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Moderne Schulleitung – Zwischen Management und Sozialarbeit

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Silvia Plahl
Silvia Plahl (Foto: SWR, privat)
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Ulrike Barwanietz
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Sie sollen modernen Unterricht gestalten, sind oft aber vor allem Krisenmanager. Die Ansprüche an Schulleiterinnen und Schulleiter sind hoch, die Mittel eher rar.

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In den Schulen sind die Klassenräume und Gänge leer. Alle sind gleichermaßen von der Pandemie betroffen. Doch die Kinder und Jugendlichen werden in die Klassenräume zurückkommen und die Leitungen werden sich erneut den üblichen täglichen Herausforderungen stellen und ihre Schulen navigieren: als Managerinnen und Manager, Schiedsrichter und Kiezpartner mit Bildungsvisionen für ihre Schülerinnen und Schüler.

Schulleitungen müssen Schulverträge und Konzepte schreiben, an die sich alle halten müssen. Laufend neue Projekte ins Haus holen, Gelder beantragen, Statistiken führen, sich selbst in Supervisionen beraten lassen und immer wieder gute Anregungen von Kolleginnen und Kollegen einholen. Nicht wenige orientieren sich bereits an dem Ziel, Schule als Lebensraum einzurichten. Genau so versteht der Bildungswissenschaftler Klaus Hurrelmann die Schule als "pädagogisches Unternehmen". Was quasi heißt: An dem Ort, der auf das Leben vorbereitet, findet die gesamte Gesellschaft statt.

Schüler sitzen an der Alemannenschule in Wutöschingen im großen Gemeinschaftsraum. An dieser Schule gibt es keine Klassenzimmer und Klassenarbeiten mehr. Jeder Schüler hat ein Tablet. Das Schulgebäude wurde komplett neu gestaltet.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/Patrick Seeger/dpa)
Schüler an der Alemannenschule in Wutöschingen. Das Schulgebäude wurde komplett neu gestaltet

Schülerinnen und Schüler stehen im Mittelpunkt

Der Schulleiter Stefan Ruppaner leitet die preisgekrönte Alemannenschule, eine Gesamtschule von Klasse eins bis zum Abitur. Er betont: Das architektonisch und digital modern aufgestellte Schulleben funktioniere nur so gut, weil alle immer die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellen – die ihre Lebenswelt mitbringen, die lernen und sich selbstständig organisieren wollen. Das pädagogische Konzept passt sich dem an. Da jede Schulgemeinschaft unterschiedlich ist, gleicht wohl in diesem Punkt auch keine Schule exakt der anderen.

Flexibilität seitens der Pädagog*innen erwartet

Astrid-Sabine Busse leitet die Berliner Grundschule Köllnische Heide. Die resolute Frau ist seit Jahrzehnten im Beruf und Vorsitzende des unabhängigen Interessenverbands Berliner Schulleitungen. Sie stellt klar: Chefs müssen vorausschauen. Sie erwartet Flexibilität von den Kollegen oder überhaupt von den Menschen: dass man zum Beispiel auch mal zu ganz anderen Zeiten Unterricht anbietet. Astrid-Sabine Busse denkt dabei an den Freitagnachmittag oder auch den Samstag. Sie hat kein Problem damit, zu solch einem unpopulären Vorschlag zu stehen. Viele Schulleitungen müssen oft aus dem Stand reagieren.

Rund 1.000 Schulleitungen fehlen in Deutschland

Das meldete der Verband Bildung und Erziehung VBE Mitte März 2020. Er gehört zum Deutschen Beamtenbund, denn nahezu alle Schulleiterinnen und Schulleiter sind verbeamtet. 1.302 Leitungskräfte wurden für eine aktuelle repräsentative Erhebung befragt und nicht einmal die Hälfte von ihnen gab an, sie würden ihren Beruf sehr gerne ausüben. Drei Viertel nennen als Hauptbelastungsfaktoren für ihre Arbeit:

  • Überlastung des Kollegiums
  • Anspruchshaltung, dass die Schule alle aufkommenden gesellschaftlichen Probleme lösen soll
Spielend lernen (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Bis neue politische Weichenstellungen und Regelungen z.B. im Hinblick auf das E-Learning oder Homeschooling vorliegen, müssen und wollen Schulleitungen vor Ort und im Alltag meist zügig und zum Wohl ihrer Schülerschaft weiterkommen

Inklusion und Digitalisierung: Anspruch vs. Realität

Das gilt zum Beispiel für das Thema Inklusion. Es fehlen Räume, das Personal und auch die inhaltliche Qualifikation, um Kinder mit einem Handicap in den Schulunterricht zu integrieren. Oder die Digitalisierung. Fünf Milliarden Euro können die Schulen aus dem Digitalpakt des Bundes bis 2024 abrufen, also für die derzeit etwa 11 Millionen Schülerinnen und Schüler jeweils 500 Euro. Doch oft funktioniert das WLAN vor Ort nicht, Schulen sind nicht ans Breitband angeschlossen, es mangelt an der Fachkompetenz und an einheitlichen Strategien für das digitale Lernen.

Digitalisierung: neue Impulse durch Corona-Krise

Zwar waren Lehrende und Lernende seit der Corona-Krisen-Schließzeiten zunehmend online in Kontakt und haben Arbeitsmaterial ausgetauscht, doch digitale Bildung setzt viel mehr voraus. Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung fordert darum eine klare Rückendeckung für die Schulen, wie zum Beispiel ein Backoffice bei der Schulverwaltung. Denn wenn plötzlich ad hoc digital über Schüler-Clouds, unverschlüsselte E-Mails oder auf Whatsapp kommuniziert wird, wird oft der gebotene Datenschutz nicht eingehalten.

Benachteiligte Kinder ohne Unterstützug beim Corona-Homeschooling

Die unklare Situation fordert alle heraus und das zwangsverordnete "Lernen zu Hause" legt auch wunde Punkte bloß. Das Münchner Institut für Bildungsökonomik ifo wies früh darauf hin: Man müsse verhindern, dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen noch weiter zurückfallen. Der Verband Bildung und Erziehung forderte: 2,4 Millionen von den insgesamt 8,3 Millionen Schülerinnen und Schüler seien von Armut und sozialer Abgrenzung bedroht und bräuchten gerade jetzt eine besondere Unterstützung. Und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung warnte: Die starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens könnten die Gefahr für häusliche und sexuelle Gewalt in den Familien erhöhen.

Die schwedische Schülerin Greta Thunberg bei einer Fridays for Future-Demonstration (Foto: dpa Bildfunk, picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/Paul Zinken/dpa/Foto: Paul Zinken)
Nach der 'Generation Greta', die sich gerade im Teenageralter sehr politisch für das Klima engagiert, folgt nun die 'Generation Alpha'

Bis neue politische Regelungen vorliegen, müssen Schulleitungen reagieren

Bis neue politische Weichenstellungen und Regelungen vorliegen, müssen und wollen Schulleitungen vor Ort und im Alltag meist zügig und zum Wohl ihrer Schülerschaft weiterkommen. Das war schon immer so und wird auch in und nach dieser Krise so sein. Dies zu organisieren ist im Grunde ein 24-Stunden-Job, den die deutschen Schulleitungen gerade mit großem Lehrermangel bewältigen. Mit oft zögerlicher behördlicher Hilfe. Mit desinteressierten oder anspruchsvollen Elternhäusern vor Augen.

Und das trotz aller Schwierigkeiten und auch entgegen der Tatsache, dass nur 14 Prozent der deutschen Schulleitungen ihren Beruf "auf jeden Fall" weiterempfehlen – auch das hat die aktuelle Verbands-Umfrage ergeben. Die Berliner Schulleiterin Astrid-Sabine Busse hält wie viele andere an ihrem Selbstverständnis fest und setzt sich unermüdlich dafür ein: Kindern und Jugendlichen Bildung ermöglichen. Daran soll sich auch mit oder nach einer Virus-Pandemie nichts ändern.

Nach der "Generation Greta", die sich gerade im Teenageralter sehr politisch für das Klima engagiert, folgt nun die "Generation Alpha", die bald eingeschult wird. Diese jungen Menschen erleben gerade etwas anderes, was es noch nie gegeben hat. Eine Pandemie.

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