumm", einem Gründerzeit-Bau in Frankfurter, in der vor 100 Jahren der Sekt-Patriarch Mumm von Schwarzenstein residierte. Die Marmorsäulen und Mosaikfußböden passen heute nicht mehr recht zu der modernen Forschungseinrichtung, die Frau Thaller managt.
Blick ins All für genaue Zeit
Wir haben Radioteleskope, die richten wir immer paarweise auf eine Radioquelle im All, das sind sehr weit entfernte Objekte, die als stabil und mit genauer, exakter Position angenommen werden können. Dann empfangen wir an beiden Teleskopen diese Radiosignale.
Freilich stehen ihre 5 Radioteleskope nicht im Vorgarten der "Villa Mumm", sondern in Wettzell, in der Antarktis und im südamerikanischen La Plata.
Dadurch dass sich die Teleskope mit der Erde mitdrehen, können wir aus diesen Beobachtungen ableiten, wie schnell sich die Erde unter diesen fixen Himmelsobjekten hinwegdreht und wie auch diese Rotation sich verändert und schwankt.
Erde dreht sich langsamer
Wie ist es zu erklären, dass die Erdumdrehung nicht immer die gleiche Zeit beansprucht?
Ein Einflussfaktor ist die atmosphärische Massenverlagerung. Wir kennen Hochdruckgebiete, Tiefdruckgebiete etc. ; diese Atmosphärenmassen drehen auch mit dem Gesamtsystem Erde mit, nur dass sie sich eben verlagern in Bezug auf die feste Erde. Diese Veränderungen erzeugen dann eine unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeit.
Die Geburt der Schaltsekunde
Auch die Reibung durch die Gezeiten oder Erdbeben können für ein Abbremsen der Erdrotation sorgen. Astronomen haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass unsere Erde sich immer langsamer dreht.
Dass die natürliche aus der Umdrehung der Erde abgeleitete Weltzeit nicht mit der Atomzeit der Caesium–Uhren übereinstimmt, fiel zuerst im Jahr 1972 auf: Damals hinkte sie um 10 Sekunden hinterher. Das war die Geburtsstunde der Schaltsekunden.
Es gab in den 90er Jahren mal eine Zeitspanne, wo es jedes Jahr eine Schaltsekunde gab. Es gibt aber dann auch wieder Zeitspannen - von 5, 6 Jahren -, wo das konstant ist und keine Schaltsekunde benötigt wird.
Technik aus dem Takt
Nun ist also wieder soweit: Zum 26. Mal seit 1972 wird am 30 Juni dieses Jahres eine Schaltsekunde eingebaut. Dies findet weltweit zum selben Zeitpunkt statt: um 23:59:59 werden die Uhren um eine Sekunde angehalten. Das Programm des Langwellensenders DCF 77 in Mainflingen, über den die Zeitsignale von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt ausgesendet werden, ist bereits auf die Schaltsekunde vorbereitet.
Für die meisten von uns eine unbemerkte, wertvolle Sekunde längere Nachtruhe. Für Betriebssysteme von Computern, für Energieversorger und Telekommunikationsunternehmen, die auf sekundengenaue Abrechnungen angewiesen sind, vielleicht nicht ganz so einfach. Deshalb ist die Schaltsekunde umstritten und sie wird sicher wieder Thema sein auf der World Radiocommunication Conference im November diese Jahres in Genf.